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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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es sich auferlegt hat, fanden bisher noch keine ausreichende Compensation in jenem.
Es wird sich wenigstens erst zeigen müssen, ob die Vortheile, die Frankreich
möglicherweise für sich in Anspruch nehmen konnte, diesem wirklich zufallen
werden. Die englisch-französische Allianz, deren Nothwendigkeit diesseits des
Rheins als eine Staatsmarime betrachtet wird, kann und wird von un->
geHeuern Folgen werden, aber bisher hat hier der Muth und jenseits des
Kanals der Wille gefehlt, dasjenige zu erstreben, was solchen Mitteln kein
Unerreichbares und allein das Heil für Europa wäre. Oestreich hat lange
Zeit durch seine Künste geblendet; die Befreiung der Donau wird dem mate¬
riellen Interesse seines Landes zu Gute kommen, aber es hat weder den Ein¬
fluß, noch die Achtung im Orient gewonnen, ohne welche es kein dauerndes
Gebäude für künftige Ausdehnung im Osten begründen kann. Es steht wo¬
möglich noch isolirter da, trotz seiner neuen Freundschaften, denn je. Nußland
hat es tödtlich verletzt und kann auf den Bundesgenossen für seine absoluti¬
stische Politik nicht zahlen. Es hat sich aber dem Westen nicht genug ge¬
nähert und bei diesem wie in der öffentlichen Meinung den vorübergehenden
Glanz verloren, den es sich durch Vorspiegelung einer westlichen Politik für einen
Augenblick erworben hatte. Deutschland ist zum Bewußtsein seiner diesfälligen
Täuschung gekommen. Es hat in Sardinien einen neugestärkten Gegner in
Italien bekommen und je feindseliger es sich einem Compromisse zeigt, um so
entschiedener wird Piemont wieder an die Spitze, wenn nicht der revolutio¬
nären, doch der unitaren Partei in Italien gedrängt. Sardinien selbst ist der
revolutionären Partei gegenüber geschwächt, weil es aus dem Kriege keine andere
Trophäe heimbringen dürste, als seine eigne. Tapferkeit und Rechtschaffenheit.
Preußen hat seine Neutralität bewahrt und das ist der von Oestreich verfolg¬
ten Politik gegenüber ein Verdienst, wenn die Ehrlichkeit ins Gesicht gefaßt
wird; vom Standpunkt der europäischen Politik aus kommt das berliner
Cabinet nicht mehr in Frage, als dies beim Kongresse der Fall ist, der es
zum Zeugen nach geschehener Arbeit angerufen hat. Die Türkei wird seufzen
über ihre vielen guten Freunde; was die Civilisation gewinnt, das verliert
diese Macht als solche, die sich ohne fortdauernde Vormundschaft kaum aus
den Widersprüchen wird herausarbeiten können, in die sie durch die neue Aera,
die für ihre Länder beginnt, verwickelt ist. Vrunnow hatte nicht Unrecht,
Aali Pascha, als dieser vom eoneert europLön sprach, daran zu erinnern, daß
dieses concert europeen uns 89,erkS ausi^ne werde hören lassen. So bleibt
denn im europäischen Staatssystem insoweit alles beim Alten und es sind
zu den alten blos neue Keime einer modernen Entwicklung hinzugetreten und
neue Ersahrungen gemacht worden hinsichtlich der Bedeutung der Factoren,
welche das europäische Schicksal ausmachen.

Die Industrie, welche ungeduldig schnaubt wie ein eingehaltener Dampfer,


es sich auferlegt hat, fanden bisher noch keine ausreichende Compensation in jenem.
Es wird sich wenigstens erst zeigen müssen, ob die Vortheile, die Frankreich
möglicherweise für sich in Anspruch nehmen konnte, diesem wirklich zufallen
werden. Die englisch-französische Allianz, deren Nothwendigkeit diesseits des
Rheins als eine Staatsmarime betrachtet wird, kann und wird von un->
geHeuern Folgen werden, aber bisher hat hier der Muth und jenseits des
Kanals der Wille gefehlt, dasjenige zu erstreben, was solchen Mitteln kein
Unerreichbares und allein das Heil für Europa wäre. Oestreich hat lange
Zeit durch seine Künste geblendet; die Befreiung der Donau wird dem mate¬
riellen Interesse seines Landes zu Gute kommen, aber es hat weder den Ein¬
fluß, noch die Achtung im Orient gewonnen, ohne welche es kein dauerndes
Gebäude für künftige Ausdehnung im Osten begründen kann. Es steht wo¬
möglich noch isolirter da, trotz seiner neuen Freundschaften, denn je. Nußland
hat es tödtlich verletzt und kann auf den Bundesgenossen für seine absoluti¬
stische Politik nicht zahlen. Es hat sich aber dem Westen nicht genug ge¬
nähert und bei diesem wie in der öffentlichen Meinung den vorübergehenden
Glanz verloren, den es sich durch Vorspiegelung einer westlichen Politik für einen
Augenblick erworben hatte. Deutschland ist zum Bewußtsein seiner diesfälligen
Täuschung gekommen. Es hat in Sardinien einen neugestärkten Gegner in
Italien bekommen und je feindseliger es sich einem Compromisse zeigt, um so
entschiedener wird Piemont wieder an die Spitze, wenn nicht der revolutio¬
nären, doch der unitaren Partei in Italien gedrängt. Sardinien selbst ist der
revolutionären Partei gegenüber geschwächt, weil es aus dem Kriege keine andere
Trophäe heimbringen dürste, als seine eigne. Tapferkeit und Rechtschaffenheit.
Preußen hat seine Neutralität bewahrt und das ist der von Oestreich verfolg¬
ten Politik gegenüber ein Verdienst, wenn die Ehrlichkeit ins Gesicht gefaßt
wird; vom Standpunkt der europäischen Politik aus kommt das berliner
Cabinet nicht mehr in Frage, als dies beim Kongresse der Fall ist, der es
zum Zeugen nach geschehener Arbeit angerufen hat. Die Türkei wird seufzen
über ihre vielen guten Freunde; was die Civilisation gewinnt, das verliert
diese Macht als solche, die sich ohne fortdauernde Vormundschaft kaum aus
den Widersprüchen wird herausarbeiten können, in die sie durch die neue Aera,
die für ihre Länder beginnt, verwickelt ist. Vrunnow hatte nicht Unrecht,
Aali Pascha, als dieser vom eoneert europLön sprach, daran zu erinnern, daß
dieses concert europeen uns 89,erkS ausi^ne werde hören lassen. So bleibt
denn im europäischen Staatssystem insoweit alles beim Alten und es sind
zu den alten blos neue Keime einer modernen Entwicklung hinzugetreten und
neue Ersahrungen gemacht worden hinsichtlich der Bedeutung der Factoren,
welche das europäische Schicksal ausmachen.

Die Industrie, welche ungeduldig schnaubt wie ein eingehaltener Dampfer,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/44>, abgerufen am 22.05.2024.