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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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Wissenschaft schlechterdings nicht in Uebereinstimmung zu bringen sind. Stahl
hat von seinem Standpunkte aus ganz recht, seine Glaubensgenossen vor jeder
Verbündung mit andern Wissenschaften zu warnen, sie verwunden sich selbst
an diesen, und schließlich bleibt ihnen nichts übrig, als auf deren Unzulänglich¬
keit mitleidig herabzusehen, und trotz derselben vermöge der Allmacht Gottes
alles für möglich und factisch zu halten, waS ihre Dogmen einmal verlangen.
Wenn sie fest und einfach bei dem Satze blieben, waS in der Bibel stehe, sei
buchstäblich wahr, jeder Widerspruch werde sich von selbst früher oder später
als irrthümlich erweisen und bedürfe gar keiner Berücksichtigung, so würden
sie uns das traurige Schauspiel eines kleinlichen Deutelns ersparen, welches
sie selbst ihren. Gegnern sonst so bereitwillig zum Vorwurf machen. Wahrlich
eine traurige Religion, deren Anhänger die Uebereinstimmung ihrer Dogmen
mit andern Wissenschaften durch dialektische Kunstgriffe aufrecht zu halten, sich
zu drehen und zu wenden genöthigt sind, sobald in jenen neue gefährliche
Entdeckungen gemacht werden, und die doch immer befürchten müssen, daß daS
ganze künstliche Gebäude einmal plötzlich über den Haufen fällt. ES ist nicht
zu verwundern, wenn man, einmal auf diesen falschen Weg gekommen, das
Verständniß selbst für eine so einfache Erzählung, wie die Schöpfungsgeschichte,
verliert und das Erhabene derselben ohne Scheu durch Sophismen zerstört.

Das Großartige der mosaischen Schöpfungsgeschichte liegt, wie Wagner selbst
hervorhebt und wie jeder Unbefangene gleich fühlt, darin, daß sie uns ein ein¬
faches und unvergeßliches Bild von der Allmacht Gottes und dem Schaffen
aus Nichts gibt. ES ist in den ersten Versen kein Wort, welches nicht einen
tiefen Eindruck auf ein empfängliches Gemüth machen müßte: die Finsterniß und
Oede der Erde, das Schweben des Geistes Gottes über dem Wasser und dann
auf das bloße Wort Gottes das plötzliche Hervorbrechen des Lichts, daS alles
ist nicht schöner und erhabener zu denken. Soll man aber dabei immer für
sich hinräsonniren: Ja Gott schuf im Anfang Himmel und Erde, aber die
bösen Engel ruinirten sie ihm, und da mußte er wieder von vorne anfangen;
das Licht ward zwar, aber es war nur eine Art Nordlicht; der Schöpfer machte
die Sonne freilich, aber sie war schon vorher da, sie fing nur an zu leuchten,
-- dann wird die ganze wunderbare Erzählung ihrer Erhabenheit entkleidet
und man nimmt Anstoß daran, daß Moses sich nicht besser ausdrücken konnte.
Wir haben es dagegen stets für gleichgiltig gehalten, ob die biblische Schöpfungs¬
geschichte mit der Naturwissenschaft in Uebereinstimmung zu bringen sei oder
nicht. Gewiß ist, daß die Bibel zur Förderung naturwissenschaftlicher Kennt¬
nisse nichts beigetragen hat und daß keiner von den Schriftstellern derselben
in dieser Beziehung über dem Standpunkte seiner Zeit stand; Moses insbeson¬
dere nicht über dem der unmittelbaren sinnlichen Anschauung. Eine Offenba¬
rung naturwissenschaftlicher Lehrsätze anzunehmen, ist ja auch an sich absurd.


Wissenschaft schlechterdings nicht in Uebereinstimmung zu bringen sind. Stahl
hat von seinem Standpunkte aus ganz recht, seine Glaubensgenossen vor jeder
Verbündung mit andern Wissenschaften zu warnen, sie verwunden sich selbst
an diesen, und schließlich bleibt ihnen nichts übrig, als auf deren Unzulänglich¬
keit mitleidig herabzusehen, und trotz derselben vermöge der Allmacht Gottes
alles für möglich und factisch zu halten, waS ihre Dogmen einmal verlangen.
Wenn sie fest und einfach bei dem Satze blieben, waS in der Bibel stehe, sei
buchstäblich wahr, jeder Widerspruch werde sich von selbst früher oder später
als irrthümlich erweisen und bedürfe gar keiner Berücksichtigung, so würden
sie uns das traurige Schauspiel eines kleinlichen Deutelns ersparen, welches
sie selbst ihren. Gegnern sonst so bereitwillig zum Vorwurf machen. Wahrlich
eine traurige Religion, deren Anhänger die Uebereinstimmung ihrer Dogmen
mit andern Wissenschaften durch dialektische Kunstgriffe aufrecht zu halten, sich
zu drehen und zu wenden genöthigt sind, sobald in jenen neue gefährliche
Entdeckungen gemacht werden, und die doch immer befürchten müssen, daß daS
ganze künstliche Gebäude einmal plötzlich über den Haufen fällt. ES ist nicht
zu verwundern, wenn man, einmal auf diesen falschen Weg gekommen, das
Verständniß selbst für eine so einfache Erzählung, wie die Schöpfungsgeschichte,
verliert und das Erhabene derselben ohne Scheu durch Sophismen zerstört.

Das Großartige der mosaischen Schöpfungsgeschichte liegt, wie Wagner selbst
hervorhebt und wie jeder Unbefangene gleich fühlt, darin, daß sie uns ein ein¬
faches und unvergeßliches Bild von der Allmacht Gottes und dem Schaffen
aus Nichts gibt. ES ist in den ersten Versen kein Wort, welches nicht einen
tiefen Eindruck auf ein empfängliches Gemüth machen müßte: die Finsterniß und
Oede der Erde, das Schweben des Geistes Gottes über dem Wasser und dann
auf das bloße Wort Gottes das plötzliche Hervorbrechen des Lichts, daS alles
ist nicht schöner und erhabener zu denken. Soll man aber dabei immer für
sich hinräsonniren: Ja Gott schuf im Anfang Himmel und Erde, aber die
bösen Engel ruinirten sie ihm, und da mußte er wieder von vorne anfangen;
das Licht ward zwar, aber es war nur eine Art Nordlicht; der Schöpfer machte
die Sonne freilich, aber sie war schon vorher da, sie fing nur an zu leuchten,
— dann wird die ganze wunderbare Erzählung ihrer Erhabenheit entkleidet
und man nimmt Anstoß daran, daß Moses sich nicht besser ausdrücken konnte.
Wir haben es dagegen stets für gleichgiltig gehalten, ob die biblische Schöpfungs¬
geschichte mit der Naturwissenschaft in Uebereinstimmung zu bringen sei oder
nicht. Gewiß ist, daß die Bibel zur Förderung naturwissenschaftlicher Kennt¬
nisse nichts beigetragen hat und daß keiner von den Schriftstellern derselben
in dieser Beziehung über dem Standpunkte seiner Zeit stand; Moses insbeson¬
dere nicht über dem der unmittelbaren sinnlichen Anschauung. Eine Offenba¬
rung naturwissenschaftlicher Lehrsätze anzunehmen, ist ja auch an sich absurd.


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[0206] Wissenschaft schlechterdings nicht in Uebereinstimmung zu bringen sind. Stahl hat von seinem Standpunkte aus ganz recht, seine Glaubensgenossen vor jeder Verbündung mit andern Wissenschaften zu warnen, sie verwunden sich selbst an diesen, und schließlich bleibt ihnen nichts übrig, als auf deren Unzulänglich¬ keit mitleidig herabzusehen, und trotz derselben vermöge der Allmacht Gottes alles für möglich und factisch zu halten, waS ihre Dogmen einmal verlangen. Wenn sie fest und einfach bei dem Satze blieben, waS in der Bibel stehe, sei buchstäblich wahr, jeder Widerspruch werde sich von selbst früher oder später als irrthümlich erweisen und bedürfe gar keiner Berücksichtigung, so würden sie uns das traurige Schauspiel eines kleinlichen Deutelns ersparen, welches sie selbst ihren. Gegnern sonst so bereitwillig zum Vorwurf machen. Wahrlich eine traurige Religion, deren Anhänger die Uebereinstimmung ihrer Dogmen mit andern Wissenschaften durch dialektische Kunstgriffe aufrecht zu halten, sich zu drehen und zu wenden genöthigt sind, sobald in jenen neue gefährliche Entdeckungen gemacht werden, und die doch immer befürchten müssen, daß daS ganze künstliche Gebäude einmal plötzlich über den Haufen fällt. ES ist nicht zu verwundern, wenn man, einmal auf diesen falschen Weg gekommen, das Verständniß selbst für eine so einfache Erzählung, wie die Schöpfungsgeschichte, verliert und das Erhabene derselben ohne Scheu durch Sophismen zerstört. Das Großartige der mosaischen Schöpfungsgeschichte liegt, wie Wagner selbst hervorhebt und wie jeder Unbefangene gleich fühlt, darin, daß sie uns ein ein¬ faches und unvergeßliches Bild von der Allmacht Gottes und dem Schaffen aus Nichts gibt. ES ist in den ersten Versen kein Wort, welches nicht einen tiefen Eindruck auf ein empfängliches Gemüth machen müßte: die Finsterniß und Oede der Erde, das Schweben des Geistes Gottes über dem Wasser und dann auf das bloße Wort Gottes das plötzliche Hervorbrechen des Lichts, daS alles ist nicht schöner und erhabener zu denken. Soll man aber dabei immer für sich hinräsonniren: Ja Gott schuf im Anfang Himmel und Erde, aber die bösen Engel ruinirten sie ihm, und da mußte er wieder von vorne anfangen; das Licht ward zwar, aber es war nur eine Art Nordlicht; der Schöpfer machte die Sonne freilich, aber sie war schon vorher da, sie fing nur an zu leuchten, — dann wird die ganze wunderbare Erzählung ihrer Erhabenheit entkleidet und man nimmt Anstoß daran, daß Moses sich nicht besser ausdrücken konnte. Wir haben es dagegen stets für gleichgiltig gehalten, ob die biblische Schöpfungs¬ geschichte mit der Naturwissenschaft in Uebereinstimmung zu bringen sei oder nicht. Gewiß ist, daß die Bibel zur Förderung naturwissenschaftlicher Kennt¬ nisse nichts beigetragen hat und daß keiner von den Schriftstellern derselben in dieser Beziehung über dem Standpunkte seiner Zeit stand; Moses insbeson¬ dere nicht über dem der unmittelbaren sinnlichen Anschauung. Eine Offenba¬ rung naturwissenschaftlicher Lehrsätze anzunehmen, ist ja auch an sich absurd.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/206>, abgerufen am 26.05.2024.