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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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überwog zunächst das Beispiel der classischen Vorbilder, welches auch der
Poesie eine entschiedene Richtung gab. Man bemühte sich, zu schreiben, wie
Tacitus oder Livius, oder was man sonst für einen Liebling hatte, und die
Gelehrten wetteiferten darin mit deu Umgekehrten, Johannes von Müller mit
Schiller und Woltmann. Es war das die Periode, wo die rhetorische Kunst¬
form als das Höchste der Geschichtschreibung erschien. -- Nachdem dieser
Standpunkt überwunden war, sehen wir in der Geschichtschreibung drei ver¬
schiedene Richtungen auftreten. Der ersten kam es vorzugsweise auf historische
Kritik an; sie strebte danach, dunkle Thatsachen aufzuklären, die Forschung
trennte sich bei ihr ganz von der Darstellung. Es waren Männer, die in
Beziehung auf die Gelehrsamkeit den ersten Rang einnehmen, zum Theil auch
von genialer Begabung: Savigny, Niebuhr, Böckh, Grimm, Eichhorn, Ottfried
Müller u. s. w., sie waren alle mehr oder minder der Gegenwart abgewendet
und ihr Interesse heftete sich vorzugsweise an die Trümmer der Vorzeit. Sie
haben nicht blos ein ungeheures kritisch gesichtetes Material zusammengeführt,
sondern auch für die Forschung die Methode für ewige Zeiten festgestellt. An
diese historische Schule schloß sich dann zum Theil unter der Anregung des
Freiherrn von Stein die Sammlung von Quellenschriststellern der deutschen
Geschichte, von Ackerstücken, Urkunden u. s. w.; ferner die historischen Vereine
für Prvvinzialgeschichte, und was sonst in diesen Kreis gehört. Wenn die
Schule sich im Anfang theils aus die Philologie, theils auf die Rechtswissen¬
schaft stützte, und daher auf den historischen Stil keinen vortheilhaften Einfluß
ausübte, so wandte der letzte in dieser Reihe, Leopold Ranke, der nicht blos
ein großer Gelehrter, sondern auch ein großer Künstler war, die in der philo¬
logisch- juristischen Schule erworbene Methode auf das moderne Leben und
auf die Darstellung an und bahnte so den Weg von der abstrcicten Forschung
zur wirklichen Geschichtschreibung. -- Die zweite Richtung der historischen Kunst
ging von der Philosophie aus. Den Details abgeneigt und gegen die That¬
sache ziemlich gleichgiltig, bemühte sie sich, die historischen Ideen in großen
und glänzenden Perspectiven zu entfalten. Auf der einen Seite finden wir
hier die Romantiker und Naturphilosophen, denen es an Beziehungen zur ei¬
gentlichen historischen Schule nicht fehlte. Denn wenn die Schelling, Steffens
und Schubert über die Geschichte blos phantastrten, wenn Friedrich Schlegel,
der eigentliche Gründer der Schule, sich Mit allgemeinen Umrissen begnügte,
so vertieften sich dagegen die Hurter, die Philipps, die Schütz in. in Details,
und der jüngste aus der Schule, Heinrich Leo, vereinigt damit noch das
Talent einer lebhaften und ansprechenden Erzählung. Die Philosophen aus
der hegelschen Schule sind zwar den Romantikern und Legitimisten im Princip
wie im Resultat entgegengesetzt, in der Methode kommen sie aber darin mit
ihnen überein, daß es ihnen vorzugsweise auf die Construction von Ideen an-


überwog zunächst das Beispiel der classischen Vorbilder, welches auch der
Poesie eine entschiedene Richtung gab. Man bemühte sich, zu schreiben, wie
Tacitus oder Livius, oder was man sonst für einen Liebling hatte, und die
Gelehrten wetteiferten darin mit deu Umgekehrten, Johannes von Müller mit
Schiller und Woltmann. Es war das die Periode, wo die rhetorische Kunst¬
form als das Höchste der Geschichtschreibung erschien. — Nachdem dieser
Standpunkt überwunden war, sehen wir in der Geschichtschreibung drei ver¬
schiedene Richtungen auftreten. Der ersten kam es vorzugsweise auf historische
Kritik an; sie strebte danach, dunkle Thatsachen aufzuklären, die Forschung
trennte sich bei ihr ganz von der Darstellung. Es waren Männer, die in
Beziehung auf die Gelehrsamkeit den ersten Rang einnehmen, zum Theil auch
von genialer Begabung: Savigny, Niebuhr, Böckh, Grimm, Eichhorn, Ottfried
Müller u. s. w., sie waren alle mehr oder minder der Gegenwart abgewendet
und ihr Interesse heftete sich vorzugsweise an die Trümmer der Vorzeit. Sie
haben nicht blos ein ungeheures kritisch gesichtetes Material zusammengeführt,
sondern auch für die Forschung die Methode für ewige Zeiten festgestellt. An
diese historische Schule schloß sich dann zum Theil unter der Anregung des
Freiherrn von Stein die Sammlung von Quellenschriststellern der deutschen
Geschichte, von Ackerstücken, Urkunden u. s. w.; ferner die historischen Vereine
für Prvvinzialgeschichte, und was sonst in diesen Kreis gehört. Wenn die
Schule sich im Anfang theils aus die Philologie, theils auf die Rechtswissen¬
schaft stützte, und daher auf den historischen Stil keinen vortheilhaften Einfluß
ausübte, so wandte der letzte in dieser Reihe, Leopold Ranke, der nicht blos
ein großer Gelehrter, sondern auch ein großer Künstler war, die in der philo¬
logisch- juristischen Schule erworbene Methode auf das moderne Leben und
auf die Darstellung an und bahnte so den Weg von der abstrcicten Forschung
zur wirklichen Geschichtschreibung. — Die zweite Richtung der historischen Kunst
ging von der Philosophie aus. Den Details abgeneigt und gegen die That¬
sache ziemlich gleichgiltig, bemühte sie sich, die historischen Ideen in großen
und glänzenden Perspectiven zu entfalten. Auf der einen Seite finden wir
hier die Romantiker und Naturphilosophen, denen es an Beziehungen zur ei¬
gentlichen historischen Schule nicht fehlte. Denn wenn die Schelling, Steffens
und Schubert über die Geschichte blos phantastrten, wenn Friedrich Schlegel,
der eigentliche Gründer der Schule, sich Mit allgemeinen Umrissen begnügte,
so vertieften sich dagegen die Hurter, die Philipps, die Schütz in. in Details,
und der jüngste aus der Schule, Heinrich Leo, vereinigt damit noch das
Talent einer lebhaften und ansprechenden Erzählung. Die Philosophen aus
der hegelschen Schule sind zwar den Romantikern und Legitimisten im Princip
wie im Resultat entgegengesetzt, in der Methode kommen sie aber darin mit
ihnen überein, daß es ihnen vorzugsweise auf die Construction von Ideen an-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/358>, abgerufen am 16.06.2024.