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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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verhältnißmäßig Haltbareres zu erblicken. -- Allein eine ständische Verfassung
ist weiter nichts, als eine Adelsverfassung.

Die Sonderung der drei Stände, der Ritterschaft, des Bürgerstandes und
der Bauern, gibt nur dem ersten Stande die Fähigkeit einer verhältnißmäßig
richtigen Repräsentativ"; die beiden andern Stände dagegen läßt sie in eng¬
herzigen, einseitigen Interessen verkümmern. Selbst wenn das numerische Ver¬
hältniß günstiger wäre, würde doch aus dem ständischen Princip eine falsche
Volksvertretung hervorgehen, ja man würde das Zahlverhältniß nicht wesent¬
lich ändern dürfen, um das Princip der Repräsentation nicht noch mehr zu
verfälschen. Am deutlichsten zeigt sich das beim Bauernstande, dessen natür¬
liche und gerechte Ansprüche theils auf eine unzweckmäßige Weise erhöht, theils
auf eine ungerechte Weise herabgedrückt werden. -- Der Bauer ist nur aus¬
nahmsweise befähigt, sich unter den, Deputirten des Landes zu bewegen, denn
dazu gehört nicht blos, daß man in der Kammer sitzt, sondern daß man auch
die Fähigkeit hat, zu verstehen, was darin gesprochen wird, die Tragweite der
sich kreuzenden Interessen zu übersehen und selbst ein ernstes Wort mitzureden.
Wenn man sämmtliche Bauern des preußischen Staats zusammenzählt, so wird
sich gewiß eine viel größere Zahl von fähigen Männern darin finden, die den
übrigen Deputirten vollkommen ebenbürtig sind, als z. B. am vereinigten
Landtage den Bauern zugestanden war: aber diese Männer kommen durch Bauern¬
wahlen niemals in die Kammer. Die Bauern als Stand lassen sich durch ganz
particuläre, meistens engherzige Interessen bestimmen, in der Regel wird ihr
ausschließlicher Maßstab der sein, daß ihr Deputirter ihnen verspricht, die
Steuern zu ermäßigen. Die aus solchen Wahlen hervorgehenden Bauer-
deputirten werden in der Kammer eine höchst klägliche Rolle spielen. Als auf
dem westphälischen Landtage ein Bauer seinen Landtagsmarschall, den Freiherrn
von Stein fragte, wie er sich denn verhalten solle,'antwortete ihm dieser streng:
"Schweigen und zuhören, was tingere Männer sagen." -- Eine solche Repräsenta¬
tion ist eineScheinrepräseiNation; ebenso verwerflich, wenn sie einen wirklichen Ein¬
fluß ausübt, als wenn sie keinen ausübt. Bei den Gemeindeangelegenheiten soll
der Bauer fre^i und unabhängig dastehen, in die Nationalvertretung aber soll er
nur durch das Vertrauen und die Wahl auch der anderen Stände kommen.

Der Bürgerstand scheint nun in Bezug, aus die Repräsentation in einer
sehr günstigen Lage zu sein, wenn man ihn als tisrs-sol im Sinne des Abb"
Sibyes auffaßt. Die Werthberechnungen des letztern waren zwar ungeheuer
übertrieben, weil man hier die Kopfzahl nicht allein in Anschlag bringen darf,
allein auf alle Fälle übertrifft die Bedeutung des Bürgerstandes für den Staat
die des Adels bei weitem, sowol in Bezug auf seine Leistungen, als auf seine
wirkliche Macht; und da es keine abgesonderte Erziehung für den Adel gibt,
so entspricht die Zahl derer, die der Bürgerstand als seine fähigen und berech-


verhältnißmäßig Haltbareres zu erblicken. — Allein eine ständische Verfassung
ist weiter nichts, als eine Adelsverfassung.

Die Sonderung der drei Stände, der Ritterschaft, des Bürgerstandes und
der Bauern, gibt nur dem ersten Stande die Fähigkeit einer verhältnißmäßig
richtigen Repräsentativ»; die beiden andern Stände dagegen läßt sie in eng¬
herzigen, einseitigen Interessen verkümmern. Selbst wenn das numerische Ver¬
hältniß günstiger wäre, würde doch aus dem ständischen Princip eine falsche
Volksvertretung hervorgehen, ja man würde das Zahlverhältniß nicht wesent¬
lich ändern dürfen, um das Princip der Repräsentation nicht noch mehr zu
verfälschen. Am deutlichsten zeigt sich das beim Bauernstande, dessen natür¬
liche und gerechte Ansprüche theils auf eine unzweckmäßige Weise erhöht, theils
auf eine ungerechte Weise herabgedrückt werden. — Der Bauer ist nur aus¬
nahmsweise befähigt, sich unter den, Deputirten des Landes zu bewegen, denn
dazu gehört nicht blos, daß man in der Kammer sitzt, sondern daß man auch
die Fähigkeit hat, zu verstehen, was darin gesprochen wird, die Tragweite der
sich kreuzenden Interessen zu übersehen und selbst ein ernstes Wort mitzureden.
Wenn man sämmtliche Bauern des preußischen Staats zusammenzählt, so wird
sich gewiß eine viel größere Zahl von fähigen Männern darin finden, die den
übrigen Deputirten vollkommen ebenbürtig sind, als z. B. am vereinigten
Landtage den Bauern zugestanden war: aber diese Männer kommen durch Bauern¬
wahlen niemals in die Kammer. Die Bauern als Stand lassen sich durch ganz
particuläre, meistens engherzige Interessen bestimmen, in der Regel wird ihr
ausschließlicher Maßstab der sein, daß ihr Deputirter ihnen verspricht, die
Steuern zu ermäßigen. Die aus solchen Wahlen hervorgehenden Bauer-
deputirten werden in der Kammer eine höchst klägliche Rolle spielen. Als auf
dem westphälischen Landtage ein Bauer seinen Landtagsmarschall, den Freiherrn
von Stein fragte, wie er sich denn verhalten solle,'antwortete ihm dieser streng:
„Schweigen und zuhören, was tingere Männer sagen." — Eine solche Repräsenta¬
tion ist eineScheinrepräseiNation; ebenso verwerflich, wenn sie einen wirklichen Ein¬
fluß ausübt, als wenn sie keinen ausübt. Bei den Gemeindeangelegenheiten soll
der Bauer fre^i und unabhängig dastehen, in die Nationalvertretung aber soll er
nur durch das Vertrauen und die Wahl auch der anderen Stände kommen.

Der Bürgerstand scheint nun in Bezug, aus die Repräsentation in einer
sehr günstigen Lage zu sein, wenn man ihn als tisrs-sol im Sinne des Abb«
Sibyes auffaßt. Die Werthberechnungen des letztern waren zwar ungeheuer
übertrieben, weil man hier die Kopfzahl nicht allein in Anschlag bringen darf,
allein auf alle Fälle übertrifft die Bedeutung des Bürgerstandes für den Staat
die des Adels bei weitem, sowol in Bezug auf seine Leistungen, als auf seine
wirkliche Macht; und da es keine abgesonderte Erziehung für den Adel gibt,
so entspricht die Zahl derer, die der Bürgerstand als seine fähigen und berech-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/14>, abgerufen am 19.05.2024.