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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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geron sich ausdrückt, eine andere ließ sich einen Stein von 30 Pfund von
der Decke deS Zimmers auf den Magen fallen u. tgi, in. Wir brauchen wol
nicht darauf aufmerksam zu machen, daß dies zum Theil Taschenspielerkünste
wäre", wie z. B. Molo von einer erzählt, die Spielmarken verschlang und
sie aus der Ferse einer andern wieder herauszog, zum andern Theil aber reine
Lügen. Montgeroii und elf andere Personen bescheinigten z. B. in aller Form,
daß die Sonnet, genannt der Salamander, auf zwei Stühlen über dem hell¬
lodernden Feuer eines Kamins und zwar unter dem Mantel des letztern ge¬
legen habe; 36 Minuten sei sie dort zu vier verschiedenen Malen geblieben,
das Feuer habe mehrmals über ihr zusammengeschlagen, doch sei nicht einmal
das Tuch, in welches sie nackt eingehüllt gewesen, angebrannt. Glückliche
Zeit, in welcher man noch so kräftig lügen durste!

Der Skandal wurde nach und nach so groß, daß nicht allein (1733) unter
Gefängnißstrafe verboten ward, Schaustellungen von Konvulsionen zu machen,
sondern daß auch dreißig der hervorragendsten Jansenisten im Jahre 1735 eine
Consultation unterzeichneten, in welcher sie die Convulsionen verdammten.
Alles, heißt es darin, spricht gegen sie. Die Majestät Gottes, die Heiligkeit
seines Cultus, die Ehre der Kirche, die Reinheit der Sitten. Die allgemeine
Ehrbarkeit (I'IwrwölLtt; pudliuue) die gute Ordnung, die Aufrechthaltung der
Regeln fordern von allen, welche an der Religion Interesse nehmen, mit
Eifer, so viel an ihnen ist, einen Skandal unterdrücken und eine Illusion
zerstören zu helfen, welche schon zu lange gedauert haben.

Diese Consultation erregte großes Aufsehen und wurde heftig angegriffen;
man beschuldigte die Unterzeichner zum Theil der Inconsequenz, wogegen aber
einer derselben erklärte, er und andere, welche anfangs von den Convulsionen
zu günstig gedacht hätten, gestanden gern, daß sie sich getäuscht hätten.

Nach solchen Schritten mußten natürlich die Convulsionärs mehr und
mehr in Verachtung fallen, aber die Convulsionen erhielten sich doch noch merk¬
würdig lange. Wie lange, das ist noch nicht ermittelt; gewiß ist, daß sie
noch später als 17i6 dauerten, von 1784--88 sollen noch einige Schriften dar¬
über gewechselt sein, was wir indessen bis auf Weiteres bezweifeln, und nach der
Sektengeschichte von Gregoire sollen sogar nach 1828 Convulsionärs in Paris
vorgekommen sein. Ob diese wirklich noch von den früheren abstammten, müssen
wir dahingestellt sein lassen.

In neuerer Zeit haben sich besonders ärztliche Schriftsteller mit diesen
Vorgängen beschäftigt und diesen sind wir auch, wie Kenner dieser Literatur
bemerkt huben werden, im Obigen gefolgt. Früher war wan geneigt, nach
dem Vorgänge von Hecquet (1733) die Convulsionen für eine Krampfkraukheil
zu halten und einen epidemischen Wahnsinn daraus zu machen, indessen hat
sich diese Ansicht einer sorgfältigeren Prüfung der Thatsachen gegenüber nicht


geron sich ausdrückt, eine andere ließ sich einen Stein von 30 Pfund von
der Decke deS Zimmers auf den Magen fallen u. tgi, in. Wir brauchen wol
nicht darauf aufmerksam zu machen, daß dies zum Theil Taschenspielerkünste
wäre», wie z. B. Molo von einer erzählt, die Spielmarken verschlang und
sie aus der Ferse einer andern wieder herauszog, zum andern Theil aber reine
Lügen. Montgeroii und elf andere Personen bescheinigten z. B. in aller Form,
daß die Sonnet, genannt der Salamander, auf zwei Stühlen über dem hell¬
lodernden Feuer eines Kamins und zwar unter dem Mantel des letztern ge¬
legen habe; 36 Minuten sei sie dort zu vier verschiedenen Malen geblieben,
das Feuer habe mehrmals über ihr zusammengeschlagen, doch sei nicht einmal
das Tuch, in welches sie nackt eingehüllt gewesen, angebrannt. Glückliche
Zeit, in welcher man noch so kräftig lügen durste!

Der Skandal wurde nach und nach so groß, daß nicht allein (1733) unter
Gefängnißstrafe verboten ward, Schaustellungen von Konvulsionen zu machen,
sondern daß auch dreißig der hervorragendsten Jansenisten im Jahre 1735 eine
Consultation unterzeichneten, in welcher sie die Convulsionen verdammten.
Alles, heißt es darin, spricht gegen sie. Die Majestät Gottes, die Heiligkeit
seines Cultus, die Ehre der Kirche, die Reinheit der Sitten. Die allgemeine
Ehrbarkeit (I'IwrwölLtt; pudliuue) die gute Ordnung, die Aufrechthaltung der
Regeln fordern von allen, welche an der Religion Interesse nehmen, mit
Eifer, so viel an ihnen ist, einen Skandal unterdrücken und eine Illusion
zerstören zu helfen, welche schon zu lange gedauert haben.

Diese Consultation erregte großes Aufsehen und wurde heftig angegriffen;
man beschuldigte die Unterzeichner zum Theil der Inconsequenz, wogegen aber
einer derselben erklärte, er und andere, welche anfangs von den Convulsionen
zu günstig gedacht hätten, gestanden gern, daß sie sich getäuscht hätten.

Nach solchen Schritten mußten natürlich die Convulsionärs mehr und
mehr in Verachtung fallen, aber die Convulsionen erhielten sich doch noch merk¬
würdig lange. Wie lange, das ist noch nicht ermittelt; gewiß ist, daß sie
noch später als 17i6 dauerten, von 1784—88 sollen noch einige Schriften dar¬
über gewechselt sein, was wir indessen bis auf Weiteres bezweifeln, und nach der
Sektengeschichte von Gregoire sollen sogar nach 1828 Convulsionärs in Paris
vorgekommen sein. Ob diese wirklich noch von den früheren abstammten, müssen
wir dahingestellt sein lassen.

In neuerer Zeit haben sich besonders ärztliche Schriftsteller mit diesen
Vorgängen beschäftigt und diesen sind wir auch, wie Kenner dieser Literatur
bemerkt huben werden, im Obigen gefolgt. Früher war wan geneigt, nach
dem Vorgänge von Hecquet (1733) die Convulsionen für eine Krampfkraukheil
zu halten und einen epidemischen Wahnsinn daraus zu machen, indessen hat
sich diese Ansicht einer sorgfältigeren Prüfung der Thatsachen gegenüber nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/167>, abgerufen am 22.05.2024.