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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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er seinen Zug von Afrika ins Keltenland den Siegesfahrten des Dionysos
von Erdtheil zu Erdtheil verglich und einen Becher -- keinen von den klein¬
sten -- nach dem Muster des bacchischen für seinen Gebrauch sich fertigen ließ.
Es war ebensoviel Hoffnung wie Dankbarkeit in dieser taumelnden Begeisterung
des Volkes, die einen Mann von kälterem Blut und gereifterer politischer Er¬
fahrung zu irren vermocht hätte." Marius ließ sich in der That verführen,
eine Rolle zu spielen, der er nicht gewachsen war. Das Unternehmen machte
einen schmählichen Bankrott, aber es war von neuem Blut geflossen, eS han¬
delte sich jetzt nur noch darum, daß die einzig reale Gewalt, das Militär, in
die Hände eines entschlossenen Charakters kam. In Sulla fand die Stadt
ihren Herrn. Als er an der Spitze eines Heeres stand, fand in Rom noch
einmal eine demokratische Ueberrumpelung statt, man entzog Sulla den ihm ge¬
setzmäßig übertragenen Oberbefehl im mithridatischen Kriege und übergab ihn
dem Marius. "Sulla war weder gutmüthig genug, um freiwillig einem solchen
Befehl Folge zu leisten, noch abhängig genug, um es zu müssen. Sein Heer
war theils durch die Folgen der von Marius herrührenden Umgestaltungen
des Heerwesens, theils durch die von Sulla gehandhabte, sittlich lockere und
militärisch strenge Disciplin, wenig mehr als eine ihrem Führer unbedingt er¬
gebene und in politischen Dingen indifferente Lanzknechtschar. Sulla selbst
war ein blasirter, kalter und klarer Kopf, dem die souveräne römische Bürger¬
schaft ein Pöbelhausen war, der Held von Aauä Sertiä ein bankrotter
Schwindler, die formelle Legalität eine Phrase, Rom selbst eine Stadt ohne
Besatzung und mit halb verfallenen Mauern, die viel leichter erobert werden
konnte als Nola. In diesem Sinne handelte er." -- Rom sah ein siegreiches
Heer in seiner Stadt, die demokratische Bewegung wurde niedergeschlagen, die
Anführer geächtet, aber Sulla war zu phlegmatisch, um weiter auf die Sache
einzugehen; er'zog mit seiner Armee in den Krieg, und eine neue Revolution
mit dem bekannten marianischen Schreckensregiment war die Folge davon. "Jn^
Zeiten, wie diese sind, wird der Wahnsinn selbst eine Macht; man stürzt sich
in den Abgrund, um vor dem Schwindel sich^zu retten.... Dem Urheber
dieses Terrorismus, dem alten Gajus Marius chatte also das Verhängniß seine
beiden höchsten Wünsche gewährt. Er hatte Rache genommen an all dieser vor¬
nehmen Meute, die ihm seine Siege vergällt, seine Niederlagen vergiftet hatte;
er hatte jeden Nadelstich mit einem Dolchstich vergelten können. Er trat ferner
das neue Jahr noch einmal an als Consul; das Traumbild des siebenten Con-
sulats, das der Orakelspruch ihm zugesichert^ nach dem er seit dreizehn Jahren
gegriffen hatte, war nun wirklich geworden. Was er wünschte, hatten die
Götter ihm gewährt; aber auch jetzt noüy' wie in der alten Sagenzeit übten
sie die verhängnißvolle Ironie, den Menschen durch die Erfüllung seiner Wünsche
zu verderben. In seinen ersten Consulaten der Stolz, im sechsten das Gespött seiner


er seinen Zug von Afrika ins Keltenland den Siegesfahrten des Dionysos
von Erdtheil zu Erdtheil verglich und einen Becher — keinen von den klein¬
sten — nach dem Muster des bacchischen für seinen Gebrauch sich fertigen ließ.
Es war ebensoviel Hoffnung wie Dankbarkeit in dieser taumelnden Begeisterung
des Volkes, die einen Mann von kälterem Blut und gereifterer politischer Er¬
fahrung zu irren vermocht hätte." Marius ließ sich in der That verführen,
eine Rolle zu spielen, der er nicht gewachsen war. Das Unternehmen machte
einen schmählichen Bankrott, aber es war von neuem Blut geflossen, eS han¬
delte sich jetzt nur noch darum, daß die einzig reale Gewalt, das Militär, in
die Hände eines entschlossenen Charakters kam. In Sulla fand die Stadt
ihren Herrn. Als er an der Spitze eines Heeres stand, fand in Rom noch
einmal eine demokratische Ueberrumpelung statt, man entzog Sulla den ihm ge¬
setzmäßig übertragenen Oberbefehl im mithridatischen Kriege und übergab ihn
dem Marius. „Sulla war weder gutmüthig genug, um freiwillig einem solchen
Befehl Folge zu leisten, noch abhängig genug, um es zu müssen. Sein Heer
war theils durch die Folgen der von Marius herrührenden Umgestaltungen
des Heerwesens, theils durch die von Sulla gehandhabte, sittlich lockere und
militärisch strenge Disciplin, wenig mehr als eine ihrem Führer unbedingt er¬
gebene und in politischen Dingen indifferente Lanzknechtschar. Sulla selbst
war ein blasirter, kalter und klarer Kopf, dem die souveräne römische Bürger¬
schaft ein Pöbelhausen war, der Held von Aauä Sertiä ein bankrotter
Schwindler, die formelle Legalität eine Phrase, Rom selbst eine Stadt ohne
Besatzung und mit halb verfallenen Mauern, die viel leichter erobert werden
konnte als Nola. In diesem Sinne handelte er." — Rom sah ein siegreiches
Heer in seiner Stadt, die demokratische Bewegung wurde niedergeschlagen, die
Anführer geächtet, aber Sulla war zu phlegmatisch, um weiter auf die Sache
einzugehen; er'zog mit seiner Armee in den Krieg, und eine neue Revolution
mit dem bekannten marianischen Schreckensregiment war die Folge davon. „Jn^
Zeiten, wie diese sind, wird der Wahnsinn selbst eine Macht; man stürzt sich
in den Abgrund, um vor dem Schwindel sich^zu retten.... Dem Urheber
dieses Terrorismus, dem alten Gajus Marius chatte also das Verhängniß seine
beiden höchsten Wünsche gewährt. Er hatte Rache genommen an all dieser vor¬
nehmen Meute, die ihm seine Siege vergällt, seine Niederlagen vergiftet hatte;
er hatte jeden Nadelstich mit einem Dolchstich vergelten können. Er trat ferner
das neue Jahr noch einmal an als Consul; das Traumbild des siebenten Con-
sulats, das der Orakelspruch ihm zugesichert^ nach dem er seit dreizehn Jahren
gegriffen hatte, war nun wirklich geworden. Was er wünschte, hatten die
Götter ihm gewährt; aber auch jetzt noüy' wie in der alten Sagenzeit übten
sie die verhängnißvolle Ironie, den Menschen durch die Erfüllung seiner Wünsche
zu verderben. In seinen ersten Consulaten der Stolz, im sechsten das Gespött seiner


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/18>, abgerufen am 22.05.2024.