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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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Der Grenadier Hellbich aber schlägt an, und schießt meinen alten Lieutenant
Zimmermann im Laufen hinter das rechte Ohr, so daß er auf einmal zu Bo¬
den lag und keine Ader zuckte. Die Landmilizen, so noch darum standen, sahen
das Spiel mit an. Die Grenadiers aber machten etliche Feuer von den Gra¬
naden unter sie, daß sie anfingen und sprangen über Zäune und Felder hin¬
weg. Da lag nun der alte Lieutenant Zimmermann; ich sprang hinzu und
gedachte, er möchte nur eine Blessur haben, er aber war todt.

Unterdessen blieben wir immer in unserm Marsche hinter der Garde her;
im Augenblick, ehe wir uns es versahen, kam der Major von Benkendorff mit
der gesammten Garde wieder zurück und konnte nicht durch, weil sie im Dorfe
alle Straßen mit Wagen und Karren versperrt hatten, und kam just noch zum
Lustfeuer der Granaden. Der Herr Major rief sogleich den Bauern zu, sie
sollten den Schultheißen, oder wer ihre Obrigkeit im Dorfe wäre, heraus¬
kommen lassen, wenn sie ihr Dorf nicht wollten angesteckt haben.

Augenblicklich waren alle Wagen und Karren aus dem Wege geräumt,
daß wir konnten gerade durchmarschircn. Mittlerweile läuft die verjagte Land¬
miliz gerade auf das Dorf Schwallungen zu, welches wir wieder zu Passiren
hatten und wo wiederum ein Offizier mit 30 Mann Landmiliz commandirt
stand, und verkündiget, was von uns in dem Dorfe Niederschmalkalden ge¬
schehen. Der Offizier aber, welcher ein Schuster seiner Profession war, als
er von den geflüchteten Leuten einen solchen Rapport erhält, nimmt seine
Mannschaft, die mit ihm gehen will, und reißt aus nach Wasungcn zu, ehe
er uns zu sehen bekommt. Wir aber wissen von dem ganzen Handel nichts,
ob dort wieder Volk steht oder nicht. Unterwegs aber kommt ein Mann zu
uns und erzählt uns, wie in dem Dorfe Schwallungen ein Offizier mit Volk
da stände, und das Thor besetzt hätte. Wir kehren uns aber an alles nicht,
setzen unsern Marsch immer fort. Als wir vor dem benannten Dorfe bald
ankamen, setzten wir uns in Züge, machten die Bajonetts wieder auf, und
gedachten: wie wird es nun da 'zugehen. Wir marschirten,sort; als wir ans
Thor kamen, war Offizier und alles Volk davon gelaufen, und war nicht ein
einziger Mensch, der uns einen Widerstand thun wollte. Wir marschirten mit
unsern aufgepflanzten Bajonetten gerade durch, da sahen-wir die zurück¬
gebliebenen Leute des ausgerissenen Schusterfähndrichs in der Montirung und
den Patrontaschen aus den Bodenfenstern gucken.

Mein guter Schusterfähndrich war weg, und hatte sich mit der Mann¬
schaft, so mit ihm gegangen, in Wasungen in das Thor postirt, wo wieder
ein Lieutenant, welcher wol ein guter Bartputzcr war, welches ich aus
der Erfahrung nach diesem bekam , weil er mich selbst barbieret, zstand
und unser erwartete. Das Thor zweimal mit Blockthoren fest zugemacht,
aber eine Schildwache stand außen, worauf der Major von Benkendorff dieser


Grenzboten. I. -I8no. 3

Der Grenadier Hellbich aber schlägt an, und schießt meinen alten Lieutenant
Zimmermann im Laufen hinter das rechte Ohr, so daß er auf einmal zu Bo¬
den lag und keine Ader zuckte. Die Landmilizen, so noch darum standen, sahen
das Spiel mit an. Die Grenadiers aber machten etliche Feuer von den Gra¬
naden unter sie, daß sie anfingen und sprangen über Zäune und Felder hin¬
weg. Da lag nun der alte Lieutenant Zimmermann; ich sprang hinzu und
gedachte, er möchte nur eine Blessur haben, er aber war todt.

Unterdessen blieben wir immer in unserm Marsche hinter der Garde her;
im Augenblick, ehe wir uns es versahen, kam der Major von Benkendorff mit
der gesammten Garde wieder zurück und konnte nicht durch, weil sie im Dorfe
alle Straßen mit Wagen und Karren versperrt hatten, und kam just noch zum
Lustfeuer der Granaden. Der Herr Major rief sogleich den Bauern zu, sie
sollten den Schultheißen, oder wer ihre Obrigkeit im Dorfe wäre, heraus¬
kommen lassen, wenn sie ihr Dorf nicht wollten angesteckt haben.

Augenblicklich waren alle Wagen und Karren aus dem Wege geräumt,
daß wir konnten gerade durchmarschircn. Mittlerweile läuft die verjagte Land¬
miliz gerade auf das Dorf Schwallungen zu, welches wir wieder zu Passiren
hatten und wo wiederum ein Offizier mit 30 Mann Landmiliz commandirt
stand, und verkündiget, was von uns in dem Dorfe Niederschmalkalden ge¬
schehen. Der Offizier aber, welcher ein Schuster seiner Profession war, als
er von den geflüchteten Leuten einen solchen Rapport erhält, nimmt seine
Mannschaft, die mit ihm gehen will, und reißt aus nach Wasungcn zu, ehe
er uns zu sehen bekommt. Wir aber wissen von dem ganzen Handel nichts,
ob dort wieder Volk steht oder nicht. Unterwegs aber kommt ein Mann zu
uns und erzählt uns, wie in dem Dorfe Schwallungen ein Offizier mit Volk
da stände, und das Thor besetzt hätte. Wir kehren uns aber an alles nicht,
setzen unsern Marsch immer fort. Als wir vor dem benannten Dorfe bald
ankamen, setzten wir uns in Züge, machten die Bajonetts wieder auf, und
gedachten: wie wird es nun da 'zugehen. Wir marschirten,sort; als wir ans
Thor kamen, war Offizier und alles Volk davon gelaufen, und war nicht ein
einziger Mensch, der uns einen Widerstand thun wollte. Wir marschirten mit
unsern aufgepflanzten Bajonetten gerade durch, da sahen-wir die zurück¬
gebliebenen Leute des ausgerissenen Schusterfähndrichs in der Montirung und
den Patrontaschen aus den Bodenfenstern gucken.

Mein guter Schusterfähndrich war weg, und hatte sich mit der Mann¬
schaft, so mit ihm gegangen, in Wasungen in das Thor postirt, wo wieder
ein Lieutenant, welcher wol ein guter Bartputzcr war, welches ich aus
der Erfahrung nach diesem bekam , weil er mich selbst barbieret, zstand
und unser erwartete. Das Thor zweimal mit Blockthoren fest zugemacht,
aber eine Schildwache stand außen, worauf der Major von Benkendorff dieser


Grenzboten. I. -I8no. 3
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/25>, abgerufen am 19.05.2024.