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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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ohne daß die Prophezeihung sich erfüllt, erklärt er, sich um ein Jahr verrechnet
ZU haben (1851). Eine Dame sucht bei einem Witwer oder einzelnen Herrn
eine Stelle, wo sie den Haushalt beaufsichtigen oder bei Tische Präsidiren will.
Sie ist angenehm, hübsch, sorglich, wünschenswerth Engländerin, witzig, generös,
-- nun folgen noch 20 Epitheta, worunter "philosophisch, ruhig und ranthip-
Pisch, eisersüchtig". Die Würde und der Titel eines Barons sind für die un¬
beträchtliche Summe von 1000 Pfund zu verkaufen. Eine junge Dame hat
die Leidenschaft, ihr Zimmer mit Briefmarken zu bekleben; 16,000 hat sie be¬
reits durch die Güte ihrer Freunde zusammengebracht, die aber nicht hinreichen,
sie bittet "gutmüthige Personen" um Beiträge. Für ein Sommertheatcr und
eine wandernde Truppe werden eine erste Liebhaberin, ein singendes Kammer¬
mädchen, ein ersterer, niederer Komiker u. s. w. gesucht. Folgendes ist wört¬
lich. "Gesucht. Mann und Frau, um ein Pferd und eine Milchkammer zu
beaufsichtigen, von religiöser Richtung ohne sonstige Obliegenheit?'

Die Buntheit der Timesannoncen ist nicht minder erstaunlich als ihre
Menge. Ein dünner Strich trennt eine Aufforderung zu einem Darlehn von
Millionen von dem traurigen schwachen Ruf der Frau "aus gebildetem Stande",
die in einer Kinderstube Dienste ^thun will, "um eines, Obdachs willen". Feurige
Liebe erhebt ihre Stimme dicht neben der Anzeige einer Neuangekommenen
Ladung lebendiger Schildkröten oder der Adresse eines WanzenvertilgerS'. Die
arme Dame, die Boarders aufzunehmen wünscht,."blos um der Gesellschaft
willen" findet ihr Gesuch an der Seite einer Prophezeihung, die alle Gesell¬
schaft überhaupt in Frage stellt, nämlich, daß die Welt in der Mitte des näch¬
sten Monats enden muß. Oder der Leser wird benachrichtigt, daß er für die
Einlage von 12 Postmarken erfahren kann, "wie man sein Glück macht", neben
dem Versprechen von 300 Pfund für den, welcher dem Einsender eine An¬
stellung verschafft. Times, sagt der englische Referent, spiegelt jedes Bedürfniß
wieder und appellirt an jedes Motiv, das aus unsre complicirte Gesellschaft
einwirkt. Und warum das? Weil sie überall ist, wie der Sperling oder die
Haussiiege. Der Portier liest sie in seiner Loge, der Herr in seinem Studir-
zimmer, der Luftfahrer nimmt sie in die Wolken mit, und der Kohlengräber in
die Tiefe seiner Mine; der Handwerker an seiner Bank/ der Goldgräber in
seinem Loch, der Soldat im Laufgraben brüten über ihren breiten.Blättern.
Sie ist das nationale Blatt von England psr exce-IIenos. In dem Zimmer
der Redaction zeigt man eine sonderbare Figur, die durch eine unregelmäßige
Linie die Höhe deS Absatzes Tag für Tag und Jahr für Jahr angibt, und
die Strömungen der politischen Stimmung und den Druck, der öffentlichen Anf¬
ügung so genau markirt wie ein Barometer die atmosphärischen Veränderungen.-
I8i5 setzte sie täglich 23,000 Exemplare ab; am 28. Januar.18i6, wo der Be¬
richt Pxxls über die Korngesetze erschien, stieg sie aus öl,000 und fiel dann


ohne daß die Prophezeihung sich erfüllt, erklärt er, sich um ein Jahr verrechnet
ZU haben (1851). Eine Dame sucht bei einem Witwer oder einzelnen Herrn
eine Stelle, wo sie den Haushalt beaufsichtigen oder bei Tische Präsidiren will.
Sie ist angenehm, hübsch, sorglich, wünschenswerth Engländerin, witzig, generös,
— nun folgen noch 20 Epitheta, worunter „philosophisch, ruhig und ranthip-
Pisch, eisersüchtig". Die Würde und der Titel eines Barons sind für die un¬
beträchtliche Summe von 1000 Pfund zu verkaufen. Eine junge Dame hat
die Leidenschaft, ihr Zimmer mit Briefmarken zu bekleben; 16,000 hat sie be¬
reits durch die Güte ihrer Freunde zusammengebracht, die aber nicht hinreichen,
sie bittet „gutmüthige Personen" um Beiträge. Für ein Sommertheatcr und
eine wandernde Truppe werden eine erste Liebhaberin, ein singendes Kammer¬
mädchen, ein ersterer, niederer Komiker u. s. w. gesucht. Folgendes ist wört¬
lich. „Gesucht. Mann und Frau, um ein Pferd und eine Milchkammer zu
beaufsichtigen, von religiöser Richtung ohne sonstige Obliegenheit?'

Die Buntheit der Timesannoncen ist nicht minder erstaunlich als ihre
Menge. Ein dünner Strich trennt eine Aufforderung zu einem Darlehn von
Millionen von dem traurigen schwachen Ruf der Frau „aus gebildetem Stande",
die in einer Kinderstube Dienste ^thun will, „um eines, Obdachs willen". Feurige
Liebe erhebt ihre Stimme dicht neben der Anzeige einer Neuangekommenen
Ladung lebendiger Schildkröten oder der Adresse eines WanzenvertilgerS'. Die
arme Dame, die Boarders aufzunehmen wünscht,.„blos um der Gesellschaft
willen" findet ihr Gesuch an der Seite einer Prophezeihung, die alle Gesell¬
schaft überhaupt in Frage stellt, nämlich, daß die Welt in der Mitte des näch¬
sten Monats enden muß. Oder der Leser wird benachrichtigt, daß er für die
Einlage von 12 Postmarken erfahren kann, „wie man sein Glück macht", neben
dem Versprechen von 300 Pfund für den, welcher dem Einsender eine An¬
stellung verschafft. Times, sagt der englische Referent, spiegelt jedes Bedürfniß
wieder und appellirt an jedes Motiv, das aus unsre complicirte Gesellschaft
einwirkt. Und warum das? Weil sie überall ist, wie der Sperling oder die
Haussiiege. Der Portier liest sie in seiner Loge, der Herr in seinem Studir-
zimmer, der Luftfahrer nimmt sie in die Wolken mit, und der Kohlengräber in
die Tiefe seiner Mine; der Handwerker an seiner Bank/ der Goldgräber in
seinem Loch, der Soldat im Laufgraben brüten über ihren breiten.Blättern.
Sie ist das nationale Blatt von England psr exce-IIenos. In dem Zimmer
der Redaction zeigt man eine sonderbare Figur, die durch eine unregelmäßige
Linie die Höhe deS Absatzes Tag für Tag und Jahr für Jahr angibt, und
die Strömungen der politischen Stimmung und den Druck, der öffentlichen Anf¬
ügung so genau markirt wie ein Barometer die atmosphärischen Veränderungen.-
I8i5 setzte sie täglich 23,000 Exemplare ab; am 28. Januar.18i6, wo der Be¬
richt Pxxls über die Korngesetze erschien, stieg sie aus öl,000 und fiel dann


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/141>, abgerufen am 15.06.2024.