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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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der einen Debatte, daß er sich in Beziehung auf die Schlacht von Marathon
versprach. Das kann jedem vorkommen, und es war spaßhaft genug, daß
es während der Sitzung von keinem seiner Gegner bemerkt wurde, daß sie erst
zu Hause nachschlagen mußten; was mir aber an dem Passus unangenehm war,
lag nicht in dem höchst unwesentlichen Irrthum, sondern darin, daß sich jener
Ausruf mehr äußerlich an die Rede fügte, als innerlich aus derselben hervor¬
ging. Ich glaube, daß die höchste Redekunst darin besteht, den einfachen und
sachgemäßen Ausdruck für die Empfindung und für die Ansicht zu finden.

Es bleibt mir noch die katholische Fraction übrig, die 30 Mann stark ist.
Den ältern Reichensperger, den Kunsthistoriker, habe ich leider nicht gehört;
ebensowenig den Domcapitular Ncukirch, der eine der bedeutendsten Capacitä-
ten in dieser Fraction sein soll. Der Appellationsgerichtsrath Robben und
der Oberregierungsrath Osterrath, die häufig für ihre Partei das Wort
nehmen, sind ohne erhebliches rednerisches Talent; ebenso ein junger Assessor,
Herr v. Mallincrodt, der in der Partei ein großes Ansehn zu genießen
scheint. Ein wirklicher Redner dagegen, in diesem Augenblick wol der aus¬
gezeichnetste in der ganzen Kammer, ist der jüngere Reichensperger', wie sein
Bruder Appcllationsgerichtsrath in Köln. Er verbindet Feinheit und Eleganz
des Vertrags mit Feuer und Leidenschaft; er weiß genau, was er sagen will,
und findet stets die richtigen Mittel, es auszudrücken. Außerdem gebietet er
über einen beträchtlichen Vorrath an Stoss. Ueber seine unklare principielle
Stellung habe ich mich schon ausgesprochen. Der' Führer einer Partei, die
das Gerlachsche Stichwort: "Autorität, nicht Majorität", viel cousequenter
in sich ausgebildet hat, als die äußerste Rechte selbst, macht als entschieden
liberaler Redner immer einen seltsamen Eindruck. Es wäre gut, wenn sich un¬
sere Freunde stets daran erinnerten, daß dieses Bündniß mit den Katho¬
liken, so fest es für den Augenblick zu stehen scheint, doch nur sehr vorüber¬
gehend sein kann; grade wie in Belgien, wo die Interessen der klerikalen und
der liberalen Partei, die sich zum gemeinsamen Kampf gegen die Holländer
vereinigt hatten, doch sehr bald auseinandergingen.

Bekanntlich hat die Demokratie, so weit sie ihren Journalen gehorchte,
sich dies Mal an den Wahlen betheiligt, indem sie den Mitgliedern der consti-
tutionellen Opposition ihre Stimmen gab. Um so auffallender muß es sein,
daß jetzt eins jener Blätter, welche damals am lautesten für die Betheiligung
an den Wahlen sprachen, auf einmal wieder den alten Ton anstimme und so
redet, als blicke es auf die beiden streitenden Parteien vom Sirius hernieder
und stehe ihnen infolge dieser Entfernung gleich fern. Nach dem, was vor¬
gefallen! ist, ist das ein so auffallendes Factum, daß es wol eine nähere Un¬
tersuchung verdient.




der einen Debatte, daß er sich in Beziehung auf die Schlacht von Marathon
versprach. Das kann jedem vorkommen, und es war spaßhaft genug, daß
es während der Sitzung von keinem seiner Gegner bemerkt wurde, daß sie erst
zu Hause nachschlagen mußten; was mir aber an dem Passus unangenehm war,
lag nicht in dem höchst unwesentlichen Irrthum, sondern darin, daß sich jener
Ausruf mehr äußerlich an die Rede fügte, als innerlich aus derselben hervor¬
ging. Ich glaube, daß die höchste Redekunst darin besteht, den einfachen und
sachgemäßen Ausdruck für die Empfindung und für die Ansicht zu finden.

Es bleibt mir noch die katholische Fraction übrig, die 30 Mann stark ist.
Den ältern Reichensperger, den Kunsthistoriker, habe ich leider nicht gehört;
ebensowenig den Domcapitular Ncukirch, der eine der bedeutendsten Capacitä-
ten in dieser Fraction sein soll. Der Appellationsgerichtsrath Robben und
der Oberregierungsrath Osterrath, die häufig für ihre Partei das Wort
nehmen, sind ohne erhebliches rednerisches Talent; ebenso ein junger Assessor,
Herr v. Mallincrodt, der in der Partei ein großes Ansehn zu genießen
scheint. Ein wirklicher Redner dagegen, in diesem Augenblick wol der aus¬
gezeichnetste in der ganzen Kammer, ist der jüngere Reichensperger', wie sein
Bruder Appcllationsgerichtsrath in Köln. Er verbindet Feinheit und Eleganz
des Vertrags mit Feuer und Leidenschaft; er weiß genau, was er sagen will,
und findet stets die richtigen Mittel, es auszudrücken. Außerdem gebietet er
über einen beträchtlichen Vorrath an Stoss. Ueber seine unklare principielle
Stellung habe ich mich schon ausgesprochen. Der' Führer einer Partei, die
das Gerlachsche Stichwort: „Autorität, nicht Majorität", viel cousequenter
in sich ausgebildet hat, als die äußerste Rechte selbst, macht als entschieden
liberaler Redner immer einen seltsamen Eindruck. Es wäre gut, wenn sich un¬
sere Freunde stets daran erinnerten, daß dieses Bündniß mit den Katho¬
liken, so fest es für den Augenblick zu stehen scheint, doch nur sehr vorüber¬
gehend sein kann; grade wie in Belgien, wo die Interessen der klerikalen und
der liberalen Partei, die sich zum gemeinsamen Kampf gegen die Holländer
vereinigt hatten, doch sehr bald auseinandergingen.

Bekanntlich hat die Demokratie, so weit sie ihren Journalen gehorchte,
sich dies Mal an den Wahlen betheiligt, indem sie den Mitgliedern der consti-
tutionellen Opposition ihre Stimmen gab. Um so auffallender muß es sein,
daß jetzt eins jener Blätter, welche damals am lautesten für die Betheiligung
an den Wahlen sprachen, auf einmal wieder den alten Ton anstimme und so
redet, als blicke es auf die beiden streitenden Parteien vom Sirius hernieder
und stehe ihnen infolge dieser Entfernung gleich fern. Nach dem, was vor¬
gefallen! ist, ist das ein so auffallendes Factum, daß es wol eine nähere Un¬
tersuchung verdient.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/428>, abgerufen am 27.05.2024.