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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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aus dessen Schornstein der Ueberfluß an Dampf hinaus sich windet, wird
durch ihre Thätigkeit in der nächsten Zeit die Politik vergessen lassen, und
die Diplomatie wird bei der nach jeder Kraftanstrengung eintretenden Müdig¬
keit eine Weile ihre Partie Ecarte wieder aufnehmen können. - Die alten
Verbündeten, die neuen Freunde, wie die neuen Feinde und die jüngst Ver¬
söhnten werden in den neuen Zuständen so bequem als möglich sich einzurichten
suchen, aber auf die Dauer kann es, ihnen ebensowenig als Europa in diesem
zusammengestoppelten Frieden ganz wohl werden.




Literatur.

Schatzkästlein des G evatters manus. Von Berthold Auerbach.
Stuttgart und Augsburg. Cotta. -- Die hier gesammelten Fragmente rühren ans
einem Kalender her, der 18^-1848 erschien. Es sind Geschichten. Anekdoten,^
schwanke und ernsthafte Abhandlungen, wie man sie in einem Kalender w se. alle
in dem gemüthlichen Ton Auerbachs erzählt und mit seinem bekannten plastischen
Talent ausgestattet. Es versteht sich von selbst, daß diese kleinen Bilder, die für
eine bestimmte Localität berechnet waren. viel verlieren müssen, wenn man sie von
ihrem natürlichen Boden trennt und eine sorgfältigere Scheidung des Bedeutenden
vom Unbedeutenden hätte in der That nichts geschadet. Doch sind die Gaben, die hier
geboten werden, reichlich genug, um die Berechtigung dieser Sammlung anerkennen
zu lassen. Sie können anch in dieser Form in die Hände des Volks übergehen
und haben nebenbei, ein culturhistorischcs Interesse. Auerbach hat mit seinen
Schriften, obgleich er' Niemals eigentlicher Politiker war , immer einen praktischen
Zweck verknüpft. Er suchte die Gesinnungen des Liberalismus im Volke zu ver¬
breiten und namentlich auf den Weg hinzuweisen, den jeder einzelne zur Bethäti¬
gung seiner Gesinnung einzuschlagen hätte, ohne erst auf einen allgemeinen Um¬
schwung zu warte". Auf solche Bestrebungen hat bei dem redlichsten Willen und der
besten Einsicht der Wechsel in den Zeitstimmungen immer einigen Einfluß und dieser
macht sich hier doppelt geltend, da die genannten vier Jahre entscheidend für den
Umschwung in den Ansichten und Ueberzeugungen Deutschlands waren. Wir können
hier bei einem geistvollen Schriftsteller diese Steigerung von wohlmeinender Oppo¬
sition zu heftiger Erbitterung auf eine sehr lehrreiche Weise verfolgen und wir
möchten den dringenden Wunsch aussprechen, daß diese Erfahrung beherzigt werde,
damit wir dasselbe Schauspiel nicht zum zweiten Mal erleben dürfen; denn anch
der Unmuth jener Jahre fing mit stumpfer Gleichgiltigkeit an, bis diese Gleich¬
giltigkeit sich endlich in Haß verwandelte. Wie gering man auch von der öffent¬
lichen Meinung denken mag und auch wir siud keineswegs geneigt, dieselbe zu
überschätzen, so bleibt sie doch ein sehr beachtenswerther Factor der Geschichte und
es rächt sich unausbleiblich, wenn man sie zu gering anschlägt. Der Pulsschlagdes Lebens geht jetzt schneller. die Stimmungen und Krankheiten greisen massen¬
hafter ineinander über und wir können nicht lebhast genug wünschen, daß unserm
Volk die Uebel erspart werden mögen, von denen wir bis jetzt doch nur einen sehr
dürftigen Vorschmack habe,>en.


aus dessen Schornstein der Ueberfluß an Dampf hinaus sich windet, wird
durch ihre Thätigkeit in der nächsten Zeit die Politik vergessen lassen, und
die Diplomatie wird bei der nach jeder Kraftanstrengung eintretenden Müdig¬
keit eine Weile ihre Partie Ecarte wieder aufnehmen können. - Die alten
Verbündeten, die neuen Freunde, wie die neuen Feinde und die jüngst Ver¬
söhnten werden in den neuen Zuständen so bequem als möglich sich einzurichten
suchen, aber auf die Dauer kann es, ihnen ebensowenig als Europa in diesem
zusammengestoppelten Frieden ganz wohl werden.




Literatur.

Schatzkästlein des G evatters manus. Von Berthold Auerbach.
Stuttgart und Augsburg. Cotta. — Die hier gesammelten Fragmente rühren ans
einem Kalender her, der 18^-1848 erschien. Es sind Geschichten. Anekdoten,^
schwanke und ernsthafte Abhandlungen, wie man sie in einem Kalender w se. alle
in dem gemüthlichen Ton Auerbachs erzählt und mit seinem bekannten plastischen
Talent ausgestattet. Es versteht sich von selbst, daß diese kleinen Bilder, die für
eine bestimmte Localität berechnet waren. viel verlieren müssen, wenn man sie von
ihrem natürlichen Boden trennt und eine sorgfältigere Scheidung des Bedeutenden
vom Unbedeutenden hätte in der That nichts geschadet. Doch sind die Gaben, die hier
geboten werden, reichlich genug, um die Berechtigung dieser Sammlung anerkennen
zu lassen. Sie können anch in dieser Form in die Hände des Volks übergehen
und haben nebenbei, ein culturhistorischcs Interesse. Auerbach hat mit seinen
Schriften, obgleich er' Niemals eigentlicher Politiker war , immer einen praktischen
Zweck verknüpft. Er suchte die Gesinnungen des Liberalismus im Volke zu ver¬
breiten und namentlich auf den Weg hinzuweisen, den jeder einzelne zur Bethäti¬
gung seiner Gesinnung einzuschlagen hätte, ohne erst auf einen allgemeinen Um¬
schwung zu warte». Auf solche Bestrebungen hat bei dem redlichsten Willen und der
besten Einsicht der Wechsel in den Zeitstimmungen immer einigen Einfluß und dieser
macht sich hier doppelt geltend, da die genannten vier Jahre entscheidend für den
Umschwung in den Ansichten und Ueberzeugungen Deutschlands waren. Wir können
hier bei einem geistvollen Schriftsteller diese Steigerung von wohlmeinender Oppo¬
sition zu heftiger Erbitterung auf eine sehr lehrreiche Weise verfolgen und wir
möchten den dringenden Wunsch aussprechen, daß diese Erfahrung beherzigt werde,
damit wir dasselbe Schauspiel nicht zum zweiten Mal erleben dürfen; denn anch
der Unmuth jener Jahre fing mit stumpfer Gleichgiltigkeit an, bis diese Gleich¬
giltigkeit sich endlich in Haß verwandelte. Wie gering man auch von der öffent¬
lichen Meinung denken mag und auch wir siud keineswegs geneigt, dieselbe zu
überschätzen, so bleibt sie doch ein sehr beachtenswerther Factor der Geschichte und
es rächt sich unausbleiblich, wenn man sie zu gering anschlägt. Der Pulsschlagdes Lebens geht jetzt schneller. die Stimmungen und Krankheiten greisen massen¬
hafter ineinander über und wir können nicht lebhast genug wünschen, daß unserm
Volk die Uebel erspart werden mögen, von denen wir bis jetzt doch nur einen sehr
dürftigen Vorschmack habe,>en.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/45>, abgerufen am 23.05.2024.