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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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zu, schimpft ihn aus und schlüge ihn mit der Schuhspitze auf empfindliche Theile
des Leibes. Mit aller Anstrengung schleppt sich der Arme noch auf den Erer-
cirplatz und setzt sich dort erschöpft an einem Graben nieder. Abermals wird
er von dem Feldweibel mißhandelt. , Doch jetzt nahte sich ein Barmherziger
dem Elenden, nämlich der -- Tod. Seine Kameraden machten dem Oberst¬
lieutenant von dem Vorgefallenen Anzeige, aber die Sache wurde veruischt
und blieb ununtersucht.

Gott möge jeden einen Schauder empfinden lassen, der an Neapel denkt,
um dort als Söldner die schönsten Jahre seines Lebens gründlich zu verpfu¬
schen. Lieber auf die mühsamste Weise gearbeitet im Vaterlande oder auswärts,
als die Schmach des Söldners tragen."

So weit die Klagetöne einer nach Neapel verkauften Seele.

Trotz aller dieser Erbärmlichkeiten, Mißhandlungen und Betrügereien,
denen die Verkauften ausgesetzt sind, und trotz dem, baß dies ziemlich jeder
in der Schweiz weiß, gelingt es den Seelenverkäufern doch fortwährend, ihre
Fänge zu machen'und ihre Opfer ungehindert fortzuschaffen. Denn daß die
Seelenverkäuferei fortgetrieben wird, beweist die fortwährende Ergänzung der
Schweizerregimenter in Neapel und Rom.

Den nach Rom Verkauften gehts um kein Haar besser -- im Gegentheil,
sie scheinen noch schlimmer daran zu sein, als die in Neapel.

Ein Armer oder Unglücklicher kommt auf dem Dopot an und stellt sich
als Recrut, da begegnet ihm der Werbofsizier recht freundlich. Man steckt
reiches Futter an die Angelruthe -- es beißen dann noch mehre an, und
ist der Transport vollzählig kein solcher zählt 20 Mann), so geht ein Werbe¬
sergeant als'Führer mit. Einzelne, die sichs haben reuen lassen, werden im
Zimmer eingesperrt, oder auch kurz ven Gendarmen übergeben und geschlossen
geführt. Der große Troß zieht leichtsinnig ab, singend und trinkend; aber
einmal auf italienischem Boden, kehrt sich der Wind: da wird den Recruten
erklärt, daß die Reise auf Kosten ihres Handgeldes geht. Auf elenden Karren
kommt der Transport nach Macerata, und zwar, weil der Sergeant eigen¬
mächtig gefahren ist, um 14 Tage zu früh. Endlich werden die Leute aufs
Q-uatieramt citirt, endlich sollen sie ihr Handgeld erhalten statt 30 Scudi
bekommt der eine fünf, der andere blos drei; denn da liegt der Conto für Reise,
Essen, und -- unglaublich, aber wahr! -- für Equipirung! -- Aber auch
diese fünf Scudi gehören nicht ihnen: da kommt der Corpora! b'Escadre und zieht
Carotten (auf deutsch schmarotzt); dann der Sergeant der Section. -- Geht
Vas Ererciren an, so haben die Leute um !i Uhr auf dem Platze zu sein.
Hier geht der Recrut nüchtern, wird gedreht, geschimpft, sogar mit dem Lad-
stock geschlagen; bis etwa um 9 Uhr dauert das Ererciren, dann bekommt
er eine Suppe und zum Glück noch eine Ration Brot, womit er feinen Hunger


Äreazdvtttl. II. ILüii.

zu, schimpft ihn aus und schlüge ihn mit der Schuhspitze auf empfindliche Theile
des Leibes. Mit aller Anstrengung schleppt sich der Arme noch auf den Erer-
cirplatz und setzt sich dort erschöpft an einem Graben nieder. Abermals wird
er von dem Feldweibel mißhandelt. , Doch jetzt nahte sich ein Barmherziger
dem Elenden, nämlich der — Tod. Seine Kameraden machten dem Oberst¬
lieutenant von dem Vorgefallenen Anzeige, aber die Sache wurde veruischt
und blieb ununtersucht.

Gott möge jeden einen Schauder empfinden lassen, der an Neapel denkt,
um dort als Söldner die schönsten Jahre seines Lebens gründlich zu verpfu¬
schen. Lieber auf die mühsamste Weise gearbeitet im Vaterlande oder auswärts,
als die Schmach des Söldners tragen."

So weit die Klagetöne einer nach Neapel verkauften Seele.

Trotz aller dieser Erbärmlichkeiten, Mißhandlungen und Betrügereien,
denen die Verkauften ausgesetzt sind, und trotz dem, baß dies ziemlich jeder
in der Schweiz weiß, gelingt es den Seelenverkäufern doch fortwährend, ihre
Fänge zu machen'und ihre Opfer ungehindert fortzuschaffen. Denn daß die
Seelenverkäuferei fortgetrieben wird, beweist die fortwährende Ergänzung der
Schweizerregimenter in Neapel und Rom.

Den nach Rom Verkauften gehts um kein Haar besser — im Gegentheil,
sie scheinen noch schlimmer daran zu sein, als die in Neapel.

Ein Armer oder Unglücklicher kommt auf dem Dopot an und stellt sich
als Recrut, da begegnet ihm der Werbofsizier recht freundlich. Man steckt
reiches Futter an die Angelruthe — es beißen dann noch mehre an, und
ist der Transport vollzählig kein solcher zählt 20 Mann), so geht ein Werbe¬
sergeant als'Führer mit. Einzelne, die sichs haben reuen lassen, werden im
Zimmer eingesperrt, oder auch kurz ven Gendarmen übergeben und geschlossen
geführt. Der große Troß zieht leichtsinnig ab, singend und trinkend; aber
einmal auf italienischem Boden, kehrt sich der Wind: da wird den Recruten
erklärt, daß die Reise auf Kosten ihres Handgeldes geht. Auf elenden Karren
kommt der Transport nach Macerata, und zwar, weil der Sergeant eigen¬
mächtig gefahren ist, um 14 Tage zu früh. Endlich werden die Leute aufs
Q-uatieramt citirt, endlich sollen sie ihr Handgeld erhalten statt 30 Scudi
bekommt der eine fünf, der andere blos drei; denn da liegt der Conto für Reise,
Essen, und — unglaublich, aber wahr! — für Equipirung! — Aber auch
diese fünf Scudi gehören nicht ihnen: da kommt der Corpora! b'Escadre und zieht
Carotten (auf deutsch schmarotzt); dann der Sergeant der Section. — Geht
Vas Ererciren an, so haben die Leute um !i Uhr auf dem Platze zu sein.
Hier geht der Recrut nüchtern, wird gedreht, geschimpft, sogar mit dem Lad-
stock geschlagen; bis etwa um 9 Uhr dauert das Ererciren, dann bekommt
er eine Suppe und zum Glück noch eine Ration Brot, womit er feinen Hunger


Äreazdvtttl. II. ILüii.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/513>, abgerufen am 15.06.2024.