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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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JnstnimentalMusik, gelang unübertrefflich und in der für die Blasinstrumente
gefährlichen Stelle, welche schon manches Orchester zu Fall gebracht hat,
überwand der Hornist Hr> Justus nicht allein siegreich alle Schwierigkeiten,
sondern das Ganze wurde mit einer Sicherheit, mit einem weichen Schmelz
zur Darstellung gebracht, daß die Wirkung bezaubernd war. Das vollständige
Gelingen des letzte" Satzes liegt außer jeder Berechnung, eine durchaus
wohlthuende Wirkung wird überhaupt nicht zu.erreichen sein. Die Solo¬
stimmen reichten nicht aus, weder in Hinsicht der Stimmmittel noch der freien
Auffassung, und man muß sie angesichts der unermeßlichen Schwierigkeiten --
obwol diese allerdings zu lösen sind -- für'entschuldigt erklären. Auch der,
Chor kam trotz seiner großen Masse nicht in der Art zur Geltung, wie man
es erwarten mochte; daß die übertriebene Zumuthung, welche Beethoven durch
die fast unausgesetzte hohe Lage den Singstimmen macht, daran den wich¬
tigsten Antheil hatte, wurde besonders durch die Stellen klar, in welchen die
naturgemäße Lage den Singstimmen gestattete, sich zu entfalten, deren Wir¬
kung denn auch außerordentlich schön und großartig war. '

Man pflegt auf den Musikfesten ein bedeutendes Werk für Chorgesang
der älteren Zeit und eins aus neuerer Zeit aufzuführen. Neben der neunten
Symphonie konnte nur ein Oratorium von mäßigem Umfang ausgeführt wer¬
den und man hatte deshalb Handels Aleran derfest gewählt, das um einige
Arien gekürzt war; auch war die entsetzliche ramlersche Uebersetzung über¬
arbeitet - sür die Chöre freilich nur im Textbuch, weil man 'die zahlreichen
Chorstimmen nicht mehr hatte verbessern können. Die Aufführung gelang
sehr gut, namentlich in den Chören; den Arien merkte man freilich vielfach
an, daß sie auf eine Virtuosität und eine Art des künstlerischen Vortrags be¬
regnet sind, welche jetzt selten zu finden ist und ohne welche sie zum Theil un¬
lebendig und formelhaft erscheinen. Die beiden Baßarien aber, so wie das
"typische Brautlied" und die Sopranarie "Verlassen an des Grabes
Rand" sind von einer unvergänglichen poetischen Kraft, und die Chöre
haben den mächtigen Schule, in dem noch niemand Händel nachgekommen
ist. Wie wohlthuend war es auch hier vie volle Tonmasse der Singstimmen,
durch vie einfache Behandlung des Orchesters gehoben und nicht beeinträch-
tigt auf sich wirken zu lassen.

Bei den Dimensionen dieser Concerte hatte man durch die Abkürzung des
Aleranverfestes noch Raum für eine Gesangöcomposilivn gewonnen und Schu¬
manns Adventölied gewählt. , Manche hätten, wie ich hörte, sein Neu¬
jahrslied vorgezogen, das mir nicht bekannt ist; allein die abgeneigten Urtheile,
welche man über das Adventslied vernahm, scheinen mir nicht ganz gerecht.
Das Werk enthält namentlich in seinem ersten Theil große Schönheiten, ist
innig und zart, . ohne irgend weichlich zu werden und vollkommen klar und


JnstnimentalMusik, gelang unübertrefflich und in der für die Blasinstrumente
gefährlichen Stelle, welche schon manches Orchester zu Fall gebracht hat,
überwand der Hornist Hr> Justus nicht allein siegreich alle Schwierigkeiten,
sondern das Ganze wurde mit einer Sicherheit, mit einem weichen Schmelz
zur Darstellung gebracht, daß die Wirkung bezaubernd war. Das vollständige
Gelingen des letzte» Satzes liegt außer jeder Berechnung, eine durchaus
wohlthuende Wirkung wird überhaupt nicht zu.erreichen sein. Die Solo¬
stimmen reichten nicht aus, weder in Hinsicht der Stimmmittel noch der freien
Auffassung, und man muß sie angesichts der unermeßlichen Schwierigkeiten —
obwol diese allerdings zu lösen sind — für'entschuldigt erklären. Auch der,
Chor kam trotz seiner großen Masse nicht in der Art zur Geltung, wie man
es erwarten mochte; daß die übertriebene Zumuthung, welche Beethoven durch
die fast unausgesetzte hohe Lage den Singstimmen macht, daran den wich¬
tigsten Antheil hatte, wurde besonders durch die Stellen klar, in welchen die
naturgemäße Lage den Singstimmen gestattete, sich zu entfalten, deren Wir¬
kung denn auch außerordentlich schön und großartig war. '

Man pflegt auf den Musikfesten ein bedeutendes Werk für Chorgesang
der älteren Zeit und eins aus neuerer Zeit aufzuführen. Neben der neunten
Symphonie konnte nur ein Oratorium von mäßigem Umfang ausgeführt wer¬
den und man hatte deshalb Handels Aleran derfest gewählt, das um einige
Arien gekürzt war; auch war die entsetzliche ramlersche Uebersetzung über¬
arbeitet - sür die Chöre freilich nur im Textbuch, weil man 'die zahlreichen
Chorstimmen nicht mehr hatte verbessern können. Die Aufführung gelang
sehr gut, namentlich in den Chören; den Arien merkte man freilich vielfach
an, daß sie auf eine Virtuosität und eine Art des künstlerischen Vortrags be¬
regnet sind, welche jetzt selten zu finden ist und ohne welche sie zum Theil un¬
lebendig und formelhaft erscheinen. Die beiden Baßarien aber, so wie das
„typische Brautlied" und die Sopranarie „Verlassen an des Grabes
Rand" sind von einer unvergänglichen poetischen Kraft, und die Chöre
haben den mächtigen Schule, in dem noch niemand Händel nachgekommen
ist. Wie wohlthuend war es auch hier vie volle Tonmasse der Singstimmen,
durch vie einfache Behandlung des Orchesters gehoben und nicht beeinträch-
tigt auf sich wirken zu lassen.

Bei den Dimensionen dieser Concerte hatte man durch die Abkürzung des
Aleranverfestes noch Raum für eine Gesangöcomposilivn gewonnen und Schu¬
manns Adventölied gewählt. , Manche hätten, wie ich hörte, sein Neu¬
jahrslied vorgezogen, das mir nicht bekannt ist; allein die abgeneigten Urtheile,
welche man über das Adventslied vernahm, scheinen mir nicht ganz gerecht.
Das Werk enthält namentlich in seinem ersten Theil große Schönheiten, ist
innig und zart, . ohne irgend weichlich zu werden und vollkommen klar und


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[0503] JnstnimentalMusik, gelang unübertrefflich und in der für die Blasinstrumente gefährlichen Stelle, welche schon manches Orchester zu Fall gebracht hat, überwand der Hornist Hr> Justus nicht allein siegreich alle Schwierigkeiten, sondern das Ganze wurde mit einer Sicherheit, mit einem weichen Schmelz zur Darstellung gebracht, daß die Wirkung bezaubernd war. Das vollständige Gelingen des letzte» Satzes liegt außer jeder Berechnung, eine durchaus wohlthuende Wirkung wird überhaupt nicht zu.erreichen sein. Die Solo¬ stimmen reichten nicht aus, weder in Hinsicht der Stimmmittel noch der freien Auffassung, und man muß sie angesichts der unermeßlichen Schwierigkeiten — obwol diese allerdings zu lösen sind — für'entschuldigt erklären. Auch der, Chor kam trotz seiner großen Masse nicht in der Art zur Geltung, wie man es erwarten mochte; daß die übertriebene Zumuthung, welche Beethoven durch die fast unausgesetzte hohe Lage den Singstimmen macht, daran den wich¬ tigsten Antheil hatte, wurde besonders durch die Stellen klar, in welchen die naturgemäße Lage den Singstimmen gestattete, sich zu entfalten, deren Wir¬ kung denn auch außerordentlich schön und großartig war. ' Man pflegt auf den Musikfesten ein bedeutendes Werk für Chorgesang der älteren Zeit und eins aus neuerer Zeit aufzuführen. Neben der neunten Symphonie konnte nur ein Oratorium von mäßigem Umfang ausgeführt wer¬ den und man hatte deshalb Handels Aleran derfest gewählt, das um einige Arien gekürzt war; auch war die entsetzliche ramlersche Uebersetzung über¬ arbeitet - sür die Chöre freilich nur im Textbuch, weil man 'die zahlreichen Chorstimmen nicht mehr hatte verbessern können. Die Aufführung gelang sehr gut, namentlich in den Chören; den Arien merkte man freilich vielfach an, daß sie auf eine Virtuosität und eine Art des künstlerischen Vortrags be¬ regnet sind, welche jetzt selten zu finden ist und ohne welche sie zum Theil un¬ lebendig und formelhaft erscheinen. Die beiden Baßarien aber, so wie das „typische Brautlied" und die Sopranarie „Verlassen an des Grabes Rand" sind von einer unvergänglichen poetischen Kraft, und die Chöre haben den mächtigen Schule, in dem noch niemand Händel nachgekommen ist. Wie wohlthuend war es auch hier vie volle Tonmasse der Singstimmen, durch vie einfache Behandlung des Orchesters gehoben und nicht beeinträch- tigt auf sich wirken zu lassen. Bei den Dimensionen dieser Concerte hatte man durch die Abkürzung des Aleranverfestes noch Raum für eine Gesangöcomposilivn gewonnen und Schu¬ manns Adventölied gewählt. , Manche hätten, wie ich hörte, sein Neu¬ jahrslied vorgezogen, das mir nicht bekannt ist; allein die abgeneigten Urtheile, welche man über das Adventslied vernahm, scheinen mir nicht ganz gerecht. Das Werk enthält namentlich in seinem ersten Theil große Schönheiten, ist innig und zart, . ohne irgend weichlich zu werden und vollkommen klar und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/503>, abgerufen am 15.06.2024.