Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

verehren gelernt hat, kann aus diesen Fragmenten die richtige Stimmung ge¬
winnen. Sehr schön ist namentlich ein Brief deö Herzogs (Band 1., Seite
-180) aus dem Jahre -1801, der nicht nur eine große Theilnahme, sondern
eine fast kindliche Verehrung für Schiller ausdrückt. Die Briefe Wilhelms von
Humboldt sind so bedeutend und liebenswürdig wie alles, was dieser außer¬
ordentliche Mann auch in seinen Nebenstunden geschrieben hat. Der wichtigste
Theil der Sammlung sind die Briefe Schillers an beide Schwestern, nament¬
lich vor seiner Verheirathung. (Band 1., Seite -163---!2i.) Bor seiner Gemahlin
Charlotte gewinnen wir eine sehr große Achtung, namentlich aus einem Brief,
den sie gleich nach ihrer Verheirathung an Wolzogen schrieb (Band 2., Seite -193)
und der das Verhältniß sehr schön charakterisiert. Bekanntlich ging Goethe schon
früher mit dem Lengefeldschen Hause um, sah auch Schiller dort zum ersten Male
und es war zum Theil der Einfluß Charlottens, der das Verhältniß so günstig
gestaltete. -- Das Urtheil, welches Charlotte über Fran von StaÄ fällt
(Band 2., Seite 2-19) scheint uns interessant genug, um hier angeführt zu
werden. Sie schreibt den 28. Jan. -1804: "Wir sind in einer ewigen Spannung
des Geistes. Während unsre Gemüther lieber zum stillen Nachdenken geneigt
wären, müssen wir auf der Spitze stehen und Witz und Scharfsinn aufbieten,
um der witzigbelebten StaiU die Spitze zu bieten. Sie ist in ewiger Bewegung
und will alles wissen, alles sehen und prüfen. Bei diesem Ernst in ihrem
Geiste hat sie doch das superficielle Wesen der Franzosen und ich möchte
sagen, beinahe eine Frechheit in ihren Urtheilen, die uns Deutschen, die lieber
alles zum besten legen möchten, zuweilen anstößt, aber bei ihr aus keiner
schlimmern Quelle kommt und aus einer edlen Liebe zur Wahrheit entspringt.
Aber in der Societät ist das Runde doch willkommener als die Spitze und
immer aus der Lauer sein zu müssen, die scheinbaren Blößen zuzudecken, ist
angreifend. Die Franzosen sind viel strenger und kühler als wir und lassen
nicht so leicht hingehen, was wir entweder aus Vernunft oder aus Resignation
tragen und es lieber zudecken als aufdecken. Bei der Staöl hört man alles
nicht ungern, weil sie eine schöne Sprache hat und kein unbedeutendes Wort
sagt; aber das Raisonniren über die deutschen Kunstwerke, über die Meister¬
werke der Franzosen, über ihre Einheit des Orts u. s. w. würde mir in Paris
selbst und von leeren, unbedeutenden Menschen äußerst fatal sein. Die Vo-
lubilität der Zunge ist unbeschreiblich. Humboldt ist gar nichts gegen die
Staöl und der kann manchmal doch recht schwatzen. Der Herzog ist sehr von
ihr eigenommen und hat allen Esprit aufgeboten und ist sehr artig; sie findet
ihn auch so u. s, w." -- Der Kreis, der uns in diesen Briefen begegnet, ist
im Allgemeinen derselbe, den wir aus den Briefen der Rahel kennen. Ueber¬
haupt war in jener Zeit die Classe der literarisch Gebildeten, die durch ganz
Deutschland zusammenhing, doch eine sehr geschlossene und stand mit dem


^ >"-

verehren gelernt hat, kann aus diesen Fragmenten die richtige Stimmung ge¬
winnen. Sehr schön ist namentlich ein Brief deö Herzogs (Band 1., Seite
-180) aus dem Jahre -1801, der nicht nur eine große Theilnahme, sondern
eine fast kindliche Verehrung für Schiller ausdrückt. Die Briefe Wilhelms von
Humboldt sind so bedeutend und liebenswürdig wie alles, was dieser außer¬
ordentliche Mann auch in seinen Nebenstunden geschrieben hat. Der wichtigste
Theil der Sammlung sind die Briefe Schillers an beide Schwestern, nament¬
lich vor seiner Verheirathung. (Band 1., Seite -163—-!2i.) Bor seiner Gemahlin
Charlotte gewinnen wir eine sehr große Achtung, namentlich aus einem Brief,
den sie gleich nach ihrer Verheirathung an Wolzogen schrieb (Band 2., Seite -193)
und der das Verhältniß sehr schön charakterisiert. Bekanntlich ging Goethe schon
früher mit dem Lengefeldschen Hause um, sah auch Schiller dort zum ersten Male
und es war zum Theil der Einfluß Charlottens, der das Verhältniß so günstig
gestaltete. — Das Urtheil, welches Charlotte über Fran von StaÄ fällt
(Band 2., Seite 2-19) scheint uns interessant genug, um hier angeführt zu
werden. Sie schreibt den 28. Jan. -1804: „Wir sind in einer ewigen Spannung
des Geistes. Während unsre Gemüther lieber zum stillen Nachdenken geneigt
wären, müssen wir auf der Spitze stehen und Witz und Scharfsinn aufbieten,
um der witzigbelebten StaiU die Spitze zu bieten. Sie ist in ewiger Bewegung
und will alles wissen, alles sehen und prüfen. Bei diesem Ernst in ihrem
Geiste hat sie doch das superficielle Wesen der Franzosen und ich möchte
sagen, beinahe eine Frechheit in ihren Urtheilen, die uns Deutschen, die lieber
alles zum besten legen möchten, zuweilen anstößt, aber bei ihr aus keiner
schlimmern Quelle kommt und aus einer edlen Liebe zur Wahrheit entspringt.
Aber in der Societät ist das Runde doch willkommener als die Spitze und
immer aus der Lauer sein zu müssen, die scheinbaren Blößen zuzudecken, ist
angreifend. Die Franzosen sind viel strenger und kühler als wir und lassen
nicht so leicht hingehen, was wir entweder aus Vernunft oder aus Resignation
tragen und es lieber zudecken als aufdecken. Bei der Staöl hört man alles
nicht ungern, weil sie eine schöne Sprache hat und kein unbedeutendes Wort
sagt; aber das Raisonniren über die deutschen Kunstwerke, über die Meister¬
werke der Franzosen, über ihre Einheit des Orts u. s. w. würde mir in Paris
selbst und von leeren, unbedeutenden Menschen äußerst fatal sein. Die Vo-
lubilität der Zunge ist unbeschreiblich. Humboldt ist gar nichts gegen die
Staöl und der kann manchmal doch recht schwatzen. Der Herzog ist sehr von
ihr eigenommen und hat allen Esprit aufgeboten und ist sehr artig; sie findet
ihn auch so u. s, w." — Der Kreis, der uns in diesen Briefen begegnet, ist
im Allgemeinen derselbe, den wir aus den Briefen der Rahel kennen. Ueber¬
haupt war in jener Zeit die Classe der literarisch Gebildeten, die durch ganz
Deutschland zusammenhing, doch eine sehr geschlossene und stand mit dem


^ >»-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0059" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/99445"/>
            <p xml:id="ID_172" prev="#ID_171" next="#ID_173"> verehren gelernt hat, kann aus diesen Fragmenten die richtige Stimmung ge¬<lb/>
winnen.  Sehr schön ist namentlich ein Brief deö Herzogs (Band 1., Seite<lb/>
-180) aus dem Jahre -1801, der nicht nur eine große Theilnahme, sondern<lb/>
eine fast kindliche Verehrung für Schiller ausdrückt. Die Briefe Wilhelms von<lb/>
Humboldt sind so bedeutend und liebenswürdig wie alles, was dieser außer¬<lb/>
ordentliche Mann auch in seinen Nebenstunden geschrieben hat. Der wichtigste<lb/>
Theil der Sammlung sind die Briefe Schillers an beide Schwestern, nament¬<lb/>
lich vor seiner Verheirathung. (Band 1., Seite -163&#x2014;-!2i.) Bor seiner Gemahlin<lb/>
Charlotte gewinnen wir eine sehr große Achtung, namentlich aus einem Brief,<lb/>
den sie gleich nach ihrer Verheirathung an Wolzogen schrieb (Band 2., Seite -193)<lb/>
und der das Verhältniß sehr schön charakterisiert. Bekanntlich ging Goethe schon<lb/>
früher mit dem Lengefeldschen Hause um, sah auch Schiller dort zum ersten Male<lb/>
und es war zum Theil der Einfluß Charlottens, der das Verhältniß so günstig<lb/>
gestaltete. &#x2014; Das Urtheil, welches Charlotte über Fran von StaÄ fällt<lb/>
(Band 2., Seite 2-19) scheint uns interessant genug, um hier angeführt zu<lb/>
werden. Sie schreibt den 28. Jan. -1804: &#x201E;Wir sind in einer ewigen Spannung<lb/>
des Geistes.  Während unsre Gemüther lieber zum stillen Nachdenken geneigt<lb/>
wären, müssen wir auf der Spitze stehen und Witz und Scharfsinn aufbieten,<lb/>
um der witzigbelebten StaiU die Spitze zu bieten. Sie ist in ewiger Bewegung<lb/>
und will alles wissen, alles sehen und prüfen.  Bei diesem Ernst in ihrem<lb/>
Geiste hat sie doch das superficielle Wesen der Franzosen und ich möchte<lb/>
sagen, beinahe eine Frechheit in ihren Urtheilen, die uns Deutschen, die lieber<lb/>
alles zum besten legen möchten, zuweilen anstößt, aber bei ihr aus keiner<lb/>
schlimmern Quelle kommt und aus einer edlen Liebe zur Wahrheit entspringt.<lb/>
Aber in der Societät ist das Runde doch willkommener als die Spitze und<lb/>
immer aus der Lauer sein zu müssen, die scheinbaren Blößen zuzudecken, ist<lb/>
angreifend.  Die Franzosen sind viel strenger und kühler als wir und lassen<lb/>
nicht so leicht hingehen, was wir entweder aus Vernunft oder aus Resignation<lb/>
tragen und es lieber zudecken als aufdecken.  Bei der Staöl hört man alles<lb/>
nicht ungern, weil sie eine schöne Sprache hat und kein unbedeutendes Wort<lb/>
sagt; aber das Raisonniren über die deutschen Kunstwerke, über die Meister¬<lb/>
werke der Franzosen, über ihre Einheit des Orts u. s. w. würde mir in Paris<lb/>
selbst und von leeren, unbedeutenden Menschen äußerst fatal sein.  Die Vo-<lb/>
lubilität der Zunge ist unbeschreiblich.  Humboldt ist gar nichts gegen die<lb/>
Staöl und der kann manchmal doch recht schwatzen.  Der Herzog ist sehr von<lb/>
ihr eigenommen und hat allen Esprit aufgeboten und ist sehr artig; sie findet<lb/>
ihn auch so u. s, w." &#x2014; Der Kreis, der uns in diesen Briefen begegnet, ist<lb/>
im Allgemeinen derselbe, den wir aus den Briefen der Rahel kennen. Ueber¬<lb/>
haupt war in jener Zeit die Classe der literarisch Gebildeten, die durch ganz<lb/>
Deutschland zusammenhing, doch eine sehr geschlossene und stand mit dem</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> ^ &gt;»-</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0059] verehren gelernt hat, kann aus diesen Fragmenten die richtige Stimmung ge¬ winnen. Sehr schön ist namentlich ein Brief deö Herzogs (Band 1., Seite -180) aus dem Jahre -1801, der nicht nur eine große Theilnahme, sondern eine fast kindliche Verehrung für Schiller ausdrückt. Die Briefe Wilhelms von Humboldt sind so bedeutend und liebenswürdig wie alles, was dieser außer¬ ordentliche Mann auch in seinen Nebenstunden geschrieben hat. Der wichtigste Theil der Sammlung sind die Briefe Schillers an beide Schwestern, nament¬ lich vor seiner Verheirathung. (Band 1., Seite -163—-!2i.) Bor seiner Gemahlin Charlotte gewinnen wir eine sehr große Achtung, namentlich aus einem Brief, den sie gleich nach ihrer Verheirathung an Wolzogen schrieb (Band 2., Seite -193) und der das Verhältniß sehr schön charakterisiert. Bekanntlich ging Goethe schon früher mit dem Lengefeldschen Hause um, sah auch Schiller dort zum ersten Male und es war zum Theil der Einfluß Charlottens, der das Verhältniß so günstig gestaltete. — Das Urtheil, welches Charlotte über Fran von StaÄ fällt (Band 2., Seite 2-19) scheint uns interessant genug, um hier angeführt zu werden. Sie schreibt den 28. Jan. -1804: „Wir sind in einer ewigen Spannung des Geistes. Während unsre Gemüther lieber zum stillen Nachdenken geneigt wären, müssen wir auf der Spitze stehen und Witz und Scharfsinn aufbieten, um der witzigbelebten StaiU die Spitze zu bieten. Sie ist in ewiger Bewegung und will alles wissen, alles sehen und prüfen. Bei diesem Ernst in ihrem Geiste hat sie doch das superficielle Wesen der Franzosen und ich möchte sagen, beinahe eine Frechheit in ihren Urtheilen, die uns Deutschen, die lieber alles zum besten legen möchten, zuweilen anstößt, aber bei ihr aus keiner schlimmern Quelle kommt und aus einer edlen Liebe zur Wahrheit entspringt. Aber in der Societät ist das Runde doch willkommener als die Spitze und immer aus der Lauer sein zu müssen, die scheinbaren Blößen zuzudecken, ist angreifend. Die Franzosen sind viel strenger und kühler als wir und lassen nicht so leicht hingehen, was wir entweder aus Vernunft oder aus Resignation tragen und es lieber zudecken als aufdecken. Bei der Staöl hört man alles nicht ungern, weil sie eine schöne Sprache hat und kein unbedeutendes Wort sagt; aber das Raisonniren über die deutschen Kunstwerke, über die Meister¬ werke der Franzosen, über ihre Einheit des Orts u. s. w. würde mir in Paris selbst und von leeren, unbedeutenden Menschen äußerst fatal sein. Die Vo- lubilität der Zunge ist unbeschreiblich. Humboldt ist gar nichts gegen die Staöl und der kann manchmal doch recht schwatzen. Der Herzog ist sehr von ihr eigenommen und hat allen Esprit aufgeboten und ist sehr artig; sie findet ihn auch so u. s, w." — Der Kreis, der uns in diesen Briefen begegnet, ist im Allgemeinen derselbe, den wir aus den Briefen der Rahel kennen. Ueber¬ haupt war in jener Zeit die Classe der literarisch Gebildeten, die durch ganz Deutschland zusammenhing, doch eine sehr geschlossene und stand mit dem ^ >»-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/59
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/59>, abgerufen am 26.05.2024.