Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Stellung bei der Negierung. Der Tod seines Vaters rief ihn im Herbst -1804
nach Leipzig. Noch im December desselben Jahres starb er an der galoppiren-
den Schwindsucht. Das Weitere muß man in dem Briefwechsel zwischen
Schiller und Körner nachlesen.

Therese Huber lebte nach dem Tode ihres Gemahls bei ihrem Schwieger¬
sohn in Baiern und erhielt sich von literarischen Arbeiten. 1819 übernahm
sie die Redaction des Morgenblattes und starb 1829. -- Sie war in ihrer
Jugend ein Mitglied des Tugendbundes gewesen, der sich unter den Auspicien
der Henriette Herz in Berlin gebildet hatte. Sie war ferner eine intime
Freundin von Caroline Schlegel und Caroline von Humboldt. Ihre Erzäh¬
lungen wurde" 1830 von ihrem Sohn V. A. Huber (geb. 1800) heraus¬
gegeben. ,

In dem Nachlaß Hubers interesstren uns namentlich die literarischen Ur¬
theile, die meistens sehr verständig sind. Die Novelle "Weltsinn und Frömmig¬
keit" beruht auf Reminiscenzen seines eignen Lebens. Bekanntlich war Huber
der erste, der in der "Allgemeinen Literaturzeitung" ein lebhaftes Wort der
Anerkennung für Heinrich von Kleist fand. -- Ueber Goethes "Tasso" sprach
er sich -1790 sehr verehrend aus, doch konnte er nicht unterlassen, hinzuzusetzen:
"der erste Eindruck ist freilich widrig; es ist eine Art von tragischer Satire, in
die man sich nicht gern findet;/aber das verschwindet in der Folge immer mehr.
Man trifft auch mit dem Dichter eine Art von Uebereinkunft über seine weit¬
schweifige Behandlung, über seine Auseinandersetzung durch unendliche Mono¬
loge, bei denen nicht einmal der Anstrich von Natürlichkeit gesucht worden ist
.... Man bewundert die seltsame Combination in der äußersten Paradorie des
Gedankens und der höchsten Simplicität der Ausführung." -- Ueber den Faust
sagt er: "es ist ein tolles, unbefriedigendes Gemengsel, aber freilich voll von
Schönheiten, die ganz einzig sind. Im Lesen und wenn man fertig ist, fallen
verschiedene Stellen auf, >in welchen man einen verborgenen Sinn ahnt und
die auf eine hohe philosophische Idee des Ganzen zu deuten scheinen; aber ich
glaube, daß man sich am Ende irrt, und Goethe scheint im Gange der Geschichte
der plumpen Pöbelmoral, die in der Tradition liegt, getreu geblieben zu sein.
Faust ergibt sich dem Teufel, der ihn liederlich macht und am Ende holt. In
Mephistopheles Plan scheint nichts Anderes zu liegen, als die Sinnlichkeit
zum Werkzeug von Fausts Verderben zu machen .... Oder meint es Goethe
so, daß der Teufel, daß der höhere Geist selbst einen Menschen von Fausts
Gehalt mißverstand? Das scheint doch nicht. Vielmehr persistirt Mephistopheles
alles Geistige im Menschen, alle Empfindung, weil ihm anschaulich ist, daß
alles das in der Materie, in den Sinnen sich verliert; daß dem kraftvollen
Genie das abstracte Denken nicht genügt, gibt er ja als den Keim seines
Verderbens an .... Daß Goethe darum den hohen menschlichen Werth Fausts


Stellung bei der Negierung. Der Tod seines Vaters rief ihn im Herbst -1804
nach Leipzig. Noch im December desselben Jahres starb er an der galoppiren-
den Schwindsucht. Das Weitere muß man in dem Briefwechsel zwischen
Schiller und Körner nachlesen.

Therese Huber lebte nach dem Tode ihres Gemahls bei ihrem Schwieger¬
sohn in Baiern und erhielt sich von literarischen Arbeiten. 1819 übernahm
sie die Redaction des Morgenblattes und starb 1829. — Sie war in ihrer
Jugend ein Mitglied des Tugendbundes gewesen, der sich unter den Auspicien
der Henriette Herz in Berlin gebildet hatte. Sie war ferner eine intime
Freundin von Caroline Schlegel und Caroline von Humboldt. Ihre Erzäh¬
lungen wurde« 1830 von ihrem Sohn V. A. Huber (geb. 1800) heraus¬
gegeben. ,

In dem Nachlaß Hubers interesstren uns namentlich die literarischen Ur¬
theile, die meistens sehr verständig sind. Die Novelle „Weltsinn und Frömmig¬
keit" beruht auf Reminiscenzen seines eignen Lebens. Bekanntlich war Huber
der erste, der in der „Allgemeinen Literaturzeitung" ein lebhaftes Wort der
Anerkennung für Heinrich von Kleist fand. — Ueber Goethes „Tasso" sprach
er sich -1790 sehr verehrend aus, doch konnte er nicht unterlassen, hinzuzusetzen:
„der erste Eindruck ist freilich widrig; es ist eine Art von tragischer Satire, in
die man sich nicht gern findet;/aber das verschwindet in der Folge immer mehr.
Man trifft auch mit dem Dichter eine Art von Uebereinkunft über seine weit¬
schweifige Behandlung, über seine Auseinandersetzung durch unendliche Mono¬
loge, bei denen nicht einmal der Anstrich von Natürlichkeit gesucht worden ist
.... Man bewundert die seltsame Combination in der äußersten Paradorie des
Gedankens und der höchsten Simplicität der Ausführung." — Ueber den Faust
sagt er: „es ist ein tolles, unbefriedigendes Gemengsel, aber freilich voll von
Schönheiten, die ganz einzig sind. Im Lesen und wenn man fertig ist, fallen
verschiedene Stellen auf, >in welchen man einen verborgenen Sinn ahnt und
die auf eine hohe philosophische Idee des Ganzen zu deuten scheinen; aber ich
glaube, daß man sich am Ende irrt, und Goethe scheint im Gange der Geschichte
der plumpen Pöbelmoral, die in der Tradition liegt, getreu geblieben zu sein.
Faust ergibt sich dem Teufel, der ihn liederlich macht und am Ende holt. In
Mephistopheles Plan scheint nichts Anderes zu liegen, als die Sinnlichkeit
zum Werkzeug von Fausts Verderben zu machen .... Oder meint es Goethe
so, daß der Teufel, daß der höhere Geist selbst einen Menschen von Fausts
Gehalt mißverstand? Das scheint doch nicht. Vielmehr persistirt Mephistopheles
alles Geistige im Menschen, alle Empfindung, weil ihm anschaulich ist, daß
alles das in der Materie, in den Sinnen sich verliert; daß dem kraftvollen
Genie das abstracte Denken nicht genügt, gibt er ja als den Keim seines
Verderbens an .... Daß Goethe darum den hohen menschlichen Werth Fausts


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0063" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/99449"/>
            <p xml:id="ID_180" prev="#ID_179"> Stellung bei der Negierung. Der Tod seines Vaters rief ihn im Herbst -1804<lb/>
nach Leipzig. Noch im December desselben Jahres starb er an der galoppiren-<lb/>
den Schwindsucht. Das Weitere muß man in dem Briefwechsel zwischen<lb/>
Schiller und Körner nachlesen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_181"> Therese Huber lebte nach dem Tode ihres Gemahls bei ihrem Schwieger¬<lb/>
sohn in Baiern und erhielt sich von literarischen Arbeiten. 1819 übernahm<lb/>
sie die Redaction des Morgenblattes und starb 1829. &#x2014; Sie war in ihrer<lb/>
Jugend ein Mitglied des Tugendbundes gewesen, der sich unter den Auspicien<lb/>
der Henriette Herz in Berlin gebildet hatte. Sie war ferner eine intime<lb/>
Freundin von Caroline Schlegel und Caroline von Humboldt. Ihre Erzäh¬<lb/>
lungen wurde« 1830 von ihrem Sohn V. A. Huber (geb. 1800) heraus¬<lb/>
gegeben. ,</p><lb/>
            <p xml:id="ID_182" next="#ID_183"> In dem Nachlaß Hubers interesstren uns namentlich die literarischen Ur¬<lb/>
theile, die meistens sehr verständig sind. Die Novelle &#x201E;Weltsinn und Frömmig¬<lb/>
keit" beruht auf Reminiscenzen seines eignen Lebens. Bekanntlich war Huber<lb/>
der erste, der in der &#x201E;Allgemeinen Literaturzeitung" ein lebhaftes Wort der<lb/>
Anerkennung für Heinrich von Kleist fand. &#x2014; Ueber Goethes &#x201E;Tasso" sprach<lb/>
er sich -1790 sehr verehrend aus, doch konnte er nicht unterlassen, hinzuzusetzen:<lb/>
&#x201E;der erste Eindruck ist freilich widrig; es ist eine Art von tragischer Satire, in<lb/>
die man sich nicht gern findet;/aber das verschwindet in der Folge immer mehr.<lb/>
Man trifft auch mit dem Dichter eine Art von Uebereinkunft über seine weit¬<lb/>
schweifige Behandlung, über seine Auseinandersetzung durch unendliche Mono¬<lb/>
loge, bei denen nicht einmal der Anstrich von Natürlichkeit gesucht worden ist<lb/>
.... Man bewundert die seltsame Combination in der äußersten Paradorie des<lb/>
Gedankens und der höchsten Simplicität der Ausführung." &#x2014; Ueber den Faust<lb/>
sagt er: &#x201E;es ist ein tolles, unbefriedigendes Gemengsel, aber freilich voll von<lb/>
Schönheiten, die ganz einzig sind. Im Lesen und wenn man fertig ist, fallen<lb/>
verschiedene Stellen auf, &gt;in welchen man einen verborgenen Sinn ahnt und<lb/>
die auf eine hohe philosophische Idee des Ganzen zu deuten scheinen; aber ich<lb/>
glaube, daß man sich am Ende irrt, und Goethe scheint im Gange der Geschichte<lb/>
der plumpen Pöbelmoral, die in der Tradition liegt, getreu geblieben zu sein.<lb/>
Faust ergibt sich dem Teufel, der ihn liederlich macht und am Ende holt. In<lb/>
Mephistopheles Plan scheint nichts Anderes zu liegen, als die Sinnlichkeit<lb/>
zum Werkzeug von Fausts Verderben zu machen .... Oder meint es Goethe<lb/>
so, daß der Teufel, daß der höhere Geist selbst einen Menschen von Fausts<lb/>
Gehalt mißverstand? Das scheint doch nicht. Vielmehr persistirt Mephistopheles<lb/>
alles Geistige im Menschen, alle Empfindung, weil ihm anschaulich ist, daß<lb/>
alles das in der Materie, in den Sinnen sich verliert; daß dem kraftvollen<lb/>
Genie das abstracte Denken nicht genügt, gibt er ja als den Keim seines<lb/>
Verderbens an .... Daß Goethe darum den hohen menschlichen Werth Fausts</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0063] Stellung bei der Negierung. Der Tod seines Vaters rief ihn im Herbst -1804 nach Leipzig. Noch im December desselben Jahres starb er an der galoppiren- den Schwindsucht. Das Weitere muß man in dem Briefwechsel zwischen Schiller und Körner nachlesen. Therese Huber lebte nach dem Tode ihres Gemahls bei ihrem Schwieger¬ sohn in Baiern und erhielt sich von literarischen Arbeiten. 1819 übernahm sie die Redaction des Morgenblattes und starb 1829. — Sie war in ihrer Jugend ein Mitglied des Tugendbundes gewesen, der sich unter den Auspicien der Henriette Herz in Berlin gebildet hatte. Sie war ferner eine intime Freundin von Caroline Schlegel und Caroline von Humboldt. Ihre Erzäh¬ lungen wurde« 1830 von ihrem Sohn V. A. Huber (geb. 1800) heraus¬ gegeben. , In dem Nachlaß Hubers interesstren uns namentlich die literarischen Ur¬ theile, die meistens sehr verständig sind. Die Novelle „Weltsinn und Frömmig¬ keit" beruht auf Reminiscenzen seines eignen Lebens. Bekanntlich war Huber der erste, der in der „Allgemeinen Literaturzeitung" ein lebhaftes Wort der Anerkennung für Heinrich von Kleist fand. — Ueber Goethes „Tasso" sprach er sich -1790 sehr verehrend aus, doch konnte er nicht unterlassen, hinzuzusetzen: „der erste Eindruck ist freilich widrig; es ist eine Art von tragischer Satire, in die man sich nicht gern findet;/aber das verschwindet in der Folge immer mehr. Man trifft auch mit dem Dichter eine Art von Uebereinkunft über seine weit¬ schweifige Behandlung, über seine Auseinandersetzung durch unendliche Mono¬ loge, bei denen nicht einmal der Anstrich von Natürlichkeit gesucht worden ist .... Man bewundert die seltsame Combination in der äußersten Paradorie des Gedankens und der höchsten Simplicität der Ausführung." — Ueber den Faust sagt er: „es ist ein tolles, unbefriedigendes Gemengsel, aber freilich voll von Schönheiten, die ganz einzig sind. Im Lesen und wenn man fertig ist, fallen verschiedene Stellen auf, >in welchen man einen verborgenen Sinn ahnt und die auf eine hohe philosophische Idee des Ganzen zu deuten scheinen; aber ich glaube, daß man sich am Ende irrt, und Goethe scheint im Gange der Geschichte der plumpen Pöbelmoral, die in der Tradition liegt, getreu geblieben zu sein. Faust ergibt sich dem Teufel, der ihn liederlich macht und am Ende holt. In Mephistopheles Plan scheint nichts Anderes zu liegen, als die Sinnlichkeit zum Werkzeug von Fausts Verderben zu machen .... Oder meint es Goethe so, daß der Teufel, daß der höhere Geist selbst einen Menschen von Fausts Gehalt mißverstand? Das scheint doch nicht. Vielmehr persistirt Mephistopheles alles Geistige im Menschen, alle Empfindung, weil ihm anschaulich ist, daß alles das in der Materie, in den Sinnen sich verliert; daß dem kraftvollen Genie das abstracte Denken nicht genügt, gibt er ja als den Keim seines Verderbens an .... Daß Goethe darum den hohen menschlichen Werth Fausts

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/63
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/63>, abgerufen am 27.05.2024.