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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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wähnte Beschränkung zu Hilft (nämlich die Mitnahme von jungen Thieren)
und bedenkt man vor allem, daß in der Arche die Thiere nicht in dem behag¬
lichen Zustande einer Menagerie zusammenlebten, sondern daß daS furchtbare
Toben der Wellen und das Brausen des Sturmwindes sie mit Todesschrecken
erfüllte, so wird den Fleischfressern wol die Lust nach Raube vergangen sein
und sie werden sich mit der zugewiesenen Speise begnügt haben; zudem waren
die Thiere in Abtheilungen geschieden und da überdies die beiden untern Stock¬
werke wenig Licht gehabt haben, so wird unter so ungewöhnlichen und schauer¬
lichen Verhältnissen allen nicht mehr Speise nöthig gewesen sein, als sie zur
höchsten Nothdurft erforderlich hatten. Ein Theil der kaltblütigen Thiere konnte
vielleicht auch die längste Zeit in Lethargie zubringen." Später führt er daS
weiter aus und sucht gegen Pfaff zu beweisen, daß in der Arche auch sür
Futter Platz genug gewesen sei, wenn Noah nur statt Heu Korn mitgenommen
hätte, und daß er mit seiner Familie auch wol Zeit gehabt hätte, alle Thiere
zu füttern, wenn er ihnen das Futter gemeinschaftlich vorgeworfen u. tgi. mehr.
Endlich aber verzweifelt er doch selbst an seinem Beweise und sagt:

"Gestehen wir eS nur unumwunden ein, daß jeder Versuch, die Allgemein¬
heit der Sündflut, die Zusammenbringung und Erhaltung der Thiere in der
Arche und ihre nachherige Verbreitung über den Erdboden zu erklären, ohne
dabei die unmittelbare Leitung Gottes zu Hilfe zu nehmen, vollständig alß^
glücken muß. Wir können ohne weiteres zugeben, daß alle diese Ereignisse
mit den bereits paratliegenden Mitteln durchgeführt werden konnten, wir müssen
dagegen aber auch die Nothwendigkeit einer Potenz, die im Stande war, augen¬
blicklich über alle diese Mittel zu gebieten und sie nach ihrem Zwecke zu be¬
nutzen, anerkennen; diese Potenz ist Gott. Wer jedoch von Gottes unmittel¬
baren Eingriffen in seine Schöpfung nichts wissen will, dem muß nothwen¬
dig der ganze Bericht von der Sündflut und ihren Folgen als ein Märchen
erscheinen." Wenn Wagner das vorangestellt hätte, so hätte er sich alle wei¬
teren Erörterungen ersparen können, denn wenn er doch Gott unmittelbar in
die Naturgesetze eingreifen lassen muß, wozu denn noch mit dem Beweise sich
abmühen, daß bis zu einer gewissen Grenze die Naturgesetze allein ausreichend
gewesen seien?

Gewiß hat Wagner mit seinen Auseinandersetzungen seiner GlaubenSpar-
tci keinen Dienst erwiesen. Er ist einestheils zu offen in dem Geständniß der
' Absicht und des Mißlingens seiner Bemühungen gewesen, andrerseits fordert
er durch seine allzu spitzfindigen und nicht selten kindischen Erörterungen zu
sehr den Zweifel und den Spott heraus. Wir glauben, daß dagegen selbst
der stärkste Glaube, vorausgesetzt, daß er ein unbefangener wäre, nicht Stich
halten würde und können alle noch Zweifelnden auffordern, sich durch Wagner
überzeugen zu lassen, daß die biblischen Berichte mit den Lehren der Natur-


wähnte Beschränkung zu Hilft (nämlich die Mitnahme von jungen Thieren)
und bedenkt man vor allem, daß in der Arche die Thiere nicht in dem behag¬
lichen Zustande einer Menagerie zusammenlebten, sondern daß daS furchtbare
Toben der Wellen und das Brausen des Sturmwindes sie mit Todesschrecken
erfüllte, so wird den Fleischfressern wol die Lust nach Raube vergangen sein
und sie werden sich mit der zugewiesenen Speise begnügt haben; zudem waren
die Thiere in Abtheilungen geschieden und da überdies die beiden untern Stock¬
werke wenig Licht gehabt haben, so wird unter so ungewöhnlichen und schauer¬
lichen Verhältnissen allen nicht mehr Speise nöthig gewesen sein, als sie zur
höchsten Nothdurft erforderlich hatten. Ein Theil der kaltblütigen Thiere konnte
vielleicht auch die längste Zeit in Lethargie zubringen." Später führt er daS
weiter aus und sucht gegen Pfaff zu beweisen, daß in der Arche auch sür
Futter Platz genug gewesen sei, wenn Noah nur statt Heu Korn mitgenommen
hätte, und daß er mit seiner Familie auch wol Zeit gehabt hätte, alle Thiere
zu füttern, wenn er ihnen das Futter gemeinschaftlich vorgeworfen u. tgi. mehr.
Endlich aber verzweifelt er doch selbst an seinem Beweise und sagt:

„Gestehen wir eS nur unumwunden ein, daß jeder Versuch, die Allgemein¬
heit der Sündflut, die Zusammenbringung und Erhaltung der Thiere in der
Arche und ihre nachherige Verbreitung über den Erdboden zu erklären, ohne
dabei die unmittelbare Leitung Gottes zu Hilfe zu nehmen, vollständig alß^
glücken muß. Wir können ohne weiteres zugeben, daß alle diese Ereignisse
mit den bereits paratliegenden Mitteln durchgeführt werden konnten, wir müssen
dagegen aber auch die Nothwendigkeit einer Potenz, die im Stande war, augen¬
blicklich über alle diese Mittel zu gebieten und sie nach ihrem Zwecke zu be¬
nutzen, anerkennen; diese Potenz ist Gott. Wer jedoch von Gottes unmittel¬
baren Eingriffen in seine Schöpfung nichts wissen will, dem muß nothwen¬
dig der ganze Bericht von der Sündflut und ihren Folgen als ein Märchen
erscheinen." Wenn Wagner das vorangestellt hätte, so hätte er sich alle wei¬
teren Erörterungen ersparen können, denn wenn er doch Gott unmittelbar in
die Naturgesetze eingreifen lassen muß, wozu denn noch mit dem Beweise sich
abmühen, daß bis zu einer gewissen Grenze die Naturgesetze allein ausreichend
gewesen seien?

Gewiß hat Wagner mit seinen Auseinandersetzungen seiner GlaubenSpar-
tci keinen Dienst erwiesen. Er ist einestheils zu offen in dem Geständniß der
' Absicht und des Mißlingens seiner Bemühungen gewesen, andrerseits fordert
er durch seine allzu spitzfindigen und nicht selten kindischen Erörterungen zu
sehr den Zweifel und den Spott heraus. Wir glauben, daß dagegen selbst
der stärkste Glaube, vorausgesetzt, daß er ein unbefangener wäre, nicht Stich
halten würde und können alle noch Zweifelnden auffordern, sich durch Wagner
überzeugen zu lassen, daß die biblischen Berichte mit den Lehren der Natur-


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[0205] wähnte Beschränkung zu Hilft (nämlich die Mitnahme von jungen Thieren) und bedenkt man vor allem, daß in der Arche die Thiere nicht in dem behag¬ lichen Zustande einer Menagerie zusammenlebten, sondern daß daS furchtbare Toben der Wellen und das Brausen des Sturmwindes sie mit Todesschrecken erfüllte, so wird den Fleischfressern wol die Lust nach Raube vergangen sein und sie werden sich mit der zugewiesenen Speise begnügt haben; zudem waren die Thiere in Abtheilungen geschieden und da überdies die beiden untern Stock¬ werke wenig Licht gehabt haben, so wird unter so ungewöhnlichen und schauer¬ lichen Verhältnissen allen nicht mehr Speise nöthig gewesen sein, als sie zur höchsten Nothdurft erforderlich hatten. Ein Theil der kaltblütigen Thiere konnte vielleicht auch die längste Zeit in Lethargie zubringen." Später führt er daS weiter aus und sucht gegen Pfaff zu beweisen, daß in der Arche auch sür Futter Platz genug gewesen sei, wenn Noah nur statt Heu Korn mitgenommen hätte, und daß er mit seiner Familie auch wol Zeit gehabt hätte, alle Thiere zu füttern, wenn er ihnen das Futter gemeinschaftlich vorgeworfen u. tgi. mehr. Endlich aber verzweifelt er doch selbst an seinem Beweise und sagt: „Gestehen wir eS nur unumwunden ein, daß jeder Versuch, die Allgemein¬ heit der Sündflut, die Zusammenbringung und Erhaltung der Thiere in der Arche und ihre nachherige Verbreitung über den Erdboden zu erklären, ohne dabei die unmittelbare Leitung Gottes zu Hilfe zu nehmen, vollständig alß^ glücken muß. Wir können ohne weiteres zugeben, daß alle diese Ereignisse mit den bereits paratliegenden Mitteln durchgeführt werden konnten, wir müssen dagegen aber auch die Nothwendigkeit einer Potenz, die im Stande war, augen¬ blicklich über alle diese Mittel zu gebieten und sie nach ihrem Zwecke zu be¬ nutzen, anerkennen; diese Potenz ist Gott. Wer jedoch von Gottes unmittel¬ baren Eingriffen in seine Schöpfung nichts wissen will, dem muß nothwen¬ dig der ganze Bericht von der Sündflut und ihren Folgen als ein Märchen erscheinen." Wenn Wagner das vorangestellt hätte, so hätte er sich alle wei¬ teren Erörterungen ersparen können, denn wenn er doch Gott unmittelbar in die Naturgesetze eingreifen lassen muß, wozu denn noch mit dem Beweise sich abmühen, daß bis zu einer gewissen Grenze die Naturgesetze allein ausreichend gewesen seien? Gewiß hat Wagner mit seinen Auseinandersetzungen seiner GlaubenSpar- tci keinen Dienst erwiesen. Er ist einestheils zu offen in dem Geständniß der ' Absicht und des Mißlingens seiner Bemühungen gewesen, andrerseits fordert er durch seine allzu spitzfindigen und nicht selten kindischen Erörterungen zu sehr den Zweifel und den Spott heraus. Wir glauben, daß dagegen selbst der stärkste Glaube, vorausgesetzt, daß er ein unbefangener wäre, nicht Stich halten würde und können alle noch Zweifelnden auffordern, sich durch Wagner überzeugen zu lassen, daß die biblischen Berichte mit den Lehren der Natur-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/205>, abgerufen am 17.06.2024.