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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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chums verscheucht haben. Wenn die Ballade, die doch weiter nichts ist, als
das idealisirte Volkslied, einen wirklich poetischen Eindruck machen soll, so
muß sie sich in Stoffen bewegen, die unsrer Phantasie und unsrem Gemüth
bereits geläufig sind, damit der Dichter nicht nöthig hat, ins Breite zugehen.
Bei den antiken Stoffen ist darin eine Selbsttäuschung' sehr leicht, weil wir
von der Schule her an die Namen und an einzelne Anekdoten gewöhnt sind,
während doch diese Geschichten für unsre Einbildungskraft gar keinen Inhalt
haben. Wenn man eine beliebige deutsche Sage behandelt, so entspringt Ton
und Farbe von selbst aus dem Gegenstand; bei den Sagen aus dem Alter¬
thum dagegen, die durchweg auf eine epigrammatische Wendung ausgehen,
muß man beides aus eigner Kraft hinzufügen und daraus entspringt niemals
ein organisches Ganze, sondern stets ein künstlich Gemachtes.

In den Balladen, deren Stoff Schiller dem Mittelalter entlehnte und
deren Ausführung in dieselbe Zeit fällt, hat ihn trotz seiner Vorliebe für das
Alterthum die Natur mehr begünstigt. Stellen wir z. B. den Gang nach
dem Eisenhammer neben den Ring des Polykrates. Die sittliche Anschau¬
ung ist in beiden absurd, das Gottesurtheil in der mittelalterlichen Geschichte
unsern Begriffen nicht weniger entgegengesetzt, als der Neid der Götter, aber
das Mittelalter bietet doch der Dichtung eine bestimmtere Farbe dar. Da sich
Schiller überall bemühte, die Vorstellungen und Schilderungen dem Stoff an¬
zupassen, so ist man oft über seine Sympathien und Ueberzeugungen im Un¬
klaren gewesen. Die ausführliche Schilderung des katholischen Rituals im
Gang nach dem Eisenhammer hat nicht weniger als die Communionsseene in
der Maria Stuart manchen wohlmeinenden Kritiker verführt, dem Dichter
katholische Neigungen unterzuschieben. Betrachten wir aber aufmerksam diese
Beschreibung der Messe, wo Fridolin dem Priester die Stola und das Cingu-
lum umgibt und bald rechts und bald links kniet und sehr genau aufmerkt,
um immer zu rechter Zeit zu klingeln, so wird uns ein ironischer Zug nicht
entgehen. Freilich paßt dieser ironische Zug wieder nicht recht zur Tendenz
des Ganzen. Nach mittelalterlichen Begriffen handelte der Graf von Savern
sehr weise, als er durch den verhängnißvollen. Tod Roberts sich von dessen
Schuld überzeugen ließ, und in einem alten Volksliede, wo die Geschichte un¬
befangen erzählt wäre, würden wir sie uns wol gefallen lassen; aber bei dieser
ausführlichen Beschreibung können wir das Gefühl, daß diese Art, sich von
Schuld oder Unschuld zu überzeuge,,, absurd sei, nicht unterdrücken. Das
Gelungenste in dem Gedicht ist die Beschreibung des Eisenhammers selbst, die
dann freilich mit dem Sinn der Ballade nicht wesentlich zusammenhängt. In
solchen Schilderungen ist unser Dichter von Niemand übertroffen. Seine Natur¬
anschauung selbst war gering, er mußte sie sich erst durch Andre vermitteln
lassen, aber dann war seine Phantasie sofort geschäftig, ein schönes Ganze


chums verscheucht haben. Wenn die Ballade, die doch weiter nichts ist, als
das idealisirte Volkslied, einen wirklich poetischen Eindruck machen soll, so
muß sie sich in Stoffen bewegen, die unsrer Phantasie und unsrem Gemüth
bereits geläufig sind, damit der Dichter nicht nöthig hat, ins Breite zugehen.
Bei den antiken Stoffen ist darin eine Selbsttäuschung' sehr leicht, weil wir
von der Schule her an die Namen und an einzelne Anekdoten gewöhnt sind,
während doch diese Geschichten für unsre Einbildungskraft gar keinen Inhalt
haben. Wenn man eine beliebige deutsche Sage behandelt, so entspringt Ton
und Farbe von selbst aus dem Gegenstand; bei den Sagen aus dem Alter¬
thum dagegen, die durchweg auf eine epigrammatische Wendung ausgehen,
muß man beides aus eigner Kraft hinzufügen und daraus entspringt niemals
ein organisches Ganze, sondern stets ein künstlich Gemachtes.

In den Balladen, deren Stoff Schiller dem Mittelalter entlehnte und
deren Ausführung in dieselbe Zeit fällt, hat ihn trotz seiner Vorliebe für das
Alterthum die Natur mehr begünstigt. Stellen wir z. B. den Gang nach
dem Eisenhammer neben den Ring des Polykrates. Die sittliche Anschau¬
ung ist in beiden absurd, das Gottesurtheil in der mittelalterlichen Geschichte
unsern Begriffen nicht weniger entgegengesetzt, als der Neid der Götter, aber
das Mittelalter bietet doch der Dichtung eine bestimmtere Farbe dar. Da sich
Schiller überall bemühte, die Vorstellungen und Schilderungen dem Stoff an¬
zupassen, so ist man oft über seine Sympathien und Ueberzeugungen im Un¬
klaren gewesen. Die ausführliche Schilderung des katholischen Rituals im
Gang nach dem Eisenhammer hat nicht weniger als die Communionsseene in
der Maria Stuart manchen wohlmeinenden Kritiker verführt, dem Dichter
katholische Neigungen unterzuschieben. Betrachten wir aber aufmerksam diese
Beschreibung der Messe, wo Fridolin dem Priester die Stola und das Cingu-
lum umgibt und bald rechts und bald links kniet und sehr genau aufmerkt,
um immer zu rechter Zeit zu klingeln, so wird uns ein ironischer Zug nicht
entgehen. Freilich paßt dieser ironische Zug wieder nicht recht zur Tendenz
des Ganzen. Nach mittelalterlichen Begriffen handelte der Graf von Savern
sehr weise, als er durch den verhängnißvollen. Tod Roberts sich von dessen
Schuld überzeugen ließ, und in einem alten Volksliede, wo die Geschichte un¬
befangen erzählt wäre, würden wir sie uns wol gefallen lassen; aber bei dieser
ausführlichen Beschreibung können wir das Gefühl, daß diese Art, sich von
Schuld oder Unschuld zu überzeuge,,, absurd sei, nicht unterdrücken. Das
Gelungenste in dem Gedicht ist die Beschreibung des Eisenhammers selbst, die
dann freilich mit dem Sinn der Ballade nicht wesentlich zusammenhängt. In
solchen Schilderungen ist unser Dichter von Niemand übertroffen. Seine Natur¬
anschauung selbst war gering, er mußte sie sich erst durch Andre vermitteln
lassen, aber dann war seine Phantasie sofort geschäftig, ein schönes Ganze


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/509>, abgerufen am 17.06.2024.