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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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den Nacken beugte, nicht am Nuder wünschen. So waren denn Ungerechtig¬
keiten, Zurücksetzungen, Enttäuschungen unvermeidlich, und da die Verschul¬
dung des Staats auch nicht gestattete, in Bewilligung von Penstonen freige¬
big zu sein, blieb diesen Unglücklichen Grund genug zu bittern Klagen. Auch
die Verfassung bot hierzu Veranlassung. Das absolute Veto des Königs,
der Census, die erste Kammer waren ebensoviele bedenkliche Stellen, die nach der
Meinung der Liberalen, früher oder später dem Staatskörper ansteckend und
gefährlich werden konnten und ausgeschnitten werden mußten.

Am 2i. Februar war die dem römischen Pantheon nachgebildete Kirche
S. Francesco ti Pavia festlich geschmückt. Zur Rechten des Hauptaltars
stand ein Thron. Alle Würdenträger des Reichs, die Vertreter der fremden
Mächte, der Generalstab sämmtlicher Truppenkörper, die hervorragendsten
Fremden und der Hof selbst waren in dem stattlichen Rundbau versammelt.
Der König beschwor mit weit vernehmbaren Worten und freiem, ungetrübtem
Gesichtsausdruck die Verfassung. Nachdem eine Artilleriesalve die Vollziehung
des feierlichen Acts der Stadt und Umgegend verkündet hatte, schworen auch
die Prinzen, die Minister, die Generale. Als die königliche Familie nach dem
Palast zurückgekehrt war, durchritt der König, abermals durch tausend Zurufe
begrüßt, die Gassen und nahm den Truppen ihren Eid ab. Nur die beiden
Sicilianer, Generale Statella, schworen nicht. Sie erhielten Erlaubniß, nach
Sicilien zu gehen. Man billigte und ehrte ihr Verhalten. Weniger einver¬
standen war man mit der Abwesenheit der Gesandten Rußlands, Oestreichs
und Preußens, welche sich sämmtlich Tags zuvor eine Erkältung zugezogen
hatten, die der neapolitanische Witz Constitutionsfieber nannte.

Das bewaffnete Sicilien aber erregte gerechte Bedenken. Lord Minto hatte
die Unterhandlung begonnen. Nach Art. 87 der neuen Constitution durfte die
Negierung mit Sicilien ein Separatabkommen treffen. Sie gestand daher Folgen¬
des zu: 1) Separatparlament, aus zwei Kammern bestehend; 2) die alten Pairs
wieder eingesetzt; 3) Wahl der Deputaten weiterer Vereinbarung vorbehalten;
i) Staatsrath von Sicilianern; nur Sicilianer in Amt und Würde;'S) Eigne
See- und Landarmee; 6) der König ernennt einen Statthalter und verfügt
über die Truppen; 7) Gemischte Commission, zu ^/z aus dem neapolitanischen,
V" aus dem sicilianischen Parlamente gebildet, für beide Reiche gemeinsame
Angelegenheiten, wie Civilliste, Diplomatie, Handelstractate, vorbehaltlich des
Vetos der Krone. Hiergegen stellten die Sicilianer die Forderung: gleich
starke Commission, Statthalter nur geborene Sicilianer, wenn nicht Prinzen
von Geblüt, nur stcilianische Soldaten. Gegen die letztere Forderung machte
das Ministerium mit Recht geltend, daß Sicilien mit kaum zwei Millionen
Einwohnern sich nicht selbst vertheidigen könne, daß Siciliens Einnahme von
Seiten einer fremden Macht Neapel bedrohen würde, daß Messina der Schlüssel


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den Nacken beugte, nicht am Nuder wünschen. So waren denn Ungerechtig¬
keiten, Zurücksetzungen, Enttäuschungen unvermeidlich, und da die Verschul¬
dung des Staats auch nicht gestattete, in Bewilligung von Penstonen freige¬
big zu sein, blieb diesen Unglücklichen Grund genug zu bittern Klagen. Auch
die Verfassung bot hierzu Veranlassung. Das absolute Veto des Königs,
der Census, die erste Kammer waren ebensoviele bedenkliche Stellen, die nach der
Meinung der Liberalen, früher oder später dem Staatskörper ansteckend und
gefährlich werden konnten und ausgeschnitten werden mußten.

Am 2i. Februar war die dem römischen Pantheon nachgebildete Kirche
S. Francesco ti Pavia festlich geschmückt. Zur Rechten des Hauptaltars
stand ein Thron. Alle Würdenträger des Reichs, die Vertreter der fremden
Mächte, der Generalstab sämmtlicher Truppenkörper, die hervorragendsten
Fremden und der Hof selbst waren in dem stattlichen Rundbau versammelt.
Der König beschwor mit weit vernehmbaren Worten und freiem, ungetrübtem
Gesichtsausdruck die Verfassung. Nachdem eine Artilleriesalve die Vollziehung
des feierlichen Acts der Stadt und Umgegend verkündet hatte, schworen auch
die Prinzen, die Minister, die Generale. Als die königliche Familie nach dem
Palast zurückgekehrt war, durchritt der König, abermals durch tausend Zurufe
begrüßt, die Gassen und nahm den Truppen ihren Eid ab. Nur die beiden
Sicilianer, Generale Statella, schworen nicht. Sie erhielten Erlaubniß, nach
Sicilien zu gehen. Man billigte und ehrte ihr Verhalten. Weniger einver¬
standen war man mit der Abwesenheit der Gesandten Rußlands, Oestreichs
und Preußens, welche sich sämmtlich Tags zuvor eine Erkältung zugezogen
hatten, die der neapolitanische Witz Constitutionsfieber nannte.

Das bewaffnete Sicilien aber erregte gerechte Bedenken. Lord Minto hatte
die Unterhandlung begonnen. Nach Art. 87 der neuen Constitution durfte die
Negierung mit Sicilien ein Separatabkommen treffen. Sie gestand daher Folgen¬
des zu: 1) Separatparlament, aus zwei Kammern bestehend; 2) die alten Pairs
wieder eingesetzt; 3) Wahl der Deputaten weiterer Vereinbarung vorbehalten;
i) Staatsrath von Sicilianern; nur Sicilianer in Amt und Würde;'S) Eigne
See- und Landarmee; 6) der König ernennt einen Statthalter und verfügt
über die Truppen; 7) Gemischte Commission, zu ^/z aus dem neapolitanischen,
V» aus dem sicilianischen Parlamente gebildet, für beide Reiche gemeinsame
Angelegenheiten, wie Civilliste, Diplomatie, Handelstractate, vorbehaltlich des
Vetos der Krone. Hiergegen stellten die Sicilianer die Forderung: gleich
starke Commission, Statthalter nur geborene Sicilianer, wenn nicht Prinzen
von Geblüt, nur stcilianische Soldaten. Gegen die letztere Forderung machte
das Ministerium mit Recht geltend, daß Sicilien mit kaum zwei Millionen
Einwohnern sich nicht selbst vertheidigen könne, daß Siciliens Einnahme von
Seiten einer fremden Macht Neapel bedrohen würde, daß Messina der Schlüssel


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[0291] den Nacken beugte, nicht am Nuder wünschen. So waren denn Ungerechtig¬ keiten, Zurücksetzungen, Enttäuschungen unvermeidlich, und da die Verschul¬ dung des Staats auch nicht gestattete, in Bewilligung von Penstonen freige¬ big zu sein, blieb diesen Unglücklichen Grund genug zu bittern Klagen. Auch die Verfassung bot hierzu Veranlassung. Das absolute Veto des Königs, der Census, die erste Kammer waren ebensoviele bedenkliche Stellen, die nach der Meinung der Liberalen, früher oder später dem Staatskörper ansteckend und gefährlich werden konnten und ausgeschnitten werden mußten. Am 2i. Februar war die dem römischen Pantheon nachgebildete Kirche S. Francesco ti Pavia festlich geschmückt. Zur Rechten des Hauptaltars stand ein Thron. Alle Würdenträger des Reichs, die Vertreter der fremden Mächte, der Generalstab sämmtlicher Truppenkörper, die hervorragendsten Fremden und der Hof selbst waren in dem stattlichen Rundbau versammelt. Der König beschwor mit weit vernehmbaren Worten und freiem, ungetrübtem Gesichtsausdruck die Verfassung. Nachdem eine Artilleriesalve die Vollziehung des feierlichen Acts der Stadt und Umgegend verkündet hatte, schworen auch die Prinzen, die Minister, die Generale. Als die königliche Familie nach dem Palast zurückgekehrt war, durchritt der König, abermals durch tausend Zurufe begrüßt, die Gassen und nahm den Truppen ihren Eid ab. Nur die beiden Sicilianer, Generale Statella, schworen nicht. Sie erhielten Erlaubniß, nach Sicilien zu gehen. Man billigte und ehrte ihr Verhalten. Weniger einver¬ standen war man mit der Abwesenheit der Gesandten Rußlands, Oestreichs und Preußens, welche sich sämmtlich Tags zuvor eine Erkältung zugezogen hatten, die der neapolitanische Witz Constitutionsfieber nannte. Das bewaffnete Sicilien aber erregte gerechte Bedenken. Lord Minto hatte die Unterhandlung begonnen. Nach Art. 87 der neuen Constitution durfte die Negierung mit Sicilien ein Separatabkommen treffen. Sie gestand daher Folgen¬ des zu: 1) Separatparlament, aus zwei Kammern bestehend; 2) die alten Pairs wieder eingesetzt; 3) Wahl der Deputaten weiterer Vereinbarung vorbehalten; i) Staatsrath von Sicilianern; nur Sicilianer in Amt und Würde;'S) Eigne See- und Landarmee; 6) der König ernennt einen Statthalter und verfügt über die Truppen; 7) Gemischte Commission, zu ^/z aus dem neapolitanischen, V» aus dem sicilianischen Parlamente gebildet, für beide Reiche gemeinsame Angelegenheiten, wie Civilliste, Diplomatie, Handelstractate, vorbehaltlich des Vetos der Krone. Hiergegen stellten die Sicilianer die Forderung: gleich starke Commission, Statthalter nur geborene Sicilianer, wenn nicht Prinzen von Geblüt, nur stcilianische Soldaten. Gegen die letztere Forderung machte das Ministerium mit Recht geltend, daß Sicilien mit kaum zwei Millionen Einwohnern sich nicht selbst vertheidigen könne, daß Siciliens Einnahme von Seiten einer fremden Macht Neapel bedrohen würde, daß Messina der Schlüssel 36 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/291>, abgerufen am 17.06.2024.