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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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aber den Cato macht Mommsen ja selbst lächerlich. Er haßt ferner in der mo¬
dernen Literatur daS leichtsinnige Arbeiten der Dilettanten; aber er vergißt,
daß damals, wo die wissenschaftliche Arbeit erst eine Ausnahme war, der Di¬
lettantismus eine ganz andere Berechtigung hatte, als jetzt. Gewiß sind
Ciceros philosophische Arbeiten von einer erstaunlichen Nachlässigkeit; seine
Reden sind von Sophismen und Phrasen überfüllt, aber er war doch mehr als
ein bloßer Stilist, er war der gebildete Mann seiner Zeit, der Mann, der die
Bildung seiner Zeit firirte und diese Bildung ist das Fundament unsers eignen
Wissens, Denkens und Empfindens. Trotz unsrer großen christlich-germanischen
Vergangenheit würden wir im gesunden Menschenverstand und in der Bildung
noch sehr weit zurück sein, wenn wir nicht zuerst die römische Cultur und dann
durch ihre Vermittlung die griechische entdeckt hätten. Der Journalist Cicero
ist der Vermittler des sittlich intellectuellen Bewußtseins unsrer Zeit, so wie
der Journalist Voltaire der Erneuerer desselben ist. Eine liebenswürdige, ach¬
tunggebietende Persönlichkeit war keiner von beiden, ein Genie im Grunde
auch nicht, jedenfalls Cicero weniger, als Voltaire und doch hat die Welt in
ihrem Fortschritt diesen leichtsinnigen Literaten mehr zu verdanken, als einigen
Hunderten der gelehrten Philologen. Freilich ist das kein Grund, die leicht¬
sinnige Arbeit überhaupt zu rechtfertigen.

Man steht, daß dies alles nicht gegen den eigentlichen Inhalt, sondern
nur gegen den Ton der betreffenden Stellen gerichtet ist. und daß Mommsen
von seinen Ueberzeugungen nicht das Geringste opfern darf, wenn er die Aus¬
drücke, die in einer Zeitschrift vollkommen am Platz wären, in einem für die
Nachwelt bestimmten Werk einigermaßen ins Objective übersetzt.

Noch einen kleinen, aber doch wichtigen Wunsch sür die nächste Auflage
hätten wir auszusprechen, nämlich die Wiedereinführung der christlichen Chro¬
nologie. Das Buch ist für uns bestimmt, die wir in den Schulen die Be¬
gebenheiten der römischen Geschichte nach Jahren vor Christus, nicht nach
Jahren der Stadt gelernt haben. Wenn wir also die angegebene Zahl erst
immer von 734 subtrahiren müssen, so verfehlt die Chronologie den Zweck
schneller Orientirung.

Mehr als irgend ein Schriftsteller unsrer Zeit hat sich Mommsen nach
dieser großen und glänzenden Leistung das Recht erworben, auszuruhen; und
doch möchten wir den Wunsch aussprechen, daß es ihm bald vergönnt sein
möge, fortzufahren, denn mit dem dritten Bande hat das Werk keinen rechten
Abschluß und je schneller die Geschichte bis zur Schlacht von Antium darauf
folgt oder auch bis zu Tiberius, desto gedeihlicher wird es für den Erfolg des
Buchs sein.




aber den Cato macht Mommsen ja selbst lächerlich. Er haßt ferner in der mo¬
dernen Literatur daS leichtsinnige Arbeiten der Dilettanten; aber er vergißt,
daß damals, wo die wissenschaftliche Arbeit erst eine Ausnahme war, der Di¬
lettantismus eine ganz andere Berechtigung hatte, als jetzt. Gewiß sind
Ciceros philosophische Arbeiten von einer erstaunlichen Nachlässigkeit; seine
Reden sind von Sophismen und Phrasen überfüllt, aber er war doch mehr als
ein bloßer Stilist, er war der gebildete Mann seiner Zeit, der Mann, der die
Bildung seiner Zeit firirte und diese Bildung ist das Fundament unsers eignen
Wissens, Denkens und Empfindens. Trotz unsrer großen christlich-germanischen
Vergangenheit würden wir im gesunden Menschenverstand und in der Bildung
noch sehr weit zurück sein, wenn wir nicht zuerst die römische Cultur und dann
durch ihre Vermittlung die griechische entdeckt hätten. Der Journalist Cicero
ist der Vermittler des sittlich intellectuellen Bewußtseins unsrer Zeit, so wie
der Journalist Voltaire der Erneuerer desselben ist. Eine liebenswürdige, ach¬
tunggebietende Persönlichkeit war keiner von beiden, ein Genie im Grunde
auch nicht, jedenfalls Cicero weniger, als Voltaire und doch hat die Welt in
ihrem Fortschritt diesen leichtsinnigen Literaten mehr zu verdanken, als einigen
Hunderten der gelehrten Philologen. Freilich ist das kein Grund, die leicht¬
sinnige Arbeit überhaupt zu rechtfertigen.

Man steht, daß dies alles nicht gegen den eigentlichen Inhalt, sondern
nur gegen den Ton der betreffenden Stellen gerichtet ist. und daß Mommsen
von seinen Ueberzeugungen nicht das Geringste opfern darf, wenn er die Aus¬
drücke, die in einer Zeitschrift vollkommen am Platz wären, in einem für die
Nachwelt bestimmten Werk einigermaßen ins Objective übersetzt.

Noch einen kleinen, aber doch wichtigen Wunsch sür die nächste Auflage
hätten wir auszusprechen, nämlich die Wiedereinführung der christlichen Chro¬
nologie. Das Buch ist für uns bestimmt, die wir in den Schulen die Be¬
gebenheiten der römischen Geschichte nach Jahren vor Christus, nicht nach
Jahren der Stadt gelernt haben. Wenn wir also die angegebene Zahl erst
immer von 734 subtrahiren müssen, so verfehlt die Chronologie den Zweck
schneller Orientirung.

Mehr als irgend ein Schriftsteller unsrer Zeit hat sich Mommsen nach
dieser großen und glänzenden Leistung das Recht erworben, auszuruhen; und
doch möchten wir den Wunsch aussprechen, daß es ihm bald vergönnt sein
möge, fortzufahren, denn mit dem dritten Bande hat das Werk keinen rechten
Abschluß und je schneller die Geschichte bis zur Schlacht von Antium darauf
folgt oder auch bis zu Tiberius, desto gedeihlicher wird es für den Erfolg des
Buchs sein.




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[0027] aber den Cato macht Mommsen ja selbst lächerlich. Er haßt ferner in der mo¬ dernen Literatur daS leichtsinnige Arbeiten der Dilettanten; aber er vergißt, daß damals, wo die wissenschaftliche Arbeit erst eine Ausnahme war, der Di¬ lettantismus eine ganz andere Berechtigung hatte, als jetzt. Gewiß sind Ciceros philosophische Arbeiten von einer erstaunlichen Nachlässigkeit; seine Reden sind von Sophismen und Phrasen überfüllt, aber er war doch mehr als ein bloßer Stilist, er war der gebildete Mann seiner Zeit, der Mann, der die Bildung seiner Zeit firirte und diese Bildung ist das Fundament unsers eignen Wissens, Denkens und Empfindens. Trotz unsrer großen christlich-germanischen Vergangenheit würden wir im gesunden Menschenverstand und in der Bildung noch sehr weit zurück sein, wenn wir nicht zuerst die römische Cultur und dann durch ihre Vermittlung die griechische entdeckt hätten. Der Journalist Cicero ist der Vermittler des sittlich intellectuellen Bewußtseins unsrer Zeit, so wie der Journalist Voltaire der Erneuerer desselben ist. Eine liebenswürdige, ach¬ tunggebietende Persönlichkeit war keiner von beiden, ein Genie im Grunde auch nicht, jedenfalls Cicero weniger, als Voltaire und doch hat die Welt in ihrem Fortschritt diesen leichtsinnigen Literaten mehr zu verdanken, als einigen Hunderten der gelehrten Philologen. Freilich ist das kein Grund, die leicht¬ sinnige Arbeit überhaupt zu rechtfertigen. Man steht, daß dies alles nicht gegen den eigentlichen Inhalt, sondern nur gegen den Ton der betreffenden Stellen gerichtet ist. und daß Mommsen von seinen Ueberzeugungen nicht das Geringste opfern darf, wenn er die Aus¬ drücke, die in einer Zeitschrift vollkommen am Platz wären, in einem für die Nachwelt bestimmten Werk einigermaßen ins Objective übersetzt. Noch einen kleinen, aber doch wichtigen Wunsch sür die nächste Auflage hätten wir auszusprechen, nämlich die Wiedereinführung der christlichen Chro¬ nologie. Das Buch ist für uns bestimmt, die wir in den Schulen die Be¬ gebenheiten der römischen Geschichte nach Jahren vor Christus, nicht nach Jahren der Stadt gelernt haben. Wenn wir also die angegebene Zahl erst immer von 734 subtrahiren müssen, so verfehlt die Chronologie den Zweck schneller Orientirung. Mehr als irgend ein Schriftsteller unsrer Zeit hat sich Mommsen nach dieser großen und glänzenden Leistung das Recht erworben, auszuruhen; und doch möchten wir den Wunsch aussprechen, daß es ihm bald vergönnt sein möge, fortzufahren, denn mit dem dritten Bande hat das Werk keinen rechten Abschluß und je schneller die Geschichte bis zur Schlacht von Antium darauf folgt oder auch bis zu Tiberius, desto gedeihlicher wird es für den Erfolg des Buchs sein.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/27>, abgerufen am 22.05.2024.