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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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innern Widerspruchs, der kläglichsten Ohnmacht, des gemeinsten Eigennutzes,
ein unübertroffenes Ideal der Mißrcgierung."

Die Demokratie hatte ihre Führer und den Glauben an ihre Kraft ver¬
loren; aber die Unzufriedenheit war nicht nur geblieben, sie wuchs über der
schlechten Verwaltung immer mehr, und es kam darauf an, ob sie unter den
militärischen Kapacitäten einen Führer zu gewinnen wußte; denn seitdem in
den gracchischen Unruhen die Gewalt entschieden hatte, mußte man einsehen,
daß den Waffen die letzte Entscheidung über Rom zustand. Sie sand ihren
Mann in dem Sieger der Cimbern und Teutonen, dem gefeiertsten Helden des
Vaterlandes, der sich eigentlich um die Parteiungen gar nicht kümmerte, den
aber der Unverstand der Aristokratie an der empfindlichsten Stelle verletzt hatte.
"Er paßte nicht in den glänzenden Kreis. Seine Stimme blieb rauh und laut,
sein Blick wild, als sähe er noch Libyer oder Kimbrer vor sich und nicht wohl¬
erzogene und parfümirte Collegen. Daß er abergläubisch war wie ein echter
Lanzknecht, daß er zur Bewerbung um sein erstes Consulat sich nicht durch den
Drang seiner Talente, sondern zunächst durch die Aussagen eines etruskischen
EingeweidebeschauerS bestimmen ließ, und bei dem Feldzug gegen die Teutonen
eine syrische Prophetin Martha mit ihren Orakeln dem Kriegsrath aushalf,
war nicht eigentlich unaristokratisch; in solchen Dingen begegneten sich damals
wie zu allen Zeiten die höchsten und die niedrigsten Schichten der Gesellschaft.
Allein unverzeihlich war der Mangel an politischer Bildung; es war zwar
löblich, daß er die Barbaren zu schlagen verstand, aber was sollte man denken
von einem Triumphator, der vou der vorschriftsmäßigen Etikette so wenig
wußte, um im Triumphalcostüm im Senat zu erscheinen! Auch sonst hing die
Rotüre ihm an. Er war nicht blos -- nach aristokratischer Terminologie --
ein armer Mann, sondern was schlimmer war, genügsam und ein abgesagter
Feind aller Bestechung und Durchsteckerei. Er verstand keine Feste zu geben
und hielt einen schlechten Koch; nach Soldatenart war er nicht wählerisch,
aber becherte gern, besonders in spätern Jahren. Ebenso übel war es, daß
der Consular nur lateinisch verstand und die griechische Conversation sich ver¬
bitten mußte; es konnte niemand etwas dagegen haben, daß er bei den griechi¬
schen Schauspielen sich langweilte -- er war vermuthlich nicht der einzige --
aber daß er sich zu seiner Langeweile bekannte, war naiv. So blieb er Zeit
seines Lebens ein unter die Aristokraten verschlagener Bauersmann und geplagt
von den empfindlichen Stichelworten und dem empfindlicheren Mitleiden seiner
Kollegen, das wie diese selbst zu'verachten er denn doch nicht über sich ver¬
mochte." -- Und in die Hände dieses Mannes war eine furchtbare Macht ge¬
legt. "Er hieß der Menge der dritte Romulus und der zweite Camillus; gleich
den Göttern wurden ihm Trankopfer gespendet. Es war kein Wunder, wenn
dem Bauernsohn der Kopf mitunter schwindelte von all der Herrlichkeit, wenn


Grenzboten. II. 48ö6. 2

innern Widerspruchs, der kläglichsten Ohnmacht, des gemeinsten Eigennutzes,
ein unübertroffenes Ideal der Mißrcgierung."

Die Demokratie hatte ihre Führer und den Glauben an ihre Kraft ver¬
loren; aber die Unzufriedenheit war nicht nur geblieben, sie wuchs über der
schlechten Verwaltung immer mehr, und es kam darauf an, ob sie unter den
militärischen Kapacitäten einen Führer zu gewinnen wußte; denn seitdem in
den gracchischen Unruhen die Gewalt entschieden hatte, mußte man einsehen,
daß den Waffen die letzte Entscheidung über Rom zustand. Sie sand ihren
Mann in dem Sieger der Cimbern und Teutonen, dem gefeiertsten Helden des
Vaterlandes, der sich eigentlich um die Parteiungen gar nicht kümmerte, den
aber der Unverstand der Aristokratie an der empfindlichsten Stelle verletzt hatte.
„Er paßte nicht in den glänzenden Kreis. Seine Stimme blieb rauh und laut,
sein Blick wild, als sähe er noch Libyer oder Kimbrer vor sich und nicht wohl¬
erzogene und parfümirte Collegen. Daß er abergläubisch war wie ein echter
Lanzknecht, daß er zur Bewerbung um sein erstes Consulat sich nicht durch den
Drang seiner Talente, sondern zunächst durch die Aussagen eines etruskischen
EingeweidebeschauerS bestimmen ließ, und bei dem Feldzug gegen die Teutonen
eine syrische Prophetin Martha mit ihren Orakeln dem Kriegsrath aushalf,
war nicht eigentlich unaristokratisch; in solchen Dingen begegneten sich damals
wie zu allen Zeiten die höchsten und die niedrigsten Schichten der Gesellschaft.
Allein unverzeihlich war der Mangel an politischer Bildung; es war zwar
löblich, daß er die Barbaren zu schlagen verstand, aber was sollte man denken
von einem Triumphator, der vou der vorschriftsmäßigen Etikette so wenig
wußte, um im Triumphalcostüm im Senat zu erscheinen! Auch sonst hing die
Rotüre ihm an. Er war nicht blos — nach aristokratischer Terminologie —
ein armer Mann, sondern was schlimmer war, genügsam und ein abgesagter
Feind aller Bestechung und Durchsteckerei. Er verstand keine Feste zu geben
und hielt einen schlechten Koch; nach Soldatenart war er nicht wählerisch,
aber becherte gern, besonders in spätern Jahren. Ebenso übel war es, daß
der Consular nur lateinisch verstand und die griechische Conversation sich ver¬
bitten mußte; es konnte niemand etwas dagegen haben, daß er bei den griechi¬
schen Schauspielen sich langweilte — er war vermuthlich nicht der einzige —
aber daß er sich zu seiner Langeweile bekannte, war naiv. So blieb er Zeit
seines Lebens ein unter die Aristokraten verschlagener Bauersmann und geplagt
von den empfindlichen Stichelworten und dem empfindlicheren Mitleiden seiner
Kollegen, das wie diese selbst zu'verachten er denn doch nicht über sich ver¬
mochte." — Und in die Hände dieses Mannes war eine furchtbare Macht ge¬
legt. „Er hieß der Menge der dritte Romulus und der zweite Camillus; gleich
den Göttern wurden ihm Trankopfer gespendet. Es war kein Wunder, wenn
dem Bauernsohn der Kopf mitunter schwindelte von all der Herrlichkeit, wenn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/17>, abgerufen am 22.05.2024.