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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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geprägt und an sich kenntlich, die letzteren namentlich müssen zu einer plasti¬
schen Gegenständlichkeit ausgearbeitet sein. Das ist hier nun nicht der Fall.
Die Erzählung ist nicht einfach und klar vorgetragen, sondern mit einer Fülle
von Beschreibungen und Betrachtungen verwebt, welche die Darstellung in eine
Sphäre hinausziehen, gegen welche die erhöhte Stimmung der dramatischen
Scenen keiner wesentlichen Steigerung mehr fähig ist, sondern nur als eine
etwas modificirte Form der poetischen Ausdrucksweise erscheint, wovon die nächste
Folge ist, daß sie auch zu keiner selbstständigen Gestaltung herausgebildet sind,
und daher den Gang der Begebenheiten anstatt ihn klarer zu machen, vielmehr
verdunkeln. Dieser Mangel ist nun auch ans die musikalische Behandlung nicht
ohne Einfluß geblieben. Denn indem der Componist den einzelnen Zügen der '
reich ausgestatteten Erzählung nachging und jeden musikalisch wiederzugeben
und auszuführen suchte, entstand allerdings jene Fülle von schonen Einzeln¬
heiten, welche dem Werke den eigenthümlichen Neiz eines poetischen Dusts
geben, der darüber ausgebreitet ist, allein sie hindern den Componisten wie den
Zuhörer, die Kraft auf die Hauptpunkte, die dramatischen Scenen zu concen-
triren, die sich denn auch musikalisch nicht wesentlich von dem Uebrigen unter¬
scheiden. Und hierdurch ist nun auch der zweite Uebelstand herbeigeführt. Die
detaillirte Ausführung der halblyrischen Erzählung, daS Ausmalen jedes ein¬
zelnen Zuges derselben spinnt sich in einem zusammenhängenden Faden fort,
der nur sehr selten vollständig abschließt. Dies ist schon psychologisch falsch;
eS ist unmvglil', mit gleich angespannter Aufmerksamkeit zu folgen, die Menge
der einzelnen Züge stumpft ab, einer schadet dein andern und für die Haupt¬
momente ist die volle Theilnahme geschwächt. Die Anforderungen, welche vom
künstlerischen Gesichtspunkt aus an eine geschickte Gliederung zu stellen sind,
müssen damit übereinstimmen. Die Schöpfung zeigte es recht eindringlich,
welcher Gewinn in der Anwendung des gewöhnlichen Neeitativs für die Erzäh¬
lung liegt, indem dadurch theils ein allgemeiner Grund gelegt wird, der alles
zusammenheilt und den einzelnen Musikstücken zur wirksamen Folie dient; theils
mit Nothwendigkeit darauf hingewiesen wird, die Hauptmomente selbstständig
hervorzuheben, in ihnen die Kraft zu concentriren, und die zurückgehaltene,
gesteigerte Empfindung voll und breit ausströmen zu lassen.

Schumanns Komposition steht sichtlich nnter dem Einfluß der in neuerer
Zeil vorherrschenden Richtung auf Instrumentalmusik; sie ist nicht, wie frühere
Werke dieser Art, aus dem Gesänge als dem Mittelpunkt hervorgegangen,
sondern der eigentliche Kern ist offenbar das Instrumentale, dem der Gesang
fast nnr wie ein gleichberechtigtes Element zugeordnet ist. Das Orchester ist
nicht allein, wo es als Begleitung auftritt, mit großer Borliebe in detaillirter
Ausführung behandelt, es übernimmt se.hr oft die eigentliche Ausführung dessen,
was die Singstimme mehr nur andeutet, und hört nie auf als selbstständige


geprägt und an sich kenntlich, die letzteren namentlich müssen zu einer plasti¬
schen Gegenständlichkeit ausgearbeitet sein. Das ist hier nun nicht der Fall.
Die Erzählung ist nicht einfach und klar vorgetragen, sondern mit einer Fülle
von Beschreibungen und Betrachtungen verwebt, welche die Darstellung in eine
Sphäre hinausziehen, gegen welche die erhöhte Stimmung der dramatischen
Scenen keiner wesentlichen Steigerung mehr fähig ist, sondern nur als eine
etwas modificirte Form der poetischen Ausdrucksweise erscheint, wovon die nächste
Folge ist, daß sie auch zu keiner selbstständigen Gestaltung herausgebildet sind,
und daher den Gang der Begebenheiten anstatt ihn klarer zu machen, vielmehr
verdunkeln. Dieser Mangel ist nun auch ans die musikalische Behandlung nicht
ohne Einfluß geblieben. Denn indem der Componist den einzelnen Zügen der '
reich ausgestatteten Erzählung nachging und jeden musikalisch wiederzugeben
und auszuführen suchte, entstand allerdings jene Fülle von schonen Einzeln¬
heiten, welche dem Werke den eigenthümlichen Neiz eines poetischen Dusts
geben, der darüber ausgebreitet ist, allein sie hindern den Componisten wie den
Zuhörer, die Kraft auf die Hauptpunkte, die dramatischen Scenen zu concen-
triren, die sich denn auch musikalisch nicht wesentlich von dem Uebrigen unter¬
scheiden. Und hierdurch ist nun auch der zweite Uebelstand herbeigeführt. Die
detaillirte Ausführung der halblyrischen Erzählung, daS Ausmalen jedes ein¬
zelnen Zuges derselben spinnt sich in einem zusammenhängenden Faden fort,
der nur sehr selten vollständig abschließt. Dies ist schon psychologisch falsch;
eS ist unmvglil', mit gleich angespannter Aufmerksamkeit zu folgen, die Menge
der einzelnen Züge stumpft ab, einer schadet dein andern und für die Haupt¬
momente ist die volle Theilnahme geschwächt. Die Anforderungen, welche vom
künstlerischen Gesichtspunkt aus an eine geschickte Gliederung zu stellen sind,
müssen damit übereinstimmen. Die Schöpfung zeigte es recht eindringlich,
welcher Gewinn in der Anwendung des gewöhnlichen Neeitativs für die Erzäh¬
lung liegt, indem dadurch theils ein allgemeiner Grund gelegt wird, der alles
zusammenheilt und den einzelnen Musikstücken zur wirksamen Folie dient; theils
mit Nothwendigkeit darauf hingewiesen wird, die Hauptmomente selbstständig
hervorzuheben, in ihnen die Kraft zu concentriren, und die zurückgehaltene,
gesteigerte Empfindung voll und breit ausströmen zu lassen.

Schumanns Komposition steht sichtlich nnter dem Einfluß der in neuerer
Zeil vorherrschenden Richtung auf Instrumentalmusik; sie ist nicht, wie frühere
Werke dieser Art, aus dem Gesänge als dem Mittelpunkt hervorgegangen,
sondern der eigentliche Kern ist offenbar das Instrumentale, dem der Gesang
fast nnr wie ein gleichberechtigtes Element zugeordnet ist. Das Orchester ist
nicht allein, wo es als Begleitung auftritt, mit großer Borliebe in detaillirter
Ausführung behandelt, es übernimmt se.hr oft die eigentliche Ausführung dessen,
was die Singstimme mehr nur andeutet, und hört nie auf als selbstständige


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/28>, abgerufen am 15.05.2024.