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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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der Russen aus. Ich glaube, daß die Logik in dieser Schlußfolgerung nicht
angefochten werden kann.

Aus demselben Grunde waren diejenigen nicht in so großem Unrecht,
welche der Krimunternehmung noch im Monat October große und schnelle
Resultate prophezeiten. Der Mangel jedes leitenden Gedankens bei den
Führern stand damals noch nicht außer allem Zweisel, wie jetzt. Man ahnte
erst leise die Jämmerlichkeit der englischen Armeeverwaltung. Obwol man be¬
reits gesehen hatte, daß der englisch-französische Generalstab sich über die Noth¬
wendigkeit, den Fürsten Menschikoff an der Alma entscheidend zu schlagen und
sein Armeecorps in eine auswegslose Katastrophe zu stürzen, nicht klar gewesen
war, gab dies doch noch nicht die Berechtigung zu der Folgerung, paß der
Nachfolger des unwissenden, effecthaschenden und den Krieg als ein Hazard-
spiel behandelnden Marschalls Samt Arnaud, mit andern Worten, daß Ge¬
neral Canrobert ein militärisch confuser Kopf sei, ohne höhere Auffassungs¬
gabe und von so beschränktem Urtheil, daß er es vorziehen werde, sich aus
dem engen Terrain zwischen Balaklava, Kamiesch und der Festung zu lagern,
einschließen und zum Blokirteu machen zu lassen, anstatt eine Stellung zwischen
Balaklava und dem Bethel zu suchen, Sebastopol und die Nordforts dadurch
von der Armee Menschikoffs zu isoliren und den Organismus des feindlichen
Widerstandes in dieser Weise gleich durch die Einleitung der Angriffsoperationen
zu brechen.

Im Nachstehenden will ich auf den beziehungsweisen Werth der Befehls¬
haber der einen und der andern Partei, d. h aus das Verdienst, welches
Menschikoff. Osten-Sacken, Liprandi einerseits und Canrobert, Omer Pascha,
Lord Raglan andrerseits in Anspruch nehmen dürfen, nicht im Nähern ein¬
gehen; diese Größen sind nicht stetiger Natur, weil sie ersetzt, durch einen
Wechsel im Commando aufgehoben und außer Rechnung gestellt werden können;
sie sind darum auch von weit geringerer Bedeutung, als die Massen"), welche
von ihnen gelenkt werden, weil deren Charakter nothwendig ein gleichbleibender
ist und ein merklicher Unterschied in Betreff der Güte der Truppen sich erst in
der letzten Periode großer, langdauernder und mörderischer Kriege herausstellt,
wenn die Bataillone bis auf die Cavrcö aus den frischen Nachschüben re-
formirt werden mußten, die Veteranen verbraucht sind und es an krieggewohn¬
ten Offizieren zu fehlen beginnt. Mein Gegenstand in den folgenden Blättern
>>t eS vielmehr, den relativen Werth ver gleichnamigen Waffen in den vier
Armeen zu ermitteln, um mittelst dieses Verfahrens zu einem bestimmten Urtheil



*) Man wird mich hier nicht mißverstehen. Wenn ein Friedrich II- oder Napoleon I. an
der Spitze einer Armee stehe", ruht in ihnen der Schwerpunkt der Bedeutung ganz unbestritten,
weil nichts Gleichwiegcndev ihnen gegenüber "ut neben ihnen sich vorfindet, Dagegen mag
es annähernd gleichgiltig sein. ob der Befehlshaber der französischen Krimarmce Saint Ar-
"and oder Canrvverl heisjl.
Grenzboten. II. >"oll. "

der Russen aus. Ich glaube, daß die Logik in dieser Schlußfolgerung nicht
angefochten werden kann.

Aus demselben Grunde waren diejenigen nicht in so großem Unrecht,
welche der Krimunternehmung noch im Monat October große und schnelle
Resultate prophezeiten. Der Mangel jedes leitenden Gedankens bei den
Führern stand damals noch nicht außer allem Zweisel, wie jetzt. Man ahnte
erst leise die Jämmerlichkeit der englischen Armeeverwaltung. Obwol man be¬
reits gesehen hatte, daß der englisch-französische Generalstab sich über die Noth¬
wendigkeit, den Fürsten Menschikoff an der Alma entscheidend zu schlagen und
sein Armeecorps in eine auswegslose Katastrophe zu stürzen, nicht klar gewesen
war, gab dies doch noch nicht die Berechtigung zu der Folgerung, paß der
Nachfolger des unwissenden, effecthaschenden und den Krieg als ein Hazard-
spiel behandelnden Marschalls Samt Arnaud, mit andern Worten, daß Ge¬
neral Canrobert ein militärisch confuser Kopf sei, ohne höhere Auffassungs¬
gabe und von so beschränktem Urtheil, daß er es vorziehen werde, sich aus
dem engen Terrain zwischen Balaklava, Kamiesch und der Festung zu lagern,
einschließen und zum Blokirteu machen zu lassen, anstatt eine Stellung zwischen
Balaklava und dem Bethel zu suchen, Sebastopol und die Nordforts dadurch
von der Armee Menschikoffs zu isoliren und den Organismus des feindlichen
Widerstandes in dieser Weise gleich durch die Einleitung der Angriffsoperationen
zu brechen.

Im Nachstehenden will ich auf den beziehungsweisen Werth der Befehls¬
haber der einen und der andern Partei, d. h aus das Verdienst, welches
Menschikoff. Osten-Sacken, Liprandi einerseits und Canrobert, Omer Pascha,
Lord Raglan andrerseits in Anspruch nehmen dürfen, nicht im Nähern ein¬
gehen; diese Größen sind nicht stetiger Natur, weil sie ersetzt, durch einen
Wechsel im Commando aufgehoben und außer Rechnung gestellt werden können;
sie sind darum auch von weit geringerer Bedeutung, als die Massen"), welche
von ihnen gelenkt werden, weil deren Charakter nothwendig ein gleichbleibender
ist und ein merklicher Unterschied in Betreff der Güte der Truppen sich erst in
der letzten Periode großer, langdauernder und mörderischer Kriege herausstellt,
wenn die Bataillone bis auf die Cavrcö aus den frischen Nachschüben re-
formirt werden mußten, die Veteranen verbraucht sind und es an krieggewohn¬
ten Offizieren zu fehlen beginnt. Mein Gegenstand in den folgenden Blättern
>>t eS vielmehr, den relativen Werth ver gleichnamigen Waffen in den vier
Armeen zu ermitteln, um mittelst dieses Verfahrens zu einem bestimmten Urtheil



*) Man wird mich hier nicht mißverstehen. Wenn ein Friedrich II- oder Napoleon I. an
der Spitze einer Armee stehe», ruht in ihnen der Schwerpunkt der Bedeutung ganz unbestritten,
weil nichts Gleichwiegcndev ihnen gegenüber »ut neben ihnen sich vorfindet, Dagegen mag
es annähernd gleichgiltig sein. ob der Befehlshaber der französischen Krimarmce Saint Ar-
»and oder Canrvverl heisjl.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/65>, abgerufen am 27.05.2024.