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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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seines Lebens. Der zweite Abschnitt beginnt mit seinem Wiedereintritt in die
Armee nach der Julirevolution und umfaßt sein militärisches Wirken in Algier,
wo er sich als tüchtiger Soldat auszeichnete, die Gunst des Marschalls Bu-
geaud gewann und rasch bis zum Generalmajor stieg. Die dritte umfaßt seine
Wirksamkeit als Kriegsminister der französischen Republik unter Ludwig Napo¬
leons Präsidentschaft, seinen Antheil an dem Staatsstreich vom zweiten December,
endlich die Expedition nach der Türkei und nach der Krim und seinen Tod im
ersten Rausch des Sieges, wie ihn ein Krieger sich nicht besser wünschen kann.
Ausführlich beschäftigt sich der Briefwechsel nur mit der zweiten Periode; aus
der dritten sind eine ziemliche Anzahl Briefe mitgetheilt, die interessant sind,
weil sie eine originelle Persönlichkeit charakterisiren, was aber der Leser
am liebsten aus jener Zeit wissen möchte, erfährt er von dem Marschall
nicht.

Ueber die erste Lebensperiode, über welche sich die böse Welt mancherlei
Skandal ins Ohr flüstert, schweigt dieser Briefwechsel ganz. Nur einzelne
kurze Andeutungen bestätigen, was man von der abenteuerlichen Lebensweise
des Verstorbetten in seinen frühern Mannesjahren erzählt. Es ist von seiner
stürmischen Jugend und von seinen körperlichen und geistigen Vorzügen die
Rede, die ihn zum Helden ^manches romantischen Abenteuers gemacht haben.
Auch ein längerer Aufenthalt in England wird erwähnt, ohne daß man er¬
fährt, wodurch veranlaßt; und nqch Griechenland unter die Philhellenen trieb
den Erlieutenant jedenfalls nicht Begeisterung für die um ihre Freiheit kämpfen-
den Nachkommen der Athener und Spartaner. Im Gegentheil würdigt er sie
sehr unbefangen und seine Aeußerungen würden die süddeutschen Schwärmer
für das neubyzantinische Reich sehr wenig erbauen. "Wenn ein Grieche einen
Franzosen im Verdacht hätte, ein paar Sous in der Tasche zu haben, so wird
er ihn gewiß Meuchelmörder," schrieb er einmal. "Einer meiner Landsleute
machte neulich seine Flinte rein, nahm sie auseinander und legte die einzelnen
Stücke neben sich hin. Ein Grieche stahl ihm das Schloß von demselben Ge¬
wehr, mit dem sich der Franzose täglich für die griechische Sache schlug. Die
Griechen" setzt Se. Arnaud hinzu, "hätten mich todtgeschlagen, um meinen Capot
zu bekommen und damit er kein Loch bekäme, mich durch den Kopf
geschossen." Einige andre Aeußerungen lassen eher vermuthen, was den
Erlieutenant eigentlich ins Ausland trieb. So schreibt er im December 1839
über seine Familie: "Es geht also mit unsern Kindern gut und sie nehmen
an Gesundheit und Verständigkeit zu! Gott sei gelobt! Die Verständigkeit
wird nicht aller Welt gegeben. Mein armer Freund, ich bin zu spät zum Appell
gekommen, als man sie ihr vertheilte. Die Leute mögen sagen, was sie wollen,
es kommt dabei viel auf das Temperament an und man wird zum soliden
Menschen geboren, wie man zum Maler oder zum Koch geboren wird. Ich


seines Lebens. Der zweite Abschnitt beginnt mit seinem Wiedereintritt in die
Armee nach der Julirevolution und umfaßt sein militärisches Wirken in Algier,
wo er sich als tüchtiger Soldat auszeichnete, die Gunst des Marschalls Bu-
geaud gewann und rasch bis zum Generalmajor stieg. Die dritte umfaßt seine
Wirksamkeit als Kriegsminister der französischen Republik unter Ludwig Napo¬
leons Präsidentschaft, seinen Antheil an dem Staatsstreich vom zweiten December,
endlich die Expedition nach der Türkei und nach der Krim und seinen Tod im
ersten Rausch des Sieges, wie ihn ein Krieger sich nicht besser wünschen kann.
Ausführlich beschäftigt sich der Briefwechsel nur mit der zweiten Periode; aus
der dritten sind eine ziemliche Anzahl Briefe mitgetheilt, die interessant sind,
weil sie eine originelle Persönlichkeit charakterisiren, was aber der Leser
am liebsten aus jener Zeit wissen möchte, erfährt er von dem Marschall
nicht.

Ueber die erste Lebensperiode, über welche sich die böse Welt mancherlei
Skandal ins Ohr flüstert, schweigt dieser Briefwechsel ganz. Nur einzelne
kurze Andeutungen bestätigen, was man von der abenteuerlichen Lebensweise
des Verstorbetten in seinen frühern Mannesjahren erzählt. Es ist von seiner
stürmischen Jugend und von seinen körperlichen und geistigen Vorzügen die
Rede, die ihn zum Helden ^manches romantischen Abenteuers gemacht haben.
Auch ein längerer Aufenthalt in England wird erwähnt, ohne daß man er¬
fährt, wodurch veranlaßt; und nqch Griechenland unter die Philhellenen trieb
den Erlieutenant jedenfalls nicht Begeisterung für die um ihre Freiheit kämpfen-
den Nachkommen der Athener und Spartaner. Im Gegentheil würdigt er sie
sehr unbefangen und seine Aeußerungen würden die süddeutschen Schwärmer
für das neubyzantinische Reich sehr wenig erbauen. „Wenn ein Grieche einen
Franzosen im Verdacht hätte, ein paar Sous in der Tasche zu haben, so wird
er ihn gewiß Meuchelmörder," schrieb er einmal. „Einer meiner Landsleute
machte neulich seine Flinte rein, nahm sie auseinander und legte die einzelnen
Stücke neben sich hin. Ein Grieche stahl ihm das Schloß von demselben Ge¬
wehr, mit dem sich der Franzose täglich für die griechische Sache schlug. Die
Griechen" setzt Se. Arnaud hinzu, „hätten mich todtgeschlagen, um meinen Capot
zu bekommen und damit er kein Loch bekäme, mich durch den Kopf
geschossen." Einige andre Aeußerungen lassen eher vermuthen, was den
Erlieutenant eigentlich ins Ausland trieb. So schreibt er im December 1839
über seine Familie: „Es geht also mit unsern Kindern gut und sie nehmen
an Gesundheit und Verständigkeit zu! Gott sei gelobt! Die Verständigkeit
wird nicht aller Welt gegeben. Mein armer Freund, ich bin zu spät zum Appell
gekommen, als man sie ihr vertheilte. Die Leute mögen sagen, was sie wollen,
es kommt dabei viel auf das Temperament an und man wird zum soliden
Menschen geboren, wie man zum Maler oder zum Koch geboren wird. Ich


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[0383] seines Lebens. Der zweite Abschnitt beginnt mit seinem Wiedereintritt in die Armee nach der Julirevolution und umfaßt sein militärisches Wirken in Algier, wo er sich als tüchtiger Soldat auszeichnete, die Gunst des Marschalls Bu- geaud gewann und rasch bis zum Generalmajor stieg. Die dritte umfaßt seine Wirksamkeit als Kriegsminister der französischen Republik unter Ludwig Napo¬ leons Präsidentschaft, seinen Antheil an dem Staatsstreich vom zweiten December, endlich die Expedition nach der Türkei und nach der Krim und seinen Tod im ersten Rausch des Sieges, wie ihn ein Krieger sich nicht besser wünschen kann. Ausführlich beschäftigt sich der Briefwechsel nur mit der zweiten Periode; aus der dritten sind eine ziemliche Anzahl Briefe mitgetheilt, die interessant sind, weil sie eine originelle Persönlichkeit charakterisiren, was aber der Leser am liebsten aus jener Zeit wissen möchte, erfährt er von dem Marschall nicht. Ueber die erste Lebensperiode, über welche sich die böse Welt mancherlei Skandal ins Ohr flüstert, schweigt dieser Briefwechsel ganz. Nur einzelne kurze Andeutungen bestätigen, was man von der abenteuerlichen Lebensweise des Verstorbetten in seinen frühern Mannesjahren erzählt. Es ist von seiner stürmischen Jugend und von seinen körperlichen und geistigen Vorzügen die Rede, die ihn zum Helden ^manches romantischen Abenteuers gemacht haben. Auch ein längerer Aufenthalt in England wird erwähnt, ohne daß man er¬ fährt, wodurch veranlaßt; und nqch Griechenland unter die Philhellenen trieb den Erlieutenant jedenfalls nicht Begeisterung für die um ihre Freiheit kämpfen- den Nachkommen der Athener und Spartaner. Im Gegentheil würdigt er sie sehr unbefangen und seine Aeußerungen würden die süddeutschen Schwärmer für das neubyzantinische Reich sehr wenig erbauen. „Wenn ein Grieche einen Franzosen im Verdacht hätte, ein paar Sous in der Tasche zu haben, so wird er ihn gewiß Meuchelmörder," schrieb er einmal. „Einer meiner Landsleute machte neulich seine Flinte rein, nahm sie auseinander und legte die einzelnen Stücke neben sich hin. Ein Grieche stahl ihm das Schloß von demselben Ge¬ wehr, mit dem sich der Franzose täglich für die griechische Sache schlug. Die Griechen" setzt Se. Arnaud hinzu, „hätten mich todtgeschlagen, um meinen Capot zu bekommen und damit er kein Loch bekäme, mich durch den Kopf geschossen." Einige andre Aeußerungen lassen eher vermuthen, was den Erlieutenant eigentlich ins Ausland trieb. So schreibt er im December 1839 über seine Familie: „Es geht also mit unsern Kindern gut und sie nehmen an Gesundheit und Verständigkeit zu! Gott sei gelobt! Die Verständigkeit wird nicht aller Welt gegeben. Mein armer Freund, ich bin zu spät zum Appell gekommen, als man sie ihr vertheilte. Die Leute mögen sagen, was sie wollen, es kommt dabei viel auf das Temperament an und man wird zum soliden Menschen geboren, wie man zum Maler oder zum Koch geboren wird. Ich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/383>, abgerufen am 17.06.2024.