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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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wollte den Untergang seines Werks nicht überleben: wie einen lebendigen
Todten ließ er sich in das Begräbnis) seiner Ahnen bringen und dort ein¬
schließen. Unter Tiber wurden mit der systematischen Ausübung deS Geistes¬
drucks auch die Bücherverbote häufiger. Cremutius Cordus angeklagt, weil
er Brutus gelobt und Casstus den letzten Römer genannt hatte, kam der sichern
Verurtheilung. durch freiwilligen Hungertod zuvor; die Verbrennung seiner
Bücher blieb nicht nur wie alle ähnlichen Maßregeln fruchtlos, sondern er¬
höhte ihren Ruhm und verstärkte die Nachfrage. Trotzdem fuhren die folgenden
Kaiser mit dieser Verfolgung freisinniger Bücher und Schriftsteller fort. Nur
die eigentliche Gelehrsamkeit und die Poesie konnte es vermeiden, verfängliche
Punkte zu berühren; daher wurde diese wie jene vorzugsweise cultivirt, zum
Theil auch von solchen, die nur der unerträglichen Wirklichkeit zu entfliehen
strebten.

August kam dieser Richtung aufs bereitwilligste entgegen. Schutz und
Förderung edler geistiger Bestrebungen (insofern sie sich innerhalb der gezoge¬
nen Schranken hielten) sollten tie gebildeten Classen mit der Monarchie aus¬
söhnen, wie die Massen durch materielle Vortheile und Schaugepränge für den
Verlust der Freiheit schadlos gehalten wurden. Die Pflege, die August und
die ihm zunächst stehenden Großen, namentlich Asinius Pollio, Messalla und
Mäcen der neu erblühenden Poesie ""gedeihen ließen, ist sprichwörtlich ge¬
worden. Ein hervorragendes Dichtertalent verschaffte nicht nur Zutritt in die
höchsten Kreise, sondern eröffnete auch sichere Aussicht auf eine glänzende
Laufbahn. Der Dichter NariuS ward von August für seine Tragödie Thyeft
mit einem fürstlichen Geschenk (von mehr als 70,000 Thalern) belohnt. Virgil
erhielt durch Pollios Empfehlung das ihm entrissene väterliche Erbgut wieder.
Horaz, der Sohn des Freigelassenen, ward der zärtlich geliebte Freund des
allmächtigen Mäcen, der den Kaiser in seinem Testamente bat, deS Dichters
wie seiner selbst zu gedenken. Seinem Gönner verdankte er eine sorgenfreie
Lage und seinen unsterblich gewordenen Landsitz im Sabinergebirge, und hätte
er nicht Augusts Anerbietungen verschmäht, der ihn zu seinem Secretär machen
wollte, so würde es ihm leicht gewesen sein, eine glänzende Stellung einzu¬
nehmen. Unter diesen Umständen konnte es wol poetische" Genies geben, die
(wie Horaz an August schreibt) sich einbildeten, sobald August nur von ihren
Gedichten vernehme, werde er ihnen alsbald ein Gehalt auswerfen und sie
veranlassen, ganz der Dichtkunst zu leben. Solche Begünstigung der Poesie
mußte nothwendig auch den Zudrang Unberufener herbeiführen. Horaz schil¬
dert einen Menschen, der sich durch gemeine Zudringlichkeit, Bestechung der
Dienerschaft und tgi. mehr bei Mäcen einzuführen hofft, aber freilich sich be¬
sonders dadurch zu empfehlen glaubt, daß niemand mehr Verse machen könne
als er oder in kürzerer Zeit. Wenn selbst so plumpe Subjecte durch Verse-


wollte den Untergang seines Werks nicht überleben: wie einen lebendigen
Todten ließ er sich in das Begräbnis) seiner Ahnen bringen und dort ein¬
schließen. Unter Tiber wurden mit der systematischen Ausübung deS Geistes¬
drucks auch die Bücherverbote häufiger. Cremutius Cordus angeklagt, weil
er Brutus gelobt und Casstus den letzten Römer genannt hatte, kam der sichern
Verurtheilung. durch freiwilligen Hungertod zuvor; die Verbrennung seiner
Bücher blieb nicht nur wie alle ähnlichen Maßregeln fruchtlos, sondern er¬
höhte ihren Ruhm und verstärkte die Nachfrage. Trotzdem fuhren die folgenden
Kaiser mit dieser Verfolgung freisinniger Bücher und Schriftsteller fort. Nur
die eigentliche Gelehrsamkeit und die Poesie konnte es vermeiden, verfängliche
Punkte zu berühren; daher wurde diese wie jene vorzugsweise cultivirt, zum
Theil auch von solchen, die nur der unerträglichen Wirklichkeit zu entfliehen
strebten.

August kam dieser Richtung aufs bereitwilligste entgegen. Schutz und
Förderung edler geistiger Bestrebungen (insofern sie sich innerhalb der gezoge¬
nen Schranken hielten) sollten tie gebildeten Classen mit der Monarchie aus¬
söhnen, wie die Massen durch materielle Vortheile und Schaugepränge für den
Verlust der Freiheit schadlos gehalten wurden. Die Pflege, die August und
die ihm zunächst stehenden Großen, namentlich Asinius Pollio, Messalla und
Mäcen der neu erblühenden Poesie «»gedeihen ließen, ist sprichwörtlich ge¬
worden. Ein hervorragendes Dichtertalent verschaffte nicht nur Zutritt in die
höchsten Kreise, sondern eröffnete auch sichere Aussicht auf eine glänzende
Laufbahn. Der Dichter NariuS ward von August für seine Tragödie Thyeft
mit einem fürstlichen Geschenk (von mehr als 70,000 Thalern) belohnt. Virgil
erhielt durch Pollios Empfehlung das ihm entrissene väterliche Erbgut wieder.
Horaz, der Sohn des Freigelassenen, ward der zärtlich geliebte Freund des
allmächtigen Mäcen, der den Kaiser in seinem Testamente bat, deS Dichters
wie seiner selbst zu gedenken. Seinem Gönner verdankte er eine sorgenfreie
Lage und seinen unsterblich gewordenen Landsitz im Sabinergebirge, und hätte
er nicht Augusts Anerbietungen verschmäht, der ihn zu seinem Secretär machen
wollte, so würde es ihm leicht gewesen sein, eine glänzende Stellung einzu¬
nehmen. Unter diesen Umständen konnte es wol poetische» Genies geben, die
(wie Horaz an August schreibt) sich einbildeten, sobald August nur von ihren
Gedichten vernehme, werde er ihnen alsbald ein Gehalt auswerfen und sie
veranlassen, ganz der Dichtkunst zu leben. Solche Begünstigung der Poesie
mußte nothwendig auch den Zudrang Unberufener herbeiführen. Horaz schil¬
dert einen Menschen, der sich durch gemeine Zudringlichkeit, Bestechung der
Dienerschaft und tgi. mehr bei Mäcen einzuführen hofft, aber freilich sich be¬
sonders dadurch zu empfehlen glaubt, daß niemand mehr Verse machen könne
als er oder in kürzerer Zeit. Wenn selbst so plumpe Subjecte durch Verse-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/14>, abgerufen am 21.05.2024.