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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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die wirklichen Verdienste dieser Composition, die unzweifelhaft";" den schönsten
und bedeutendsten Schöpfungen der neueren Musik gehört, grade hier nicht
zur rechten Geltung gelangen konnten, so ist es zu begreifen, daß die Schwächen
derselben um so ungünstiger einwirken mußten. Diese liegen zum Theil im
Tert. Selbst wenn man den dem Gedicht zu Grunde liegenden Gedanken als
sittlich und poetisch gerechtfertigt anerkennen wollte, was doch wol schwer
halten dürfte, so bleibt der große Uebelstand in der Anlage, daß für die künst¬
lerische, namentlich musikalische Behandlung keine Steigerung der Hauptsttua-
tionen, sondern eine Abschwächung herauskommt, die namentlich den dritten
Theil sinken läßt. Unleugbar ist' die größte Kraft zum Schluß des ersten Theils;
wenn man die weise elegische Haltung des zweiten auch als einen wirksamen
Gegensatz gelten lassen kann, so war nun für den dritten Theil ein Auf¬
schwung, der die Handlung von neuem und am höchsten steigerte, durchaus
geboten, und dieser fehlt ganz und gar. -- Ein zweiter Manael ist der we¬
sentlich beschreibende Charakter des Tertes. Im Gedicht läßt die poetische Aus¬
führung es eher verzeihen, daß das reiche Panorama des Orients, welches
vor dem Leser ausgebreitet wird, mit dem eigentlichen Gegenstand des Gedichts
nicht viel zu thun hat und daß diese glänzende Decoration meistens um ihrer
selbst willen da ist. Wenn eS aber als die Grundlage für die musikalische
Behandlung erscheint, so vermißt man die prägnante und plastische Durchbil¬
dung der eigentlichen Hauptseenen umsomehr, da das beschreibende Element
größtentheils von der Art ist, daß es an sich einer Darstellung durch die Musik
nicht fähig oder derselben zum mindesten nicht günstig ist. Grade hier hat
zwar Schumann Außerordentliches geleistet und man muß die Kraft und den
Reichthum seiner musikalischen Phantasie bewundern, die aus einem Tert,
welcher den Musiker meist nur indirect anregt, eine Reihe eigenthümlicher,
meistens höchst amant' iger und reizender, immer feiner Tongemälde hervorrief,
die nicht blos mit Klängen spielen, sondern stets auch eine innere Stimmung
ausdrücken. Indessen macht der soeben angedeutete Charakter derselben es
doch auch begreiflich, daß zu vollem Genuß und Verständniß ein Publicum
erfordert wird, das den Interessen einer rafsinirteren geistigen Bildung nicht
fremd ist.

Hierzu kommen besonders noch zwei Umstände, welche einer schlagenden,
durchgreifenden Wirkung dieser Musik hinderlich sind. Der eine ist die Art,
wie bei der Bearbeitung des Textes das erzählende und das dramatische Ele¬
ment gemischt ist. Denn wenn man auch zugibt, daß dem Oratorium diese
Mischung zustehe -- was so ohne Einschränkung kaum zuzugeben ist --, so
müssen wenigstens beide Darstellungsweisen bestimmt geschieden sein, die ruhig
fortschreitende Erzählung und die einzelnen daraus sich ablösenden mit drama¬
tischer Lebendigkeit ausgeführten Scenen müssen jede in ihrer Art scharf aus-


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die wirklichen Verdienste dieser Composition, die unzweifelhaft";« den schönsten
und bedeutendsten Schöpfungen der neueren Musik gehört, grade hier nicht
zur rechten Geltung gelangen konnten, so ist es zu begreifen, daß die Schwächen
derselben um so ungünstiger einwirken mußten. Diese liegen zum Theil im
Tert. Selbst wenn man den dem Gedicht zu Grunde liegenden Gedanken als
sittlich und poetisch gerechtfertigt anerkennen wollte, was doch wol schwer
halten dürfte, so bleibt der große Uebelstand in der Anlage, daß für die künst¬
lerische, namentlich musikalische Behandlung keine Steigerung der Hauptsttua-
tionen, sondern eine Abschwächung herauskommt, die namentlich den dritten
Theil sinken läßt. Unleugbar ist' die größte Kraft zum Schluß des ersten Theils;
wenn man die weise elegische Haltung des zweiten auch als einen wirksamen
Gegensatz gelten lassen kann, so war nun für den dritten Theil ein Auf¬
schwung, der die Handlung von neuem und am höchsten steigerte, durchaus
geboten, und dieser fehlt ganz und gar. — Ein zweiter Manael ist der we¬
sentlich beschreibende Charakter des Tertes. Im Gedicht läßt die poetische Aus¬
führung es eher verzeihen, daß das reiche Panorama des Orients, welches
vor dem Leser ausgebreitet wird, mit dem eigentlichen Gegenstand des Gedichts
nicht viel zu thun hat und daß diese glänzende Decoration meistens um ihrer
selbst willen da ist. Wenn eS aber als die Grundlage für die musikalische
Behandlung erscheint, so vermißt man die prägnante und plastische Durchbil¬
dung der eigentlichen Hauptseenen umsomehr, da das beschreibende Element
größtentheils von der Art ist, daß es an sich einer Darstellung durch die Musik
nicht fähig oder derselben zum mindesten nicht günstig ist. Grade hier hat
zwar Schumann Außerordentliches geleistet und man muß die Kraft und den
Reichthum seiner musikalischen Phantasie bewundern, die aus einem Tert,
welcher den Musiker meist nur indirect anregt, eine Reihe eigenthümlicher,
meistens höchst amant' iger und reizender, immer feiner Tongemälde hervorrief,
die nicht blos mit Klängen spielen, sondern stets auch eine innere Stimmung
ausdrücken. Indessen macht der soeben angedeutete Charakter derselben es
doch auch begreiflich, daß zu vollem Genuß und Verständniß ein Publicum
erfordert wird, das den Interessen einer rafsinirteren geistigen Bildung nicht
fremd ist.

Hierzu kommen besonders noch zwei Umstände, welche einer schlagenden,
durchgreifenden Wirkung dieser Musik hinderlich sind. Der eine ist die Art,
wie bei der Bearbeitung des Textes das erzählende und das dramatische Ele¬
ment gemischt ist. Denn wenn man auch zugibt, daß dem Oratorium diese
Mischung zustehe — was so ohne Einschränkung kaum zuzugeben ist —, so
müssen wenigstens beide Darstellungsweisen bestimmt geschieden sein, die ruhig
fortschreitende Erzählung und die einzelnen daraus sich ablösenden mit drama¬
tischer Lebendigkeit ausgeführten Scenen müssen jede in ihrer Art scharf aus-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/27>, abgerufen am 15.05.2024.