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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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Besser, als diese analytischen Bemerkungen, wird eine Skizze des Gegen¬
standes selbst dem Leser die Einsicht in dieses Werk erleichtern. Wir können
dabei nur kurz sein und müssen auf eine vollständige Entwicklung des Zu¬
sammenhangs verzichten. Zunächst fassen wir den Grundgedanken des Buchs.

Der erste Band schließt mit der vollständigen Erreichung des Ziels, auf
welches die ursprüngliche Anlage des römischen Staats hingewiesen hatte.
Ganz Italien war der römischen Herrschaft einverleibt und nicht blos durch
äußere Unterwerfung, sondern auch durch patriotische Gesinnung mit der Haupt¬
stadt verbunden. Die auswärtigen Feinde waren niedergeschlagen, Rom hatte
keinen gefährlichen Gegner mehr zu fürchten; die inneren Standesunterschiede
hatten sich ausgeglichen, die Zügel der Regierung waren in den festen Händen
des Senats, der durch seine patriotische Haltung während der punischen Kriege
sich populär gemacht, die demokratischen Formen, die daneben bestanden, waren
praktisch unschädlich. Ein großes heroisches Zeitalter hatte Rom mit dem
Glauben an seine eigne Unbesiegbarkeit genährt und dieser Glaube war die sitt¬
liche Substanz des Staats. -- Wie kam es nun, daß dieses glänzende Zeit¬
alter ein so schnelles Ende nahm?

Zunächst waren alle Maximen der bisherigen Regierung darauf berechnet,
daß der römische Staat sich nicht über Italien ausdehnen sollte. Theils die
Nothwendigkeit der äußern Umstände, theils die natürliche Herrschsucht veran¬
laßte die Römer zu Eroberungen über diese Grenze hinaus. Der Aufgabe,
diese Provinzen mit dem Staatsorganismus zu verbinden, war die herrschende '
Aristokratie nicht gewachsen. Alle diese Besitzungen gaben nur einflußreichen
Familien Gelegenheit, sich durch Ausplünderung der Unterworfenen oder durch
leichten Grenzkrieg schnell zu bereichern. Bald wurden dort stehende Heere
erforderlich, die von dem Zusammenhang des römischen Lebens immermehr ge¬
trennt, immermehr an die Person des Feldherrn geknüpft wurden. Die Herr¬
schaft Roms in jenen Gegenden war ein absolutes Unrecht, da sie nicht einmal
im Stande war, ihre eignen Angehörigen gegen Land- und Seeräuber zu
schützen. -- Auch die Umwandlung Italiens in einen römischen Staat hatte
nicht völlig durchgeführt werden können. Das staatenbildende Princip des
Alterthums litt an einem wesentlichen Mangel. Das Gemeinwesen war ledig¬
lich die Stadt; was außerhalb derselben lag, nahm an dem politischen Leben
keinen Theil. Je mächtiger die herrschenden Familien in Rom wurden, je
tiefer sanken die italischen Städte in die Reihe der Unterdrückten herab. Der ^
Begriff des Repräsentativstaats, welcher allein im Stande ist, das politische
Leben über ein größeres Reich zu verbreiten, war dem Alterthum fremd und
dieser Mangel hat schließlich den Untergang aller Republiken herbeigeführt.
Die Zustände waren haltbar, solange die Regierung unumschränkt in den Hän¬
den des Senats war; sobald aber der hauptstädtische Pöbel anfing, sich seiner


Besser, als diese analytischen Bemerkungen, wird eine Skizze des Gegen¬
standes selbst dem Leser die Einsicht in dieses Werk erleichtern. Wir können
dabei nur kurz sein und müssen auf eine vollständige Entwicklung des Zu¬
sammenhangs verzichten. Zunächst fassen wir den Grundgedanken des Buchs.

Der erste Band schließt mit der vollständigen Erreichung des Ziels, auf
welches die ursprüngliche Anlage des römischen Staats hingewiesen hatte.
Ganz Italien war der römischen Herrschaft einverleibt und nicht blos durch
äußere Unterwerfung, sondern auch durch patriotische Gesinnung mit der Haupt¬
stadt verbunden. Die auswärtigen Feinde waren niedergeschlagen, Rom hatte
keinen gefährlichen Gegner mehr zu fürchten; die inneren Standesunterschiede
hatten sich ausgeglichen, die Zügel der Regierung waren in den festen Händen
des Senats, der durch seine patriotische Haltung während der punischen Kriege
sich populär gemacht, die demokratischen Formen, die daneben bestanden, waren
praktisch unschädlich. Ein großes heroisches Zeitalter hatte Rom mit dem
Glauben an seine eigne Unbesiegbarkeit genährt und dieser Glaube war die sitt¬
liche Substanz des Staats. — Wie kam es nun, daß dieses glänzende Zeit¬
alter ein so schnelles Ende nahm?

Zunächst waren alle Maximen der bisherigen Regierung darauf berechnet,
daß der römische Staat sich nicht über Italien ausdehnen sollte. Theils die
Nothwendigkeit der äußern Umstände, theils die natürliche Herrschsucht veran¬
laßte die Römer zu Eroberungen über diese Grenze hinaus. Der Aufgabe,
diese Provinzen mit dem Staatsorganismus zu verbinden, war die herrschende '
Aristokratie nicht gewachsen. Alle diese Besitzungen gaben nur einflußreichen
Familien Gelegenheit, sich durch Ausplünderung der Unterworfenen oder durch
leichten Grenzkrieg schnell zu bereichern. Bald wurden dort stehende Heere
erforderlich, die von dem Zusammenhang des römischen Lebens immermehr ge¬
trennt, immermehr an die Person des Feldherrn geknüpft wurden. Die Herr¬
schaft Roms in jenen Gegenden war ein absolutes Unrecht, da sie nicht einmal
im Stande war, ihre eignen Angehörigen gegen Land- und Seeräuber zu
schützen. — Auch die Umwandlung Italiens in einen römischen Staat hatte
nicht völlig durchgeführt werden können. Das staatenbildende Princip des
Alterthums litt an einem wesentlichen Mangel. Das Gemeinwesen war ledig¬
lich die Stadt; was außerhalb derselben lag, nahm an dem politischen Leben
keinen Theil. Je mächtiger die herrschenden Familien in Rom wurden, je
tiefer sanken die italischen Städte in die Reihe der Unterdrückten herab. Der ^
Begriff des Repräsentativstaats, welcher allein im Stande ist, das politische
Leben über ein größeres Reich zu verbreiten, war dem Alterthum fremd und
dieser Mangel hat schließlich den Untergang aller Republiken herbeigeführt.
Die Zustände waren haltbar, solange die Regierung unumschränkt in den Hän¬
den des Senats war; sobald aber der hauptstädtische Pöbel anfing, sich seiner


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[0014] Besser, als diese analytischen Bemerkungen, wird eine Skizze des Gegen¬ standes selbst dem Leser die Einsicht in dieses Werk erleichtern. Wir können dabei nur kurz sein und müssen auf eine vollständige Entwicklung des Zu¬ sammenhangs verzichten. Zunächst fassen wir den Grundgedanken des Buchs. Der erste Band schließt mit der vollständigen Erreichung des Ziels, auf welches die ursprüngliche Anlage des römischen Staats hingewiesen hatte. Ganz Italien war der römischen Herrschaft einverleibt und nicht blos durch äußere Unterwerfung, sondern auch durch patriotische Gesinnung mit der Haupt¬ stadt verbunden. Die auswärtigen Feinde waren niedergeschlagen, Rom hatte keinen gefährlichen Gegner mehr zu fürchten; die inneren Standesunterschiede hatten sich ausgeglichen, die Zügel der Regierung waren in den festen Händen des Senats, der durch seine patriotische Haltung während der punischen Kriege sich populär gemacht, die demokratischen Formen, die daneben bestanden, waren praktisch unschädlich. Ein großes heroisches Zeitalter hatte Rom mit dem Glauben an seine eigne Unbesiegbarkeit genährt und dieser Glaube war die sitt¬ liche Substanz des Staats. — Wie kam es nun, daß dieses glänzende Zeit¬ alter ein so schnelles Ende nahm? Zunächst waren alle Maximen der bisherigen Regierung darauf berechnet, daß der römische Staat sich nicht über Italien ausdehnen sollte. Theils die Nothwendigkeit der äußern Umstände, theils die natürliche Herrschsucht veran¬ laßte die Römer zu Eroberungen über diese Grenze hinaus. Der Aufgabe, diese Provinzen mit dem Staatsorganismus zu verbinden, war die herrschende ' Aristokratie nicht gewachsen. Alle diese Besitzungen gaben nur einflußreichen Familien Gelegenheit, sich durch Ausplünderung der Unterworfenen oder durch leichten Grenzkrieg schnell zu bereichern. Bald wurden dort stehende Heere erforderlich, die von dem Zusammenhang des römischen Lebens immermehr ge¬ trennt, immermehr an die Person des Feldherrn geknüpft wurden. Die Herr¬ schaft Roms in jenen Gegenden war ein absolutes Unrecht, da sie nicht einmal im Stande war, ihre eignen Angehörigen gegen Land- und Seeräuber zu schützen. — Auch die Umwandlung Italiens in einen römischen Staat hatte nicht völlig durchgeführt werden können. Das staatenbildende Princip des Alterthums litt an einem wesentlichen Mangel. Das Gemeinwesen war ledig¬ lich die Stadt; was außerhalb derselben lag, nahm an dem politischen Leben keinen Theil. Je mächtiger die herrschenden Familien in Rom wurden, je tiefer sanken die italischen Städte in die Reihe der Unterdrückten herab. Der ^ Begriff des Repräsentativstaats, welcher allein im Stande ist, das politische Leben über ein größeres Reich zu verbreiten, war dem Alterthum fremd und dieser Mangel hat schließlich den Untergang aller Republiken herbeigeführt. Die Zustände waren haltbar, solange die Regierung unumschränkt in den Hän¬ den des Senats war; sobald aber der hauptstädtische Pöbel anfing, sich seiner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/14>, abgerufen am 22.05.2024.