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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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wir müssen doch näher zusehen, durch welche Ursachen dieser Abfluß veran¬
laßt wurde und ob dieselben dauernd wirken werden. Silber wird versandt,
um damit bezogne Waaren zu bezahlen, die man nicht durch Wechsel d. h.
durch andre Waaren halbiren kann, die sehr vermehrte Silberströmung nach
Ostasien zeigt also, daß sehr viel mehr Waaren von dorther bezogen, oder
daß sehr viel weniger europäische Erzeugnisse dorthin versandt sind. Beides
ist in der That zusammengetroffen. Zuerst hat die Theeausfuhr sich außeror¬
dentlich gesteigert -- sie war 1848--1849 ca. 63,314,000 Pfund, 1835-S6:
131,280,000 Pfund, -- sodann hat Europa wegen der letzten schlechten Seiden¬
ernten sehr viel mehr Seide aus China und Indien bezogen als früher --
1844--4S erportirte China 10,727 Ballen, 1853--ö4 61,948 Ballen, -- end¬
lich war die Ausfuhr von ostindischem Reis nach Europa ungewöhnlich stark
wegen der europäischen Mißernten der letzten Jahre. Dazu kommt, daß'auf
der andern Seite der Import europäischer Waaren in China sich durch die
Revolution erheblich vermindert hat, und außerdem wird nach Indien durch die
gewaltigen, von britischen Unternehmern herzustellenden Eisenbahnbauten ein
großes Capital gezogen, das, da daS Silber dort ausschließliche Währung ist,
größtentheils baar von England gesandt wird. Wenn der Silbererport beson¬
ders in diesem Jahre stark gewesen, so ist vielleicht auch noch in Betracht zu
ziehen, daß mit dem Frieden der russische Karavanenhandcl nach Binnenasien
wieder lebhaft begonnen hat. Da er in baarem Silber-halbirt wird, so stockte er
während deS Krieges, wo das baare Geld knapp und die Ausfuhr der
edeln Metalle verboten war; nach dem Frieden nun bezogen Petersburger Häu¬
ser große Summen Silbers aus Berlin und Hamburg für den asiatischen Han¬
del. Alle diese Ursachen der erhöhten Silberausfuhr werden nicht dauernd
sein, mit Ausnahme der steigenden Theeausfuhr. Die Korn- und Seidcnern-
ten werden nicht stets fehlschlagen, die Einfuhr europäisch"r Artikel in China
wird sich bei geordneten Verhältnissen wieder heben, die Eisenbahnen werden
in Indien gebaut, das baare Silber wird in Nußland weniger selten sein.

Außerdem müssen wir noch eine andre Seite der starken Silberausfuhr
ins Auge fassen. Das Silber strömte nicht blos deshalb nach China und In¬
dien, weil es dort begehrt war, sondern auch weil es in Europa sehr stark an¬
geboten wurde, es ist die Wechselwirkung von Angebot und Nachfrage, die hier
wie stets den Markt beherrscht. Wir haben gesehen, daß durch den Umstand
der doppelten Währung das Gold nach Frankreich strömte; das dadurch über¬
flüssig gewordene Silber suchte eine Verwendung und fand sie.am vortheilhaf-
testen in der Ausfuhr nach dem Orient. Es sind nach einer Wahrscheinlich¬
keitsberechnung 500 Millionen Thaler Silber aus Frankreich ausgewandert,
also doppelt so viel als die ganze Ausfuhr nach dem Orient nach obiger Ta¬
belle betragen hat; dabei ist noch nicht veranschlagt, was von dem östreichischen


wir müssen doch näher zusehen, durch welche Ursachen dieser Abfluß veran¬
laßt wurde und ob dieselben dauernd wirken werden. Silber wird versandt,
um damit bezogne Waaren zu bezahlen, die man nicht durch Wechsel d. h.
durch andre Waaren halbiren kann, die sehr vermehrte Silberströmung nach
Ostasien zeigt also, daß sehr viel mehr Waaren von dorther bezogen, oder
daß sehr viel weniger europäische Erzeugnisse dorthin versandt sind. Beides
ist in der That zusammengetroffen. Zuerst hat die Theeausfuhr sich außeror¬
dentlich gesteigert — sie war 1848—1849 ca. 63,314,000 Pfund, 1835-S6:
131,280,000 Pfund, — sodann hat Europa wegen der letzten schlechten Seiden¬
ernten sehr viel mehr Seide aus China und Indien bezogen als früher —
1844—4S erportirte China 10,727 Ballen, 1853—ö4 61,948 Ballen, — end¬
lich war die Ausfuhr von ostindischem Reis nach Europa ungewöhnlich stark
wegen der europäischen Mißernten der letzten Jahre. Dazu kommt, daß'auf
der andern Seite der Import europäischer Waaren in China sich durch die
Revolution erheblich vermindert hat, und außerdem wird nach Indien durch die
gewaltigen, von britischen Unternehmern herzustellenden Eisenbahnbauten ein
großes Capital gezogen, das, da daS Silber dort ausschließliche Währung ist,
größtentheils baar von England gesandt wird. Wenn der Silbererport beson¬
ders in diesem Jahre stark gewesen, so ist vielleicht auch noch in Betracht zu
ziehen, daß mit dem Frieden der russische Karavanenhandcl nach Binnenasien
wieder lebhaft begonnen hat. Da er in baarem Silber-halbirt wird, so stockte er
während deS Krieges, wo das baare Geld knapp und die Ausfuhr der
edeln Metalle verboten war; nach dem Frieden nun bezogen Petersburger Häu¬
ser große Summen Silbers aus Berlin und Hamburg für den asiatischen Han¬
del. Alle diese Ursachen der erhöhten Silberausfuhr werden nicht dauernd
sein, mit Ausnahme der steigenden Theeausfuhr. Die Korn- und Seidcnern-
ten werden nicht stets fehlschlagen, die Einfuhr europäisch«r Artikel in China
wird sich bei geordneten Verhältnissen wieder heben, die Eisenbahnen werden
in Indien gebaut, das baare Silber wird in Nußland weniger selten sein.

Außerdem müssen wir noch eine andre Seite der starken Silberausfuhr
ins Auge fassen. Das Silber strömte nicht blos deshalb nach China und In¬
dien, weil es dort begehrt war, sondern auch weil es in Europa sehr stark an¬
geboten wurde, es ist die Wechselwirkung von Angebot und Nachfrage, die hier
wie stets den Markt beherrscht. Wir haben gesehen, daß durch den Umstand
der doppelten Währung das Gold nach Frankreich strömte; das dadurch über¬
flüssig gewordene Silber suchte eine Verwendung und fand sie.am vortheilhaf-
testen in der Ausfuhr nach dem Orient. Es sind nach einer Wahrscheinlich¬
keitsberechnung 500 Millionen Thaler Silber aus Frankreich ausgewandert,
also doppelt so viel als die ganze Ausfuhr nach dem Orient nach obiger Ta¬
belle betragen hat; dabei ist noch nicht veranschlagt, was von dem östreichischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/14>, abgerufen am 08.05.2024.