Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

hat. Die kecken, dreisten Figuren in Shakespeares Lustspielen, die nicht sehr
empfindsam sind und nicht zu peinlich über die Maximen ihres Handels grübeln,
sind die eigentlichen Vorbilder des Dichters gewesen. Der Fehler ist nur,
daß er die Wirklichkeit übertreibt, insofern er die charakteristischen Züge, die in
der Wirklichkeit durch gleichgiltigere Uebergangsmomente von einander getrennt
werden, hart und schroff zusammendrängt, so daß die Gedrungenheit oft die
Grenze der Schönheit überschreitet.

Der Gegensatz dieser naturkräftigen Helden gegen ihre spanischen jesuitischen
Feinde, die ihre Seele einer fremden Macht verkauft haben, ist sehr fein empfun¬
den und mit einer Wärme wiedergegeben, die nur der lebendige Haß erklärt.
Objectiv und parteilos ist der Dichter keineswegs, er verabscheut die römischen
Priester gründlich und versäumt keine Gelegenheit, sie in der ganzen greu¬
lichen Verderbnis) zu schildern, die eine Selbstentfremdung des Gewissens zu¬
letzt nach sich zieht. Die höchste Kunstform ist das freilich nicht. Ein W. Scott
würde auch das feindliche Princip zu seinem Recht gebracht haben, aber es
macht doch einen viel frischem Eindruck, als jene Blasirtheit, die sich aus
innerer Kraftlosigkeit mit allen Gegensätzen versöhnt, und vor allen Dingen,
der Gegensatz ist im Wesentlichen richtig dargestellt. Man mag.über das Ver¬
hältniß der katholischen zur protestantischen Kirche denken, wie man will, für
das 16. und 17. Jahrhundert wird man zugeben müssen, daß die Erscheinun¬
gen der streitenden katholischen Kirche grade in ihrer höchsten Blüte krankhaft
dämonischer Natur waren. Man stelle Loyola neben Luther, Alba neben Ora-
nien, Calderon neben Shakespeare, und es ist alles gesagt.

Je größere Anerkennung wir dem plastischen Talent in diesem Roman
zollen, desto lebhafter bedauern wir die Abwesenheit aller Eomposttivn. Die
Ereignisse sind so bunt und willkürlich durchcinundergeworfen, daß es uns zu¬
weilen vorkommt, als bewegten wir uns im Traume. Scenen einer wilden,
phantastischen Grausamkeit drängen sich bis zur Erschöpfung aneinander und
versagen uns jeden Ruhepunkt. Die buntesten Verwicklungen und Ver¬
knüpfungen lösen sich ab, ohne zu einem Resultat zu führen. Planlos, wie
das Leben dieser Abenteurer, ist auch ihre Geschichte, und das ist doch für das
Kunstwerk ein entschiedener Fehler, denn trotz aller interessanten Details wird
der Leser zuletzt ermüdet. Nebenbei macht sich zuweilen eine gewisse Vorliebe
fürs Grausame und Fratzenhafte geltend, und wir glauben, daß die Kunst nur
dann gedeiht, wenn man diese Vorliebe auf das strengste Maß deS Nothwen¬
digen zurückführt.

Der Dichter hat verhältnißmäßig in kurzer Zeit eine so rasche und be¬
deutende 'Entwicklung durchgemacht, daß wir für seine Zukunft die besten Hoff
nungen hegen, doch werden diese. Hoffnungen nur dann in Erfüllung gehen,
wenn er aus dem Naturalismus seines bisherigen Schaffens heraustritt und


hat. Die kecken, dreisten Figuren in Shakespeares Lustspielen, die nicht sehr
empfindsam sind und nicht zu peinlich über die Maximen ihres Handels grübeln,
sind die eigentlichen Vorbilder des Dichters gewesen. Der Fehler ist nur,
daß er die Wirklichkeit übertreibt, insofern er die charakteristischen Züge, die in
der Wirklichkeit durch gleichgiltigere Uebergangsmomente von einander getrennt
werden, hart und schroff zusammendrängt, so daß die Gedrungenheit oft die
Grenze der Schönheit überschreitet.

Der Gegensatz dieser naturkräftigen Helden gegen ihre spanischen jesuitischen
Feinde, die ihre Seele einer fremden Macht verkauft haben, ist sehr fein empfun¬
den und mit einer Wärme wiedergegeben, die nur der lebendige Haß erklärt.
Objectiv und parteilos ist der Dichter keineswegs, er verabscheut die römischen
Priester gründlich und versäumt keine Gelegenheit, sie in der ganzen greu¬
lichen Verderbnis) zu schildern, die eine Selbstentfremdung des Gewissens zu¬
letzt nach sich zieht. Die höchste Kunstform ist das freilich nicht. Ein W. Scott
würde auch das feindliche Princip zu seinem Recht gebracht haben, aber es
macht doch einen viel frischem Eindruck, als jene Blasirtheit, die sich aus
innerer Kraftlosigkeit mit allen Gegensätzen versöhnt, und vor allen Dingen,
der Gegensatz ist im Wesentlichen richtig dargestellt. Man mag.über das Ver¬
hältniß der katholischen zur protestantischen Kirche denken, wie man will, für
das 16. und 17. Jahrhundert wird man zugeben müssen, daß die Erscheinun¬
gen der streitenden katholischen Kirche grade in ihrer höchsten Blüte krankhaft
dämonischer Natur waren. Man stelle Loyola neben Luther, Alba neben Ora-
nien, Calderon neben Shakespeare, und es ist alles gesagt.

Je größere Anerkennung wir dem plastischen Talent in diesem Roman
zollen, desto lebhafter bedauern wir die Abwesenheit aller Eomposttivn. Die
Ereignisse sind so bunt und willkürlich durchcinundergeworfen, daß es uns zu¬
weilen vorkommt, als bewegten wir uns im Traume. Scenen einer wilden,
phantastischen Grausamkeit drängen sich bis zur Erschöpfung aneinander und
versagen uns jeden Ruhepunkt. Die buntesten Verwicklungen und Ver¬
knüpfungen lösen sich ab, ohne zu einem Resultat zu führen. Planlos, wie
das Leben dieser Abenteurer, ist auch ihre Geschichte, und das ist doch für das
Kunstwerk ein entschiedener Fehler, denn trotz aller interessanten Details wird
der Leser zuletzt ermüdet. Nebenbei macht sich zuweilen eine gewisse Vorliebe
fürs Grausame und Fratzenhafte geltend, und wir glauben, daß die Kunst nur
dann gedeiht, wenn man diese Vorliebe auf das strengste Maß deS Nothwen¬
digen zurückführt.

Der Dichter hat verhältnißmäßig in kurzer Zeit eine so rasche und be¬
deutende 'Entwicklung durchgemacht, daß wir für seine Zukunft die besten Hoff
nungen hegen, doch werden diese. Hoffnungen nur dann in Erfüllung gehen,
wenn er aus dem Naturalismus seines bisherigen Schaffens heraustritt und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0412" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101405"/>
            <p xml:id="ID_1241" prev="#ID_1240"> hat. Die kecken, dreisten Figuren in Shakespeares Lustspielen, die nicht sehr<lb/>
empfindsam sind und nicht zu peinlich über die Maximen ihres Handels grübeln,<lb/>
sind die eigentlichen Vorbilder des Dichters gewesen. Der Fehler ist nur,<lb/>
daß er die Wirklichkeit übertreibt, insofern er die charakteristischen Züge, die in<lb/>
der Wirklichkeit durch gleichgiltigere Uebergangsmomente von einander getrennt<lb/>
werden, hart und schroff zusammendrängt, so daß die Gedrungenheit oft die<lb/>
Grenze der Schönheit überschreitet.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1242"> Der Gegensatz dieser naturkräftigen Helden gegen ihre spanischen jesuitischen<lb/>
Feinde, die ihre Seele einer fremden Macht verkauft haben, ist sehr fein empfun¬<lb/>
den und mit einer Wärme wiedergegeben, die nur der lebendige Haß erklärt.<lb/>
Objectiv und parteilos ist der Dichter keineswegs, er verabscheut die römischen<lb/>
Priester gründlich und versäumt keine Gelegenheit, sie in der ganzen greu¬<lb/>
lichen Verderbnis) zu schildern, die eine Selbstentfremdung des Gewissens zu¬<lb/>
letzt nach sich zieht. Die höchste Kunstform ist das freilich nicht. Ein W. Scott<lb/>
würde auch das feindliche Princip zu seinem Recht gebracht haben, aber es<lb/>
macht doch einen viel frischem Eindruck, als jene Blasirtheit, die sich aus<lb/>
innerer Kraftlosigkeit mit allen Gegensätzen versöhnt, und vor allen Dingen,<lb/>
der Gegensatz ist im Wesentlichen richtig dargestellt. Man mag.über das Ver¬<lb/>
hältniß der katholischen zur protestantischen Kirche denken, wie man will, für<lb/>
das 16. und 17. Jahrhundert wird man zugeben müssen, daß die Erscheinun¬<lb/>
gen der streitenden katholischen Kirche grade in ihrer höchsten Blüte krankhaft<lb/>
dämonischer Natur waren. Man stelle Loyola neben Luther, Alba neben Ora-<lb/>
nien, Calderon neben Shakespeare, und es ist alles gesagt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1243"> Je größere Anerkennung wir dem plastischen Talent in diesem Roman<lb/>
zollen, desto lebhafter bedauern wir die Abwesenheit aller Eomposttivn. Die<lb/>
Ereignisse sind so bunt und willkürlich durchcinundergeworfen, daß es uns zu¬<lb/>
weilen vorkommt, als bewegten wir uns im Traume. Scenen einer wilden,<lb/>
phantastischen Grausamkeit drängen sich bis zur Erschöpfung aneinander und<lb/>
versagen uns jeden Ruhepunkt. Die buntesten Verwicklungen und Ver¬<lb/>
knüpfungen lösen sich ab, ohne zu einem Resultat zu führen. Planlos, wie<lb/>
das Leben dieser Abenteurer, ist auch ihre Geschichte, und das ist doch für das<lb/>
Kunstwerk ein entschiedener Fehler, denn trotz aller interessanten Details wird<lb/>
der Leser zuletzt ermüdet. Nebenbei macht sich zuweilen eine gewisse Vorliebe<lb/>
fürs Grausame und Fratzenhafte geltend, und wir glauben, daß die Kunst nur<lb/>
dann gedeiht, wenn man diese Vorliebe auf das strengste Maß deS Nothwen¬<lb/>
digen zurückführt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1244" next="#ID_1245"> Der Dichter hat verhältnißmäßig in kurzer Zeit eine so rasche und be¬<lb/>
deutende 'Entwicklung durchgemacht, daß wir für seine Zukunft die besten Hoff<lb/>
nungen hegen, doch werden diese. Hoffnungen nur dann in Erfüllung gehen,<lb/>
wenn er aus dem Naturalismus seines bisherigen Schaffens heraustritt und</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0412] hat. Die kecken, dreisten Figuren in Shakespeares Lustspielen, die nicht sehr empfindsam sind und nicht zu peinlich über die Maximen ihres Handels grübeln, sind die eigentlichen Vorbilder des Dichters gewesen. Der Fehler ist nur, daß er die Wirklichkeit übertreibt, insofern er die charakteristischen Züge, die in der Wirklichkeit durch gleichgiltigere Uebergangsmomente von einander getrennt werden, hart und schroff zusammendrängt, so daß die Gedrungenheit oft die Grenze der Schönheit überschreitet. Der Gegensatz dieser naturkräftigen Helden gegen ihre spanischen jesuitischen Feinde, die ihre Seele einer fremden Macht verkauft haben, ist sehr fein empfun¬ den und mit einer Wärme wiedergegeben, die nur der lebendige Haß erklärt. Objectiv und parteilos ist der Dichter keineswegs, er verabscheut die römischen Priester gründlich und versäumt keine Gelegenheit, sie in der ganzen greu¬ lichen Verderbnis) zu schildern, die eine Selbstentfremdung des Gewissens zu¬ letzt nach sich zieht. Die höchste Kunstform ist das freilich nicht. Ein W. Scott würde auch das feindliche Princip zu seinem Recht gebracht haben, aber es macht doch einen viel frischem Eindruck, als jene Blasirtheit, die sich aus innerer Kraftlosigkeit mit allen Gegensätzen versöhnt, und vor allen Dingen, der Gegensatz ist im Wesentlichen richtig dargestellt. Man mag.über das Ver¬ hältniß der katholischen zur protestantischen Kirche denken, wie man will, für das 16. und 17. Jahrhundert wird man zugeben müssen, daß die Erscheinun¬ gen der streitenden katholischen Kirche grade in ihrer höchsten Blüte krankhaft dämonischer Natur waren. Man stelle Loyola neben Luther, Alba neben Ora- nien, Calderon neben Shakespeare, und es ist alles gesagt. Je größere Anerkennung wir dem plastischen Talent in diesem Roman zollen, desto lebhafter bedauern wir die Abwesenheit aller Eomposttivn. Die Ereignisse sind so bunt und willkürlich durchcinundergeworfen, daß es uns zu¬ weilen vorkommt, als bewegten wir uns im Traume. Scenen einer wilden, phantastischen Grausamkeit drängen sich bis zur Erschöpfung aneinander und versagen uns jeden Ruhepunkt. Die buntesten Verwicklungen und Ver¬ knüpfungen lösen sich ab, ohne zu einem Resultat zu führen. Planlos, wie das Leben dieser Abenteurer, ist auch ihre Geschichte, und das ist doch für das Kunstwerk ein entschiedener Fehler, denn trotz aller interessanten Details wird der Leser zuletzt ermüdet. Nebenbei macht sich zuweilen eine gewisse Vorliebe fürs Grausame und Fratzenhafte geltend, und wir glauben, daß die Kunst nur dann gedeiht, wenn man diese Vorliebe auf das strengste Maß deS Nothwen¬ digen zurückführt. Der Dichter hat verhältnißmäßig in kurzer Zeit eine so rasche und be¬ deutende 'Entwicklung durchgemacht, daß wir für seine Zukunft die besten Hoff nungen hegen, doch werden diese. Hoffnungen nur dann in Erfüllung gehen, wenn er aus dem Naturalismus seines bisherigen Schaffens heraustritt und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/412
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/412>, abgerufen am 19.05.2024.