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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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tigem Vertreter ins Parlament schicken kann, wenigstens bis zu einem gewissen
Grad dem Zahlenverhältniß der Commitienten. Die Doktrinärs des ständischen
Princips sind aber keineswegs gemeint, den Bürgerstand in diesem Sinn auf¬
zufassen. Es ist wichtig, an die Grundsätze zu erinnern, die 1822 von Ancillon
im Auftrage der von dem damaligen Kronprinzen geleiteten ständischen Com¬
mission aufgestellt wurden.

"Der Bürgerstand besteht einzig und allein aus denjenigen, die ein wirk¬
liches bürgerliches Gewerbe treiben. Allein, um in diesem Stande die Stand¬
schaft fest zu begründen, hat die Commission geglaubt, festsetzen zu müssen, daß
es nöthig sein würde, um die politischen Rechte dieses Standes zu erhallen,
ein städtisches Grundeigenthum zu besitzen. Durch die erste Bestimmung schließt
sie von der Standschaft alle diejenigen aus, die zwar ein städtisches Grund¬
eigenthum besitzen, aber kein bürgerliches Gewerbe treiben. Durch die zweite
alle diejenigen, die, obgleich sie ein solches Gewerbe treiben, doch nicht die all¬
gemeine Bedingung der Standschaft, den Besitz eines Grundeigenthums,
erfüllen , und dadurch dem Staate Nicht die gehörige Bürgschaft ihres festen
Bleibens und ihrer Anhänglichkeit geben."

Zum weiter" Verständniß dieser Theorie muß noch hinzugefügt werden,
daß nach dem Princip der ständischen Gliederung die Landesvertretung auf
Corporationen beruhen soll, um organisch aus dem geschichtlichen Leben hervor¬
zuwachsen. Da nun die Corporationen zum größten Theil im Lauf der Ge¬
schichte zerstört worden sind, so müssen sie um deS organischen Naturprocesses
willen wiederhergestellt werden: -- eine höchst wunderliche Vorstellung von
einem Naturlauf, der durch Kunst hervorgebracht werden soll! Für die Städte
sollte die Wiederherstellung der Zünfte das Mittel sein, wodurch beiläufig die
in Preußen glücklich errungene Gewerbefreiheit auf das verhängnißvollste
bedroht wurde.

Es erhellt, daß durch diese künstliche Einschränkung des Bürgerstandes
auch ihm die ebenbürtige Stellung innerhalb der Landesvertretung genommen
wird, denn aus den Zunftwahlen gehen nimmermehr die wirklichen Kapacitäten
des Bürgerthums hervor, sondern die engherzige" und eigennützigen Vertreter
des Fachinteresses. So besteht denn der Landtag aus drei einseitigen Elemen¬
ten, in denen aber der Adel, ganz abgesehen von dem numerischen Verhältniß,
unendlich den Vorsprung hat, denn wie einseitig er auch in seiner politischen
Ansicht sein mag, er hat doch immer eine unmittelbare Beziehung zum höheren
Staatsleben; die Zünfte dagegen und die Dorfschaften sind nur particularisti-
scher Natur; man wird ihnen daher, sobald es sich um irgendeine Frage von
weiterer Tragweite handelt, regelmäßig zurufen können, sie sollen schweigen und
anhören, was tingere Männer reden. -- Von einer Erweiterung der Rechte
der untern Stände kann natürlich keine Rede sein; dagegen scheinen sie durch


tigem Vertreter ins Parlament schicken kann, wenigstens bis zu einem gewissen
Grad dem Zahlenverhältniß der Commitienten. Die Doktrinärs des ständischen
Princips sind aber keineswegs gemeint, den Bürgerstand in diesem Sinn auf¬
zufassen. Es ist wichtig, an die Grundsätze zu erinnern, die 1822 von Ancillon
im Auftrage der von dem damaligen Kronprinzen geleiteten ständischen Com¬
mission aufgestellt wurden.

„Der Bürgerstand besteht einzig und allein aus denjenigen, die ein wirk¬
liches bürgerliches Gewerbe treiben. Allein, um in diesem Stande die Stand¬
schaft fest zu begründen, hat die Commission geglaubt, festsetzen zu müssen, daß
es nöthig sein würde, um die politischen Rechte dieses Standes zu erhallen,
ein städtisches Grundeigenthum zu besitzen. Durch die erste Bestimmung schließt
sie von der Standschaft alle diejenigen aus, die zwar ein städtisches Grund¬
eigenthum besitzen, aber kein bürgerliches Gewerbe treiben. Durch die zweite
alle diejenigen, die, obgleich sie ein solches Gewerbe treiben, doch nicht die all¬
gemeine Bedingung der Standschaft, den Besitz eines Grundeigenthums,
erfüllen , und dadurch dem Staate Nicht die gehörige Bürgschaft ihres festen
Bleibens und ihrer Anhänglichkeit geben."

Zum weiter» Verständniß dieser Theorie muß noch hinzugefügt werden,
daß nach dem Princip der ständischen Gliederung die Landesvertretung auf
Corporationen beruhen soll, um organisch aus dem geschichtlichen Leben hervor¬
zuwachsen. Da nun die Corporationen zum größten Theil im Lauf der Ge¬
schichte zerstört worden sind, so müssen sie um deS organischen Naturprocesses
willen wiederhergestellt werden: — eine höchst wunderliche Vorstellung von
einem Naturlauf, der durch Kunst hervorgebracht werden soll! Für die Städte
sollte die Wiederherstellung der Zünfte das Mittel sein, wodurch beiläufig die
in Preußen glücklich errungene Gewerbefreiheit auf das verhängnißvollste
bedroht wurde.

Es erhellt, daß durch diese künstliche Einschränkung des Bürgerstandes
auch ihm die ebenbürtige Stellung innerhalb der Landesvertretung genommen
wird, denn aus den Zunftwahlen gehen nimmermehr die wirklichen Kapacitäten
des Bürgerthums hervor, sondern die engherzige» und eigennützigen Vertreter
des Fachinteresses. So besteht denn der Landtag aus drei einseitigen Elemen¬
ten, in denen aber der Adel, ganz abgesehen von dem numerischen Verhältniß,
unendlich den Vorsprung hat, denn wie einseitig er auch in seiner politischen
Ansicht sein mag, er hat doch immer eine unmittelbare Beziehung zum höheren
Staatsleben; die Zünfte dagegen und die Dorfschaften sind nur particularisti-
scher Natur; man wird ihnen daher, sobald es sich um irgendeine Frage von
weiterer Tragweite handelt, regelmäßig zurufen können, sie sollen schweigen und
anhören, was tingere Männer reden. — Von einer Erweiterung der Rechte
der untern Stände kann natürlich keine Rede sein; dagegen scheinen sie durch


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[0015] tigem Vertreter ins Parlament schicken kann, wenigstens bis zu einem gewissen Grad dem Zahlenverhältniß der Commitienten. Die Doktrinärs des ständischen Princips sind aber keineswegs gemeint, den Bürgerstand in diesem Sinn auf¬ zufassen. Es ist wichtig, an die Grundsätze zu erinnern, die 1822 von Ancillon im Auftrage der von dem damaligen Kronprinzen geleiteten ständischen Com¬ mission aufgestellt wurden. „Der Bürgerstand besteht einzig und allein aus denjenigen, die ein wirk¬ liches bürgerliches Gewerbe treiben. Allein, um in diesem Stande die Stand¬ schaft fest zu begründen, hat die Commission geglaubt, festsetzen zu müssen, daß es nöthig sein würde, um die politischen Rechte dieses Standes zu erhallen, ein städtisches Grundeigenthum zu besitzen. Durch die erste Bestimmung schließt sie von der Standschaft alle diejenigen aus, die zwar ein städtisches Grund¬ eigenthum besitzen, aber kein bürgerliches Gewerbe treiben. Durch die zweite alle diejenigen, die, obgleich sie ein solches Gewerbe treiben, doch nicht die all¬ gemeine Bedingung der Standschaft, den Besitz eines Grundeigenthums, erfüllen , und dadurch dem Staate Nicht die gehörige Bürgschaft ihres festen Bleibens und ihrer Anhänglichkeit geben." Zum weiter» Verständniß dieser Theorie muß noch hinzugefügt werden, daß nach dem Princip der ständischen Gliederung die Landesvertretung auf Corporationen beruhen soll, um organisch aus dem geschichtlichen Leben hervor¬ zuwachsen. Da nun die Corporationen zum größten Theil im Lauf der Ge¬ schichte zerstört worden sind, so müssen sie um deS organischen Naturprocesses willen wiederhergestellt werden: — eine höchst wunderliche Vorstellung von einem Naturlauf, der durch Kunst hervorgebracht werden soll! Für die Städte sollte die Wiederherstellung der Zünfte das Mittel sein, wodurch beiläufig die in Preußen glücklich errungene Gewerbefreiheit auf das verhängnißvollste bedroht wurde. Es erhellt, daß durch diese künstliche Einschränkung des Bürgerstandes auch ihm die ebenbürtige Stellung innerhalb der Landesvertretung genommen wird, denn aus den Zunftwahlen gehen nimmermehr die wirklichen Kapacitäten des Bürgerthums hervor, sondern die engherzige» und eigennützigen Vertreter des Fachinteresses. So besteht denn der Landtag aus drei einseitigen Elemen¬ ten, in denen aber der Adel, ganz abgesehen von dem numerischen Verhältniß, unendlich den Vorsprung hat, denn wie einseitig er auch in seiner politischen Ansicht sein mag, er hat doch immer eine unmittelbare Beziehung zum höheren Staatsleben; die Zünfte dagegen und die Dorfschaften sind nur particularisti- scher Natur; man wird ihnen daher, sobald es sich um irgendeine Frage von weiterer Tragweite handelt, regelmäßig zurufen können, sie sollen schweigen und anhören, was tingere Männer reden. — Von einer Erweiterung der Rechte der untern Stände kann natürlich keine Rede sein; dagegen scheinen sie durch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/15>, abgerufen am 27.05.2024.