Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

herzliche Freude an allem, das ein Dasein hat, dessen es froh sein kann, die
sich unerschöpflich an jeder neuen Erscheinung von neuem bewährt. Wenn
mau es mit Recht als einen Mangel des Tertes bezeichnet hat, daß keine
rechte Abwechslung in der Stimmung ist, keine Gegensätze hervortreten und
namentlich die Chöre und Ensembles nur Lob und Preis ausdrücken, so ist
der Reichthum und die Frische, mit welcher Haydn dieser Grundstimmung einen
stets wechselnden Ausdruck zu geben vermag, der alle Stufen von der fröhlich¬
sten Heiterkeit bis zur staunenden Verehrung durchläuft, um so bewunderungs¬
würdiger. Denn wer etwa Haydn nur im kleinen, leichten Gerr'e gelten lassen
möchte, den braucht man nur an den Schluß des ersten Theils zu erinnern,
wo sich die Tonmassen in einer nicht endenden Steigerung zum großartigsten
Dom wölben, oder an die Worte "Dich beten Erd und Himmel an", die vom
geheimnißvollen Schauer des Heiligen durchdrungen sind, gar nicht zu reden
von dem wunderbaren: "Es werde Licht!" Daß alles mit den einfachsten
Mitteln erreicht ist, so klar und durchsichtig, daß jeder meint, eS müsse nur so
sein und er könne es auch so, daS ist ja doch nur ein Beweis des bewunde¬
rungswürdigen Genies, das mit Kleinem Großes wirkt, weil eS alles und
jegliches grade dahin stellt, wo es stehen soll und muß. Man spricht soviel
von Haydns kindlicher Naivetät -- mit gutem Fug, wenn man darunter die
unversiegbare Kraft einer genialen Natur versteht, jeder künstlerischen Auf¬
gabe sich unbefangen hinzugeben, sie ihrem Keim und Wesen nach aufzufassen
und frei aus sich zu gestalten, welcher alle Erfahrung, alle Mühe und Arbeit
eines unausgesetzt strebenden Lebens zur gesunden Nahrung und Kräftigung
dient, Haydn vollendete die Schöpfung im Jahr 179", er war damals
<)K Jahr alt, und man darf sich deshalb noch mehr über die jugendliche Frische
der Erfindung verwundern als über die außerordentliche Weisheit in der An¬
wendung aller Mittel einer Kunst, die ihn unausgesetzt beschäftigt hatte. Was
die technische Ausführung anlangt, so bewunderte man seiner Zeit besonders
die geschickte Behandlung des Orchester", vorzugsweise der Blasinstrumente.
Daß hierauf Mozart einen entscheidenden Einfluß geübt hat, ist bei aller in¬
dividuellen Selbstständigkeit unverkennbar und von Haydn am bereitwilligsten
anerkannt, der kurze Zeit vor seinem Tode gegen einen Fremden, der ihn be¬
suchte, sich beklagte, daß der Mensch sterben müsse, wenn er kaum soweit sei,
das anzuwenden, was er gelernt habe; so glaube er eS jetzt gelernt zu haben,
wie man die Blasinstrumente gebrauchen müsse und könne, dem Tode nahe,
sein Wissen nicht mehr nützen. So wohlthuend auch der Ueberreizung der
modernen Jnstrumentation gegenüber die schöne und bei allem Reichthum klare
Wirkung eines Orchesters ist, so imponirt die Behandlung der Singstimmen,
welche auf einem gründlichen Studium der Gesangskunst beruht, heutzutage
noch mehr. Der Gesang ist der Natur der Stimmen angemessen, die Aus-


herzliche Freude an allem, das ein Dasein hat, dessen es froh sein kann, die
sich unerschöpflich an jeder neuen Erscheinung von neuem bewährt. Wenn
mau es mit Recht als einen Mangel des Tertes bezeichnet hat, daß keine
rechte Abwechslung in der Stimmung ist, keine Gegensätze hervortreten und
namentlich die Chöre und Ensembles nur Lob und Preis ausdrücken, so ist
der Reichthum und die Frische, mit welcher Haydn dieser Grundstimmung einen
stets wechselnden Ausdruck zu geben vermag, der alle Stufen von der fröhlich¬
sten Heiterkeit bis zur staunenden Verehrung durchläuft, um so bewunderungs¬
würdiger. Denn wer etwa Haydn nur im kleinen, leichten Gerr'e gelten lassen
möchte, den braucht man nur an den Schluß des ersten Theils zu erinnern,
wo sich die Tonmassen in einer nicht endenden Steigerung zum großartigsten
Dom wölben, oder an die Worte „Dich beten Erd und Himmel an", die vom
geheimnißvollen Schauer des Heiligen durchdrungen sind, gar nicht zu reden
von dem wunderbaren: „Es werde Licht!" Daß alles mit den einfachsten
Mitteln erreicht ist, so klar und durchsichtig, daß jeder meint, eS müsse nur so
sein und er könne es auch so, daS ist ja doch nur ein Beweis des bewunde¬
rungswürdigen Genies, das mit Kleinem Großes wirkt, weil eS alles und
jegliches grade dahin stellt, wo es stehen soll und muß. Man spricht soviel
von Haydns kindlicher Naivetät — mit gutem Fug, wenn man darunter die
unversiegbare Kraft einer genialen Natur versteht, jeder künstlerischen Auf¬
gabe sich unbefangen hinzugeben, sie ihrem Keim und Wesen nach aufzufassen
und frei aus sich zu gestalten, welcher alle Erfahrung, alle Mühe und Arbeit
eines unausgesetzt strebenden Lebens zur gesunden Nahrung und Kräftigung
dient, Haydn vollendete die Schöpfung im Jahr 179«, er war damals
<)K Jahr alt, und man darf sich deshalb noch mehr über die jugendliche Frische
der Erfindung verwundern als über die außerordentliche Weisheit in der An¬
wendung aller Mittel einer Kunst, die ihn unausgesetzt beschäftigt hatte. Was
die technische Ausführung anlangt, so bewunderte man seiner Zeit besonders
die geschickte Behandlung des Orchester«, vorzugsweise der Blasinstrumente.
Daß hierauf Mozart einen entscheidenden Einfluß geübt hat, ist bei aller in¬
dividuellen Selbstständigkeit unverkennbar und von Haydn am bereitwilligsten
anerkannt, der kurze Zeit vor seinem Tode gegen einen Fremden, der ihn be¬
suchte, sich beklagte, daß der Mensch sterben müsse, wenn er kaum soweit sei,
das anzuwenden, was er gelernt habe; so glaube er eS jetzt gelernt zu haben,
wie man die Blasinstrumente gebrauchen müsse und könne, dem Tode nahe,
sein Wissen nicht mehr nützen. So wohlthuend auch der Ueberreizung der
modernen Jnstrumentation gegenüber die schöne und bei allem Reichthum klare
Wirkung eines Orchesters ist, so imponirt die Behandlung der Singstimmen,
welche auf einem gründlichen Studium der Gesangskunst beruht, heutzutage
noch mehr. Der Gesang ist der Natur der Stimmen angemessen, die Aus-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0021" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/99941"/>
          <p xml:id="ID_32" prev="#ID_31" next="#ID_33"> herzliche Freude an allem, das ein Dasein hat, dessen es froh sein kann, die<lb/>
sich unerschöpflich an jeder neuen Erscheinung von neuem bewährt. Wenn<lb/>
mau es mit Recht als einen Mangel des Tertes bezeichnet hat, daß keine<lb/>
rechte Abwechslung in der Stimmung ist, keine Gegensätze hervortreten und<lb/>
namentlich die Chöre und Ensembles nur Lob und Preis ausdrücken, so ist<lb/>
der Reichthum und die Frische, mit welcher Haydn dieser Grundstimmung einen<lb/>
stets wechselnden Ausdruck zu geben vermag, der alle Stufen von der fröhlich¬<lb/>
sten Heiterkeit bis zur staunenden Verehrung durchläuft, um so bewunderungs¬<lb/>
würdiger.  Denn wer etwa Haydn nur im kleinen, leichten Gerr'e gelten lassen<lb/>
möchte, den braucht man nur an den Schluß des ersten Theils zu erinnern,<lb/>
wo sich die Tonmassen in einer nicht endenden Steigerung zum großartigsten<lb/>
Dom wölben, oder an die Worte &#x201E;Dich beten Erd und Himmel an", die vom<lb/>
geheimnißvollen Schauer des Heiligen durchdrungen sind, gar nicht zu reden<lb/>
von dem wunderbaren:  &#x201E;Es werde Licht!"  Daß alles mit den einfachsten<lb/>
Mitteln erreicht ist, so klar und durchsichtig, daß jeder meint, eS müsse nur so<lb/>
sein und er könne es auch so, daS ist ja doch nur ein Beweis des bewunde¬<lb/>
rungswürdigen Genies, das mit Kleinem Großes wirkt, weil eS alles und<lb/>
jegliches grade dahin stellt, wo es stehen soll und muß.  Man spricht soviel<lb/>
von Haydns kindlicher Naivetät &#x2014; mit gutem Fug, wenn man darunter die<lb/>
unversiegbare Kraft einer genialen Natur versteht, jeder künstlerischen Auf¬<lb/>
gabe sich unbefangen hinzugeben, sie ihrem Keim und Wesen nach aufzufassen<lb/>
und frei aus sich zu gestalten, welcher alle Erfahrung, alle Mühe und Arbeit<lb/>
eines unausgesetzt strebenden Lebens zur gesunden Nahrung und Kräftigung<lb/>
dient,  Haydn vollendete die Schöpfung im Jahr 179«, er war damals<lb/>
&lt;)K Jahr alt, und man darf sich deshalb noch mehr über die jugendliche Frische<lb/>
der Erfindung verwundern als über die außerordentliche Weisheit in der An¬<lb/>
wendung aller Mittel einer Kunst, die ihn unausgesetzt beschäftigt hatte. Was<lb/>
die technische Ausführung anlangt, so bewunderte man seiner Zeit besonders<lb/>
die geschickte Behandlung des Orchester«, vorzugsweise der Blasinstrumente.<lb/>
Daß hierauf Mozart einen entscheidenden Einfluß geübt hat, ist bei aller in¬<lb/>
dividuellen Selbstständigkeit unverkennbar und von Haydn am bereitwilligsten<lb/>
anerkannt, der kurze Zeit vor seinem Tode gegen einen Fremden, der ihn be¬<lb/>
suchte, sich beklagte, daß der Mensch sterben müsse, wenn er kaum soweit sei,<lb/>
das anzuwenden, was er gelernt habe; so glaube er eS jetzt gelernt zu haben,<lb/>
wie man die Blasinstrumente gebrauchen müsse und könne, dem Tode nahe,<lb/>
sein Wissen nicht mehr nützen.  So wohlthuend auch der Ueberreizung der<lb/>
modernen Jnstrumentation gegenüber die schöne und bei allem Reichthum klare<lb/>
Wirkung eines Orchesters ist, so imponirt die Behandlung der Singstimmen,<lb/>
welche auf einem gründlichen Studium der Gesangskunst beruht, heutzutage<lb/>
noch mehr.  Der Gesang ist der Natur der Stimmen angemessen, die Aus-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0021] herzliche Freude an allem, das ein Dasein hat, dessen es froh sein kann, die sich unerschöpflich an jeder neuen Erscheinung von neuem bewährt. Wenn mau es mit Recht als einen Mangel des Tertes bezeichnet hat, daß keine rechte Abwechslung in der Stimmung ist, keine Gegensätze hervortreten und namentlich die Chöre und Ensembles nur Lob und Preis ausdrücken, so ist der Reichthum und die Frische, mit welcher Haydn dieser Grundstimmung einen stets wechselnden Ausdruck zu geben vermag, der alle Stufen von der fröhlich¬ sten Heiterkeit bis zur staunenden Verehrung durchläuft, um so bewunderungs¬ würdiger. Denn wer etwa Haydn nur im kleinen, leichten Gerr'e gelten lassen möchte, den braucht man nur an den Schluß des ersten Theils zu erinnern, wo sich die Tonmassen in einer nicht endenden Steigerung zum großartigsten Dom wölben, oder an die Worte „Dich beten Erd und Himmel an", die vom geheimnißvollen Schauer des Heiligen durchdrungen sind, gar nicht zu reden von dem wunderbaren: „Es werde Licht!" Daß alles mit den einfachsten Mitteln erreicht ist, so klar und durchsichtig, daß jeder meint, eS müsse nur so sein und er könne es auch so, daS ist ja doch nur ein Beweis des bewunde¬ rungswürdigen Genies, das mit Kleinem Großes wirkt, weil eS alles und jegliches grade dahin stellt, wo es stehen soll und muß. Man spricht soviel von Haydns kindlicher Naivetät — mit gutem Fug, wenn man darunter die unversiegbare Kraft einer genialen Natur versteht, jeder künstlerischen Auf¬ gabe sich unbefangen hinzugeben, sie ihrem Keim und Wesen nach aufzufassen und frei aus sich zu gestalten, welcher alle Erfahrung, alle Mühe und Arbeit eines unausgesetzt strebenden Lebens zur gesunden Nahrung und Kräftigung dient, Haydn vollendete die Schöpfung im Jahr 179«, er war damals <)K Jahr alt, und man darf sich deshalb noch mehr über die jugendliche Frische der Erfindung verwundern als über die außerordentliche Weisheit in der An¬ wendung aller Mittel einer Kunst, die ihn unausgesetzt beschäftigt hatte. Was die technische Ausführung anlangt, so bewunderte man seiner Zeit besonders die geschickte Behandlung des Orchester«, vorzugsweise der Blasinstrumente. Daß hierauf Mozart einen entscheidenden Einfluß geübt hat, ist bei aller in¬ dividuellen Selbstständigkeit unverkennbar und von Haydn am bereitwilligsten anerkannt, der kurze Zeit vor seinem Tode gegen einen Fremden, der ihn be¬ suchte, sich beklagte, daß der Mensch sterben müsse, wenn er kaum soweit sei, das anzuwenden, was er gelernt habe; so glaube er eS jetzt gelernt zu haben, wie man die Blasinstrumente gebrauchen müsse und könne, dem Tode nahe, sein Wissen nicht mehr nützen. So wohlthuend auch der Ueberreizung der modernen Jnstrumentation gegenüber die schöne und bei allem Reichthum klare Wirkung eines Orchesters ist, so imponirt die Behandlung der Singstimmen, welche auf einem gründlichen Studium der Gesangskunst beruht, heutzutage noch mehr. Der Gesang ist der Natur der Stimmen angemessen, die Aus-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/21
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/21>, abgerufen am 15.05.2024.