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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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sind so verschiedenartig im Ton und es ist der Sängerin so wenig gelungen,
sie gegeneinander Auszugleichen und zu verschmelzen, daß auch der materielle
Eindruck kein gleichmäßiger war und man über den Genuß einzelner isolirter
schöner Klänge nicht hinauskam. Ebensowenig besitzt sie die geistige Herr¬
schaft über ihre Gesangsmittel und über das, was sie mit denselben erreichen
soll; sie wendet dieselben nur äußerlich, nach eingelernten Formeln an, ohne
selbstständig, von innen heraus aufzufassen und darzustellen. In der Scene
der Königin im zweiten Theil des Elias, deren ganze Wirkung auf dem
Ausdruck der leidenschaftlichen Aufregung beruht, die so deutlich dem Com-
ponisten vorgezeichnet ist, wurde dieser seelenlose, marionettenartige Vertrag,
im hohen Grade peinlich, um so mehr, als er mit der schonen Stimme so
sehr im Widerspruch stand.

Die übrigen Solisten, ohne durch ihre Leistungen hervorzuragen, füllten
ihren Platz aus; die Arie des Knaben im Elias wurde recht gut und klar
vorgetragen. Die kleinen Ensemblesätze kommen grade bei solchen Gelegen¬
heiten oft zu kurz, weil es im Gedränge der Zeit nicht immer möglich ist, Sorg¬
falt auf die Auswahl solcher Stimmen zu wenden, die zueinander passen
und durch ihr Zusammenwirken erst den rechten Effect hervorbringen; durch
die Ungleichartigkeit der Stimmen verlor namentlich das Terzett für Frauen¬
stimmen im Elias sehr an seiner schönen Wirkung.

Die Charakteristik der Sänger hat mich den historischen Gang eines Be¬
richts unterbrechen lassen; ich gehe zum zweiten Concert über. Das Haupt¬
stück desselben, und in - mancher Beziehung die Kronx des Festes war die
neunte Symphonie. Diese ist an den rheinischen Musikfcsten so oft auf¬
geführt worden und auch außerdem, wo man über bedeutende Kräfte zu ver¬
fügen hat, z. B. in Köln, so viel zu Gehör gebracht, daß das mächtige Werk,
das anderswo noch ein Gegenstand scheuen Staunens ist, hier bei Ausfüh¬
renden und Zuhörern ganz eingebürgert ist. Offenbar machte auch die Sym¬
phonie bei der Aufführung den lebhaftesten und tiefsten Eindruck auf das
Publicum, so wie man auch "sonst wahrnehmen konnte, daß sie das Interesse
der Leute am meisten beschäftigte und als die bedeutendste Nummer des ge-
sammten Programms angesehen wurde. Nur unter dieser Voraussetzung ist
eine befriedigende Aufführung derselben mit solchen Massen bei so wenigen
Proben denkbar, allein-es bleibt kein geringes Verdienst deS Dirigenten, die¬
selben zu organisiren und geistig zu beleben. Wenn ich den Wunsch abrechne,
daß das Tempo des ersten Satzes, um den Charakter, der festen Entschlossen¬
heit und energischen Willenskraft ebensowol als der zarten, schmerzlichen
Wehmuth klarer und bestimmter zur Geltung zu bringen, etwas hätte ermäßigt
werden mögen, so war die Aufführung der drei ersten Sätze ganz vortrefflich
und von wunderbarer Wirkung. Namentlich das Adagio, diese Krone deutscher


sind so verschiedenartig im Ton und es ist der Sängerin so wenig gelungen,
sie gegeneinander Auszugleichen und zu verschmelzen, daß auch der materielle
Eindruck kein gleichmäßiger war und man über den Genuß einzelner isolirter
schöner Klänge nicht hinauskam. Ebensowenig besitzt sie die geistige Herr¬
schaft über ihre Gesangsmittel und über das, was sie mit denselben erreichen
soll; sie wendet dieselben nur äußerlich, nach eingelernten Formeln an, ohne
selbstständig, von innen heraus aufzufassen und darzustellen. In der Scene
der Königin im zweiten Theil des Elias, deren ganze Wirkung auf dem
Ausdruck der leidenschaftlichen Aufregung beruht, die so deutlich dem Com-
ponisten vorgezeichnet ist, wurde dieser seelenlose, marionettenartige Vertrag,
im hohen Grade peinlich, um so mehr, als er mit der schonen Stimme so
sehr im Widerspruch stand.

Die übrigen Solisten, ohne durch ihre Leistungen hervorzuragen, füllten
ihren Platz aus; die Arie des Knaben im Elias wurde recht gut und klar
vorgetragen. Die kleinen Ensemblesätze kommen grade bei solchen Gelegen¬
heiten oft zu kurz, weil es im Gedränge der Zeit nicht immer möglich ist, Sorg¬
falt auf die Auswahl solcher Stimmen zu wenden, die zueinander passen
und durch ihr Zusammenwirken erst den rechten Effect hervorbringen; durch
die Ungleichartigkeit der Stimmen verlor namentlich das Terzett für Frauen¬
stimmen im Elias sehr an seiner schönen Wirkung.

Die Charakteristik der Sänger hat mich den historischen Gang eines Be¬
richts unterbrechen lassen; ich gehe zum zweiten Concert über. Das Haupt¬
stück desselben, und in - mancher Beziehung die Kronx des Festes war die
neunte Symphonie. Diese ist an den rheinischen Musikfcsten so oft auf¬
geführt worden und auch außerdem, wo man über bedeutende Kräfte zu ver¬
fügen hat, z. B. in Köln, so viel zu Gehör gebracht, daß das mächtige Werk,
das anderswo noch ein Gegenstand scheuen Staunens ist, hier bei Ausfüh¬
renden und Zuhörern ganz eingebürgert ist. Offenbar machte auch die Sym¬
phonie bei der Aufführung den lebhaftesten und tiefsten Eindruck auf das
Publicum, so wie man auch «sonst wahrnehmen konnte, daß sie das Interesse
der Leute am meisten beschäftigte und als die bedeutendste Nummer des ge-
sammten Programms angesehen wurde. Nur unter dieser Voraussetzung ist
eine befriedigende Aufführung derselben mit solchen Massen bei so wenigen
Proben denkbar, allein-es bleibt kein geringes Verdienst deS Dirigenten, die¬
selben zu organisiren und geistig zu beleben. Wenn ich den Wunsch abrechne,
daß das Tempo des ersten Satzes, um den Charakter, der festen Entschlossen¬
heit und energischen Willenskraft ebensowol als der zarten, schmerzlichen
Wehmuth klarer und bestimmter zur Geltung zu bringen, etwas hätte ermäßigt
werden mögen, so war die Aufführung der drei ersten Sätze ganz vortrefflich
und von wunderbarer Wirkung. Namentlich das Adagio, diese Krone deutscher


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/502>, abgerufen am 16.06.2024.