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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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geführt werden, und wohin man gelangt, wenn man den Einzelnen die freie
Selbstbestimmung über die Wahl ihres Lcbensberufs entzieht, mag jeder selbst
ermessen. Die Unausführbarst dieses Verfahrens ist denn auch von den Be¬
teiligten dadurch anerkannt, daß sie fast durchgängig einen andern Weg zu
dem vorgesteckten Ziele vorschlagen, der bereits früher bei den geschlossenen
Zünften des Mittelalters vorkam. Darnach gibt man zwar die Erler¬
nung deS Handwerks allen frei, beschränkt aber die Zulassung der Meister,
-welche dasselbe sür eigne Rechnung treiben dürfen, an jedem Orte, je nach dem
Bedürfniß, auf eine gewisse Zahl. Allerdings läßt sich hierdurch erreichen,
daß sich eine günstig gestellte Minderheit auf Unkosten der Mehrheit bereichert,
welche letztere im Gesellenstande zu dauernder Unselbständigkeit verdammt und
daher gezwungen ist, der erstern um geringen Lohn zu dienen. Da man aber
auf solche Weise die Zahl der Handwerker eben nicht vermindert, sondern nur
eine bevorzugte Classe unter ihnen schafft, so kann dies niemand im Ernste
für eine Lösung der Frage ausgeben, indem wir im Gegentheil nur daS Zu-
geständniß darin erblicken, daß die Frage im Interesse der Gesammtheit eben
keine Lösung zuläßt, da man ja sür nöthig hält, einen Theil von der ganzen
Masse zu opfern, um dem Nest eine leidliche Existenz zu sichern.

Noch mißlicher steht es mit der zweiten Forderung: "Dem Verbot der
Fertigung von Handwerker Waaren durch andere als Handwerks¬
meister, insbesondere durch Fabrikanten." Wo ist hier die Grenze
zwischen Handwerk und Fabrik, welche Artikel eignen wir dem ersteren, welche
der letztern zu? -- Nach dem gegenwärtigen Sachstande sind eine ganze Menge
von Gcwerbszweigen, welche früher nur von Handwerkern betrieben wurden, in
die Fabrikproductivn übergegangen, mit der Folge, daß der handwerksmäßige
Betrieb entweder ganz aufgehört hat, oder kaum noch das trockne Brot ab¬
wirft. Wie steht es nun damit? Will man den gegenwärtigen Stand der
Dinge bei der Scheidung der beiden Arbeitsgebiete zu Grunde legen, der
Fabrik die bisher -eroberten Gebiete belassen, und ihr nur verbieten,
weiter um sich zu greisen? Oder will man gar auf irgend einen frühern Zeit-
Punkt zurückgehen, die Fabrikation von Waaren, welche irgend einmal von
Handwerkern gefertigt worden sind, überhaupt verbieten, und die damit be¬
schäftigten Fabriken schließen? -- Jedenfalls werden die Handwerker, die sich
bei dem gegenwärtigen Stand der Dinge nicht halten können, es auch nicht
dabei belassen wollen, also die Schließung einer Menge von Fabriken fordern.
Was soll aber dann aus der Menge entlassener Fabrikarbeiter werden, die doch
so gut wie jeder andere, das Recht, von ihrer Hände Arbeit zu leben, bean¬
spruchen dürfen? -- Und wollte man auch hiervon absehen, wie will man mit
dem Auslande Schritt halten, wenn man alle neue Erfindungen und verbesserte
Productionsmethoden, wie sie der fabrikmäßige Betrieb in Anwendung bringt,


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geführt werden, und wohin man gelangt, wenn man den Einzelnen die freie
Selbstbestimmung über die Wahl ihres Lcbensberufs entzieht, mag jeder selbst
ermessen. Die Unausführbarst dieses Verfahrens ist denn auch von den Be¬
teiligten dadurch anerkannt, daß sie fast durchgängig einen andern Weg zu
dem vorgesteckten Ziele vorschlagen, der bereits früher bei den geschlossenen
Zünften des Mittelalters vorkam. Darnach gibt man zwar die Erler¬
nung deS Handwerks allen frei, beschränkt aber die Zulassung der Meister,
-welche dasselbe sür eigne Rechnung treiben dürfen, an jedem Orte, je nach dem
Bedürfniß, auf eine gewisse Zahl. Allerdings läßt sich hierdurch erreichen,
daß sich eine günstig gestellte Minderheit auf Unkosten der Mehrheit bereichert,
welche letztere im Gesellenstande zu dauernder Unselbständigkeit verdammt und
daher gezwungen ist, der erstern um geringen Lohn zu dienen. Da man aber
auf solche Weise die Zahl der Handwerker eben nicht vermindert, sondern nur
eine bevorzugte Classe unter ihnen schafft, so kann dies niemand im Ernste
für eine Lösung der Frage ausgeben, indem wir im Gegentheil nur daS Zu-
geständniß darin erblicken, daß die Frage im Interesse der Gesammtheit eben
keine Lösung zuläßt, da man ja sür nöthig hält, einen Theil von der ganzen
Masse zu opfern, um dem Nest eine leidliche Existenz zu sichern.

Noch mißlicher steht es mit der zweiten Forderung: „Dem Verbot der
Fertigung von Handwerker Waaren durch andere als Handwerks¬
meister, insbesondere durch Fabrikanten." Wo ist hier die Grenze
zwischen Handwerk und Fabrik, welche Artikel eignen wir dem ersteren, welche
der letztern zu? — Nach dem gegenwärtigen Sachstande sind eine ganze Menge
von Gcwerbszweigen, welche früher nur von Handwerkern betrieben wurden, in
die Fabrikproductivn übergegangen, mit der Folge, daß der handwerksmäßige
Betrieb entweder ganz aufgehört hat, oder kaum noch das trockne Brot ab¬
wirft. Wie steht es nun damit? Will man den gegenwärtigen Stand der
Dinge bei der Scheidung der beiden Arbeitsgebiete zu Grunde legen, der
Fabrik die bisher -eroberten Gebiete belassen, und ihr nur verbieten,
weiter um sich zu greisen? Oder will man gar auf irgend einen frühern Zeit-
Punkt zurückgehen, die Fabrikation von Waaren, welche irgend einmal von
Handwerkern gefertigt worden sind, überhaupt verbieten, und die damit be¬
schäftigten Fabriken schließen? — Jedenfalls werden die Handwerker, die sich
bei dem gegenwärtigen Stand der Dinge nicht halten können, es auch nicht
dabei belassen wollen, also die Schließung einer Menge von Fabriken fordern.
Was soll aber dann aus der Menge entlassener Fabrikarbeiter werden, die doch
so gut wie jeder andere, das Recht, von ihrer Hände Arbeit zu leben, bean¬
spruchen dürfen? — Und wollte man auch hiervon absehen, wie will man mit
dem Auslande Schritt halten, wenn man alle neue Erfindungen und verbesserte
Productionsmethoden, wie sie der fabrikmäßige Betrieb in Anwendung bringt,


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[0265] geführt werden, und wohin man gelangt, wenn man den Einzelnen die freie Selbstbestimmung über die Wahl ihres Lcbensberufs entzieht, mag jeder selbst ermessen. Die Unausführbarst dieses Verfahrens ist denn auch von den Be¬ teiligten dadurch anerkannt, daß sie fast durchgängig einen andern Weg zu dem vorgesteckten Ziele vorschlagen, der bereits früher bei den geschlossenen Zünften des Mittelalters vorkam. Darnach gibt man zwar die Erler¬ nung deS Handwerks allen frei, beschränkt aber die Zulassung der Meister, -welche dasselbe sür eigne Rechnung treiben dürfen, an jedem Orte, je nach dem Bedürfniß, auf eine gewisse Zahl. Allerdings läßt sich hierdurch erreichen, daß sich eine günstig gestellte Minderheit auf Unkosten der Mehrheit bereichert, welche letztere im Gesellenstande zu dauernder Unselbständigkeit verdammt und daher gezwungen ist, der erstern um geringen Lohn zu dienen. Da man aber auf solche Weise die Zahl der Handwerker eben nicht vermindert, sondern nur eine bevorzugte Classe unter ihnen schafft, so kann dies niemand im Ernste für eine Lösung der Frage ausgeben, indem wir im Gegentheil nur daS Zu- geständniß darin erblicken, daß die Frage im Interesse der Gesammtheit eben keine Lösung zuläßt, da man ja sür nöthig hält, einen Theil von der ganzen Masse zu opfern, um dem Nest eine leidliche Existenz zu sichern. Noch mißlicher steht es mit der zweiten Forderung: „Dem Verbot der Fertigung von Handwerker Waaren durch andere als Handwerks¬ meister, insbesondere durch Fabrikanten." Wo ist hier die Grenze zwischen Handwerk und Fabrik, welche Artikel eignen wir dem ersteren, welche der letztern zu? — Nach dem gegenwärtigen Sachstande sind eine ganze Menge von Gcwerbszweigen, welche früher nur von Handwerkern betrieben wurden, in die Fabrikproductivn übergegangen, mit der Folge, daß der handwerksmäßige Betrieb entweder ganz aufgehört hat, oder kaum noch das trockne Brot ab¬ wirft. Wie steht es nun damit? Will man den gegenwärtigen Stand der Dinge bei der Scheidung der beiden Arbeitsgebiete zu Grunde legen, der Fabrik die bisher -eroberten Gebiete belassen, und ihr nur verbieten, weiter um sich zu greisen? Oder will man gar auf irgend einen frühern Zeit- Punkt zurückgehen, die Fabrikation von Waaren, welche irgend einmal von Handwerkern gefertigt worden sind, überhaupt verbieten, und die damit be¬ schäftigten Fabriken schließen? — Jedenfalls werden die Handwerker, die sich bei dem gegenwärtigen Stand der Dinge nicht halten können, es auch nicht dabei belassen wollen, also die Schließung einer Menge von Fabriken fordern. Was soll aber dann aus der Menge entlassener Fabrikarbeiter werden, die doch so gut wie jeder andere, das Recht, von ihrer Hände Arbeit zu leben, bean¬ spruchen dürfen? — Und wollte man auch hiervon absehen, wie will man mit dem Auslande Schritt halten, wenn man alle neue Erfindungen und verbesserte Productionsmethoden, wie sie der fabrikmäßige Betrieb in Anwendung bringt, Grenzboten. III. t8L7. 33

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/265>, abgerufen am 16.06.2024.