Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.kam, mit den Verrückten zu rasen gezwungen sind, sondern die Eitelkeit der Von dem ungeheuern Einfluß, den diese allen Gebildeten gemeinsame Mit den nachhaltigen Wirkungen der modernen classischen Kunstpoesie und kam, mit den Verrückten zu rasen gezwungen sind, sondern die Eitelkeit der Von dem ungeheuern Einfluß, den diese allen Gebildeten gemeinsame Mit den nachhaltigen Wirkungen der modernen classischen Kunstpoesie und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0013" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104748"/> <p xml:id="ID_9" prev="#ID_8"> kam, mit den Verrückten zu rasen gezwungen sind, sondern die Eitelkeit der<lb/> Eltern.</p><lb/> <p xml:id="ID_10"> Von dem ungeheuern Einfluß, den diese allen Gebildeten gemeinsame<lb/> Erziehung auf die damalige Literatur Äbte, kann hier nicht die Rede sein;<lb/> sie war vorzugsweise der Grund daß, wie Bernhardt) sagt, die Poesie eine<lb/> rhetorische Färbung erhielt (man denke an Lucan), die Prosa eine poetische.<lb/> Nur das muß hier hervorgehoben werden, daß die Redeübungen der Nhe-<lb/> torenschüler sowol durch den Stoff als die BeHandlungsweise der Poesie sehr<lb/> nahe kamen, ja vielfach schon auf ihrer Grenze standen. Die freien Vor¬<lb/> träge des jungen Ovid (der sich in der Schule der Beredtsamkeit aus¬<lb/> zeichnete) beschreibt ein Ohrenzeuge als „Gedichte in Prosa". Das fortwäh¬<lb/> rende Umgehen mit poetischen Motiven und poetischem Ausdruck mußte für<lb/> empfängliche Geister eine unwiderstehliche Verführung zu dichterischen Versuchen<lb/> sein. Gewöhnt wie sie waren, sich in Phrasen zu berauschen, konnten sie schwer¬<lb/> lich unbefangen genug geblieben sein, um nicht Reminiscenzen, Angelerntes<lb/> und Anempfundcnes für ihr ursprüngliches Eigenthum zu halten. Und selbst<lb/> wenn sie sich in dieser Beziehung nicht täuschten, war das Bewußtsein der<lb/> erworbenen Fertigkeit zu verlockend, als daß man nicht auch die allgemeine<lb/> Mode hätte mitmachen sollen. Andererseits wirkte die rhetorische Erziehung<lb/> darauf hin, die Poesie als Mittel zur stylistischen Ausbildung zu betreiben,<lb/> uno sich mit dichterischen Versuchen zur Virtuosität in blühender und schwung¬<lb/> voller Prosa vorzubereiten. Sehr häufig war also diese Versmacherei nichts<lb/> weiter als eine Schulübung (wie z. B. bei Cicero), doch auch hier lag die<lb/> Gefahr nahe, sie für mehr zu halten, als sie war.</p><lb/> <p xml:id="ID_11" next="#ID_12"> Mit den nachhaltigen Wirkungen der modernen classischen Kunstpoesie und<lb/> dem Einfluß der rhetorischen Erziehung verbanden sich die politischen Zustände<lb/> der Monarchie, die Interessen und Neigungen der Regierung, der Höfe und<lb/> der Hoftreise, um den poetischen Dilettantismus zu fördern und zu verbreiten.<lb/> Der allgemeine Friede nach der Schlacht bei Antium und das Absterben deS<lb/> politischen Lebens seit Augusts Alleinherrschaft verschlossen die beiden Gebiete,<lb/> auf denen sich daS geistige Leben der Nation während so vieler Jahrhunderte<lb/> aufs reichste und kräftigste entfaltet hatte. Eine Masse von Talent, Kraft und<lb/> Regsamkeit, die durch diese Revolution aus ihrer natürlichen Bahn gedrängt<lb/> war, warf sich nun auf die Literatur. Aber selbst hier standen die Felder, die<lb/> in der Republik am glücklichsten - angebaut worden, nur theilweise offen: die<lb/> Redefreiheit war verkümmert, die Geschichtschreibung gefährlich, schon unter<lb/> der toleranten Regierung Augusts. Schon T. Labienus überschlug, als er<lb/> eine Geschichte der neuesten Zeit öffentlich vorlas, große Stücke mit den Wor¬<lb/> ten: „dies wird man »ach meinem Tode lesen." Er war der erste Historiker,<lb/> über dessen Bücher daS Urtheil der Verbrennung ausgesprochen worden, er</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0013]
kam, mit den Verrückten zu rasen gezwungen sind, sondern die Eitelkeit der
Eltern.
Von dem ungeheuern Einfluß, den diese allen Gebildeten gemeinsame
Erziehung auf die damalige Literatur Äbte, kann hier nicht die Rede sein;
sie war vorzugsweise der Grund daß, wie Bernhardt) sagt, die Poesie eine
rhetorische Färbung erhielt (man denke an Lucan), die Prosa eine poetische.
Nur das muß hier hervorgehoben werden, daß die Redeübungen der Nhe-
torenschüler sowol durch den Stoff als die BeHandlungsweise der Poesie sehr
nahe kamen, ja vielfach schon auf ihrer Grenze standen. Die freien Vor¬
träge des jungen Ovid (der sich in der Schule der Beredtsamkeit aus¬
zeichnete) beschreibt ein Ohrenzeuge als „Gedichte in Prosa". Das fortwäh¬
rende Umgehen mit poetischen Motiven und poetischem Ausdruck mußte für
empfängliche Geister eine unwiderstehliche Verführung zu dichterischen Versuchen
sein. Gewöhnt wie sie waren, sich in Phrasen zu berauschen, konnten sie schwer¬
lich unbefangen genug geblieben sein, um nicht Reminiscenzen, Angelerntes
und Anempfundcnes für ihr ursprüngliches Eigenthum zu halten. Und selbst
wenn sie sich in dieser Beziehung nicht täuschten, war das Bewußtsein der
erworbenen Fertigkeit zu verlockend, als daß man nicht auch die allgemeine
Mode hätte mitmachen sollen. Andererseits wirkte die rhetorische Erziehung
darauf hin, die Poesie als Mittel zur stylistischen Ausbildung zu betreiben,
uno sich mit dichterischen Versuchen zur Virtuosität in blühender und schwung¬
voller Prosa vorzubereiten. Sehr häufig war also diese Versmacherei nichts
weiter als eine Schulübung (wie z. B. bei Cicero), doch auch hier lag die
Gefahr nahe, sie für mehr zu halten, als sie war.
Mit den nachhaltigen Wirkungen der modernen classischen Kunstpoesie und
dem Einfluß der rhetorischen Erziehung verbanden sich die politischen Zustände
der Monarchie, die Interessen und Neigungen der Regierung, der Höfe und
der Hoftreise, um den poetischen Dilettantismus zu fördern und zu verbreiten.
Der allgemeine Friede nach der Schlacht bei Antium und das Absterben deS
politischen Lebens seit Augusts Alleinherrschaft verschlossen die beiden Gebiete,
auf denen sich daS geistige Leben der Nation während so vieler Jahrhunderte
aufs reichste und kräftigste entfaltet hatte. Eine Masse von Talent, Kraft und
Regsamkeit, die durch diese Revolution aus ihrer natürlichen Bahn gedrängt
war, warf sich nun auf die Literatur. Aber selbst hier standen die Felder, die
in der Republik am glücklichsten - angebaut worden, nur theilweise offen: die
Redefreiheit war verkümmert, die Geschichtschreibung gefährlich, schon unter
der toleranten Regierung Augusts. Schon T. Labienus überschlug, als er
eine Geschichte der neuesten Zeit öffentlich vorlas, große Stücke mit den Wor¬
ten: „dies wird man »ach meinem Tode lesen." Er war der erste Historiker,
über dessen Bücher daS Urtheil der Verbrennung ausgesprochen worden, er
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