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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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Hauptmann......nach Lindau gebracht, der bei seinem schändlichen Ge¬
werbe sich von dem Bankrott wieder erholt hat, um deswillen er aus der Schweiz
hat weichen müssen. Der wußte das lustige Leben in Neapel vollends nicht
genug zu rühmen und bald befanden wir uns auf dem Marsche nach Italien.
Aber je weiter wir uns von dem Vaterlande entfernten, desto schwerer wurde
es uns ums Herz.

In dem Depot der Einschiffung zu Livorno wurde uns zuerst der Staar
gestochen. Man hatte uns am rechten Fleck. Jetzt hieß es: Stöcke abgegeben?
Knebelbärte herunter! Polkahaare geschnitten! Ein winddürrer Wachtmeister las
uns in halbem Welsch allerhand erbauliche Sachen herunter vom Arrest bei
Wasser und Brot, vom Krummschließen in Eisen und von körperlicher Züch¬
tigung, will sagen: vom Prügeln. Item, daß wir jetzt keine Baue", und
Republikaner mehr seien, sondern Soldaten Sr. Majestät des Königs von
Neapel, und also niemandem, als ihm und unsern Obern zu gehorchen
hätten.

Da gabs lange Gesichter und ich wäre gern mit der Hälfte meiner Ka¬
meraden wieder heimgegangen, wenn uns keiye Riegel vorgeschoben worden
wären. Wir mußten an Bord des Dampfers Vesuv und nach drei Tagen
und drei Nächten kamen wir bei Tagesanbruch in Neapel an. Gegen Mittag
verließen wir den Dampfer und sagten der elenden Schiffskost, die in halb-
verschimmeltem Zwieback, in Kohl und Kabis mit erschrecklich vieler Brühe
und erbärmlichen Wein bestand, gern Valet und zehrten wieder einmal im
Hafen von unserm Geld, aber dafür gut und nahrhaft.

Die Eisenbahn brachte uns in die Nähe der Kaserne, wo uns zahlreiche
Kameradschaft empfing, von denen aber schon manche bitter klagten über
schnöde Mißhandlungen. Wir selbst wurden erst nach Verfluß von acht Tagen
eingekleidet, was uns sehr erwünscht war. Denn einer unserer Offiziere, der
Bündner Salis, gab namentlich denjenigen von uns, die blaue Blousen und
weiße Hüte trugen, nur den zärtlichen Namen "Freischärlerhunde", die er
,,rangschireu" wolle, daß es eine Art habe.

Jetzt gings ans Ererciren. Appell wurde am Morgen noch bei Lichte ge¬
halten. Unsere Trillmeister. Wachtmeister und Korporäle einiger Schweizer-
regimenter begrüßten uns mit den schrecklichsten Flüchen aus dem Wörterbuch
des Teufels selbst. Täglich wurden sechs bis sieben Stunden erercirt und
auf dem Posten an der iralienischen Sonne gebraten. Nach der Ablösung
muß geputzt werden. Selten hat man ein paar Stunden frei und sobald die
Sonne untergeht, ist großer Appell mit^Abendgebet und darauf ist man in
die Kaserne eingeschlossen, wenns kühl ist und ganz Neapel spazirt und man
sich von der Hitze des Tages erholen könnte. -- Anfangs hab ich wenig
schlafen können. Die Kasernen sind in alten Klöstern, die Zimmer niedrig


Hauptmann......nach Lindau gebracht, der bei seinem schändlichen Ge¬
werbe sich von dem Bankrott wieder erholt hat, um deswillen er aus der Schweiz
hat weichen müssen. Der wußte das lustige Leben in Neapel vollends nicht
genug zu rühmen und bald befanden wir uns auf dem Marsche nach Italien.
Aber je weiter wir uns von dem Vaterlande entfernten, desto schwerer wurde
es uns ums Herz.

In dem Depot der Einschiffung zu Livorno wurde uns zuerst der Staar
gestochen. Man hatte uns am rechten Fleck. Jetzt hieß es: Stöcke abgegeben?
Knebelbärte herunter! Polkahaare geschnitten! Ein winddürrer Wachtmeister las
uns in halbem Welsch allerhand erbauliche Sachen herunter vom Arrest bei
Wasser und Brot, vom Krummschließen in Eisen und von körperlicher Züch¬
tigung, will sagen: vom Prügeln. Item, daß wir jetzt keine Baue«, und
Republikaner mehr seien, sondern Soldaten Sr. Majestät des Königs von
Neapel, und also niemandem, als ihm und unsern Obern zu gehorchen
hätten.

Da gabs lange Gesichter und ich wäre gern mit der Hälfte meiner Ka¬
meraden wieder heimgegangen, wenn uns keiye Riegel vorgeschoben worden
wären. Wir mußten an Bord des Dampfers Vesuv und nach drei Tagen
und drei Nächten kamen wir bei Tagesanbruch in Neapel an. Gegen Mittag
verließen wir den Dampfer und sagten der elenden Schiffskost, die in halb-
verschimmeltem Zwieback, in Kohl und Kabis mit erschrecklich vieler Brühe
und erbärmlichen Wein bestand, gern Valet und zehrten wieder einmal im
Hafen von unserm Geld, aber dafür gut und nahrhaft.

Die Eisenbahn brachte uns in die Nähe der Kaserne, wo uns zahlreiche
Kameradschaft empfing, von denen aber schon manche bitter klagten über
schnöde Mißhandlungen. Wir selbst wurden erst nach Verfluß von acht Tagen
eingekleidet, was uns sehr erwünscht war. Denn einer unserer Offiziere, der
Bündner Salis, gab namentlich denjenigen von uns, die blaue Blousen und
weiße Hüte trugen, nur den zärtlichen Namen „Freischärlerhunde", die er
,,rangschireu" wolle, daß es eine Art habe.

Jetzt gings ans Ererciren. Appell wurde am Morgen noch bei Lichte ge¬
halten. Unsere Trillmeister. Wachtmeister und Korporäle einiger Schweizer-
regimenter begrüßten uns mit den schrecklichsten Flüchen aus dem Wörterbuch
des Teufels selbst. Täglich wurden sechs bis sieben Stunden erercirt und
auf dem Posten an der iralienischen Sonne gebraten. Nach der Ablösung
muß geputzt werden. Selten hat man ein paar Stunden frei und sobald die
Sonne untergeht, ist großer Appell mit^Abendgebet und darauf ist man in
die Kaserne eingeschlossen, wenns kühl ist und ganz Neapel spazirt und man
sich von der Hitze des Tages erholen könnte. — Anfangs hab ich wenig
schlafen können. Die Kasernen sind in alten Klöstern, die Zimmer niedrig


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[0510] Hauptmann......nach Lindau gebracht, der bei seinem schändlichen Ge¬ werbe sich von dem Bankrott wieder erholt hat, um deswillen er aus der Schweiz hat weichen müssen. Der wußte das lustige Leben in Neapel vollends nicht genug zu rühmen und bald befanden wir uns auf dem Marsche nach Italien. Aber je weiter wir uns von dem Vaterlande entfernten, desto schwerer wurde es uns ums Herz. In dem Depot der Einschiffung zu Livorno wurde uns zuerst der Staar gestochen. Man hatte uns am rechten Fleck. Jetzt hieß es: Stöcke abgegeben? Knebelbärte herunter! Polkahaare geschnitten! Ein winddürrer Wachtmeister las uns in halbem Welsch allerhand erbauliche Sachen herunter vom Arrest bei Wasser und Brot, vom Krummschließen in Eisen und von körperlicher Züch¬ tigung, will sagen: vom Prügeln. Item, daß wir jetzt keine Baue«, und Republikaner mehr seien, sondern Soldaten Sr. Majestät des Königs von Neapel, und also niemandem, als ihm und unsern Obern zu gehorchen hätten. Da gabs lange Gesichter und ich wäre gern mit der Hälfte meiner Ka¬ meraden wieder heimgegangen, wenn uns keiye Riegel vorgeschoben worden wären. Wir mußten an Bord des Dampfers Vesuv und nach drei Tagen und drei Nächten kamen wir bei Tagesanbruch in Neapel an. Gegen Mittag verließen wir den Dampfer und sagten der elenden Schiffskost, die in halb- verschimmeltem Zwieback, in Kohl und Kabis mit erschrecklich vieler Brühe und erbärmlichen Wein bestand, gern Valet und zehrten wieder einmal im Hafen von unserm Geld, aber dafür gut und nahrhaft. Die Eisenbahn brachte uns in die Nähe der Kaserne, wo uns zahlreiche Kameradschaft empfing, von denen aber schon manche bitter klagten über schnöde Mißhandlungen. Wir selbst wurden erst nach Verfluß von acht Tagen eingekleidet, was uns sehr erwünscht war. Denn einer unserer Offiziere, der Bündner Salis, gab namentlich denjenigen von uns, die blaue Blousen und weiße Hüte trugen, nur den zärtlichen Namen „Freischärlerhunde", die er ,,rangschireu" wolle, daß es eine Art habe. Jetzt gings ans Ererciren. Appell wurde am Morgen noch bei Lichte ge¬ halten. Unsere Trillmeister. Wachtmeister und Korporäle einiger Schweizer- regimenter begrüßten uns mit den schrecklichsten Flüchen aus dem Wörterbuch des Teufels selbst. Täglich wurden sechs bis sieben Stunden erercirt und auf dem Posten an der iralienischen Sonne gebraten. Nach der Ablösung muß geputzt werden. Selten hat man ein paar Stunden frei und sobald die Sonne untergeht, ist großer Appell mit^Abendgebet und darauf ist man in die Kaserne eingeschlossen, wenns kühl ist und ganz Neapel spazirt und man sich von der Hitze des Tages erholen könnte. — Anfangs hab ich wenig schlafen können. Die Kasernen sind in alten Klöstern, die Zimmer niedrig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/510>, abgerufen am 15.06.2024.