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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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sich über die gegebenen Regeln hinwegsetzt; bei Pompejus dagegen ist' es
regelmäßig ein Zeichen vollkommener Unfähigkeit. Es liegt das weniger in
dem, was Mommsen sagt, als in dem Ton, in welchem er es sagt, und bei
einer sorgfältigern Durchsicht wird eS ihm wol gelingen, in den Fällen, wo
kein Urtheil nöthig ist, das Urtheil zurückzuhalten. -- Mommsen huldigt in
einem seltenen Grade dem sogenannten Cultus des Genius. Gegen die Schwäche
hat er keine Nachsicht; wo ihm aber eine starke und entschlossene Natur ent¬
gegentritt, sieht er gern über Regel und Gesetz hinweg, und das fällt um so
mehr auf, da er in jedem Augenblicke ganz ist, da sein Urtheil immer mit
Entschiedenheit nach einer bestimmten Richtung hingeht. Von einem Conflict
gleicher Berechtigungen im bestimmten Fall weiß er nichts. Außerdem ist seine
künstlerische Anlage und Bildung, so glänzend sie sich im Einzelnen bewährt,
in der Gruppirung des Ganzen doch nicht immer völlig reif; er ist über seine
Empfindung nicht so weit Herr, um Licht und Schatten gleichmäßig zu ver¬
theilen. So ist z. B. seine Darstellung Sullas vollkommen richtig, wenn man
nur auf den Inhalt eingeht, und doch ist die Färbung nicht ganz genau.
Wie man auch alles einzelne motivirt, das Endresultat mußte doch sein: er
ist ein Scheusal, das grauenvolle Bild einer völlig verwilderten und sitten¬
losen Zeit. Daß er dabei mehr Geist, Energie und gesunden Menschen¬
verstand besaß, als seine Gegner, ändert in der Sache nichts. Selbst seine
Einrichtungen, wenn auch etwas haltbarer, als die der besiegten demokra¬
tischen Partei, waren doch hohl wie seine eigne Seele. -- Die subjective
Färbung wird noch verstärkt durch die Neigung zu modernen Ausdrücken,
die in den meisten Fällen freilich so sein gewählt sind, daß sie ein überraschen¬
des Und überzeugendes neues Licht auf die Sache werfen, zuweilen aber an
dem Uebelstand leiden, daß in dem modernen Ausdruck noch etwas mehr liegt,
als für den Vergleich paßt. Wenn z. B. Cicero ein Literat und Journalist
im schlechtem Sinn genannt wird, so liegt doch ein sehr wesentlicher Unter¬
schied darin, daß er weder ein Journal schrieb, noch von seinen literarischen
Arbeiten lebte, daß er.vielmehr in den höchsten Reihen deö Staatslebens stand.
Sein journalistisches Talent war jedenfalls viel geringer, als das seines Ge¬
schichtschreibers, der in der Kunst, pikant zu sein, ein Meister ist. Es hat doch
seine Bedenken, das allgemeine Urtheil völlig zu ignoriren. DaS zeigt sich
auch in der Darstellung Ciceros, wenn auch das Meiste richtig ist. Durch die
modernen Ausdrücke wird Mommsen verführt, das, was er an unserm Leben
haßt, auch in den Schattenbildern der Vergangenheit zu verfolgen. Er haßt
die^ schwankenden Charaktere in unsrer Zeit, ohne zu erwägen, daß damals,
wer nicht grade selbst die Herrschaft an sich reißen wollte, unmöglich eine
feste Haltung beobachten konnte, da die Parteien in stetem Kreislauf begriffen
waren. Der Mann des abstracten Princips konnte freilich konsequent bleiben,


sich über die gegebenen Regeln hinwegsetzt; bei Pompejus dagegen ist' es
regelmäßig ein Zeichen vollkommener Unfähigkeit. Es liegt das weniger in
dem, was Mommsen sagt, als in dem Ton, in welchem er es sagt, und bei
einer sorgfältigern Durchsicht wird eS ihm wol gelingen, in den Fällen, wo
kein Urtheil nöthig ist, das Urtheil zurückzuhalten. — Mommsen huldigt in
einem seltenen Grade dem sogenannten Cultus des Genius. Gegen die Schwäche
hat er keine Nachsicht; wo ihm aber eine starke und entschlossene Natur ent¬
gegentritt, sieht er gern über Regel und Gesetz hinweg, und das fällt um so
mehr auf, da er in jedem Augenblicke ganz ist, da sein Urtheil immer mit
Entschiedenheit nach einer bestimmten Richtung hingeht. Von einem Conflict
gleicher Berechtigungen im bestimmten Fall weiß er nichts. Außerdem ist seine
künstlerische Anlage und Bildung, so glänzend sie sich im Einzelnen bewährt,
in der Gruppirung des Ganzen doch nicht immer völlig reif; er ist über seine
Empfindung nicht so weit Herr, um Licht und Schatten gleichmäßig zu ver¬
theilen. So ist z. B. seine Darstellung Sullas vollkommen richtig, wenn man
nur auf den Inhalt eingeht, und doch ist die Färbung nicht ganz genau.
Wie man auch alles einzelne motivirt, das Endresultat mußte doch sein: er
ist ein Scheusal, das grauenvolle Bild einer völlig verwilderten und sitten¬
losen Zeit. Daß er dabei mehr Geist, Energie und gesunden Menschen¬
verstand besaß, als seine Gegner, ändert in der Sache nichts. Selbst seine
Einrichtungen, wenn auch etwas haltbarer, als die der besiegten demokra¬
tischen Partei, waren doch hohl wie seine eigne Seele. — Die subjective
Färbung wird noch verstärkt durch die Neigung zu modernen Ausdrücken,
die in den meisten Fällen freilich so sein gewählt sind, daß sie ein überraschen¬
des Und überzeugendes neues Licht auf die Sache werfen, zuweilen aber an
dem Uebelstand leiden, daß in dem modernen Ausdruck noch etwas mehr liegt,
als für den Vergleich paßt. Wenn z. B. Cicero ein Literat und Journalist
im schlechtem Sinn genannt wird, so liegt doch ein sehr wesentlicher Unter¬
schied darin, daß er weder ein Journal schrieb, noch von seinen literarischen
Arbeiten lebte, daß er.vielmehr in den höchsten Reihen deö Staatslebens stand.
Sein journalistisches Talent war jedenfalls viel geringer, als das seines Ge¬
schichtschreibers, der in der Kunst, pikant zu sein, ein Meister ist. Es hat doch
seine Bedenken, das allgemeine Urtheil völlig zu ignoriren. DaS zeigt sich
auch in der Darstellung Ciceros, wenn auch das Meiste richtig ist. Durch die
modernen Ausdrücke wird Mommsen verführt, das, was er an unserm Leben
haßt, auch in den Schattenbildern der Vergangenheit zu verfolgen. Er haßt
die^ schwankenden Charaktere in unsrer Zeit, ohne zu erwägen, daß damals,
wer nicht grade selbst die Herrschaft an sich reißen wollte, unmöglich eine
feste Haltung beobachten konnte, da die Parteien in stetem Kreislauf begriffen
waren. Der Mann des abstracten Princips konnte freilich konsequent bleiben,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/26>, abgerufen am 22.05.2024.