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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Gedicht über den trojanischen Krieg vollendete er und machte den Plan zu
einem andern, das nicht weniger alö die ganze römische Geschichte umfassen
und vierhundert Gesänge haben sollte! Man sieht, es war darauf abgesehen,
Virgil, wo nicht Homer in Schatten zu stellen. Ein zufällig erhaltenes Frag¬
ment dieser neronischen Poesie gibt eine wol nicht unwillkommene Probe; doch
ist es nicht gelungen, die elegante Leichtigkeit des Originals zu erreichen:


Wenn er der Perser Gebiet durchirrt, dann schwindet der Tigris
Tief in gähnender Kluft: fvrtrauschend unter dem Boden,
Taucht der verlorene Strom erst auf, wo er nimmer gesucht wird.

Ein von Nero zum ersten Mal nach griechischem Muster gestifteter vierjäh¬
riger Wettkampf um den Preis in lateinischer Dichtung sollte, so versicher¬
ten seine Bewunderer, der Poesie einen neuen Ausschwung verleihn; in der
That nahmen die vornehmsten an der Bewerbung Theil, aber den Kranz
sprachen die Richter dem Kaiser zu. Ueberhaupt wollte er den Dichterruhm
monopolistren. Für die von ihm öffentlich im Theater vorgelesenen Gedichte
wurde eine goldne Schrift in dem Jupitertempel auf dem Capitol gestiftet und
Dankfeste an die Götter dafür beschlossen, jedes Talent, das ihn zu verdunkeln
drohte, ward geflissentlich unterdrückt. Der bedeutendste Dichter dieser Zeit, der
Spanier Lucan, anfangs von Nero selbst in seine nächste Umgebung gezogen,
erregte bald seine Eifersucht. Es kam zum offnen Bruch, Nero verließ einmal
in auffallender Weise eine Vorlesung des Dichters, und dieser machte seiner
beleidigten Empfindlichkeit leidenschaftlich Luft. Es kam so weit, daß er in
einem der Etablissements, die in dem weitläufigen Rom zur "sitzenden Erleich¬
terung des Publicums" angebracht waren, "bei einer lauten Stelle seines
Geschäfts einen Vers aus einem kaiserlichen Gedichte citirte: "Unter der Erd
ein Gewitter!" Voll Schreck stoben die Umsitzenden auseinander. So disponirt,
ließ sich der gekränkte Dichter in eine Verschwörung verwickeln, deren Entdeckung
ihn zum Selbstmord zwang. Dieser einzelne Fall zeigt schon, daß die schwüle
Atmosphäre unter dieser Negierung die gedeihliche Entwicklung der wahren
Poesie ebenso unmöglich machte als fteie geistige Regung überhaupt; um so
förderlicher war sie dem poetischen Dilettantismus. Es war gefährlich, auf
den Ruhm eines Dichters Anspruch zu machen, aber sehr rathsam, für viele
beinahe nothwendig, sich mit poetischen Versuchen sehen zu lassen, die nichts
prätendirten, als höchstens denen des Kaisers zu Folie zu dienen; wer jene
Zeit kennt, wird nicht zweifeln, daß auch in dieser Absicht massenweise gedichtet
wurde. Dies änderte sich völlig unter Vespasian, der mit seinem nüchternen,
prosaischen, haushälterischer Wesen der Literatur ganz fernstand, ihr dagegen
mehr Freiheit ließ und grade hervorragende Dichter begünstigte und freigebig
unterstützte. Titus hatte zu griechischer wie lateinischer Poesie ein leichtes
Talent und besang unter andern einen Kometen "in einem herrlichen Gedichte."


Gedicht über den trojanischen Krieg vollendete er und machte den Plan zu
einem andern, das nicht weniger alö die ganze römische Geschichte umfassen
und vierhundert Gesänge haben sollte! Man sieht, es war darauf abgesehen,
Virgil, wo nicht Homer in Schatten zu stellen. Ein zufällig erhaltenes Frag¬
ment dieser neronischen Poesie gibt eine wol nicht unwillkommene Probe; doch
ist es nicht gelungen, die elegante Leichtigkeit des Originals zu erreichen:


Wenn er der Perser Gebiet durchirrt, dann schwindet der Tigris
Tief in gähnender Kluft: fvrtrauschend unter dem Boden,
Taucht der verlorene Strom erst auf, wo er nimmer gesucht wird.

Ein von Nero zum ersten Mal nach griechischem Muster gestifteter vierjäh¬
riger Wettkampf um den Preis in lateinischer Dichtung sollte, so versicher¬
ten seine Bewunderer, der Poesie einen neuen Ausschwung verleihn; in der
That nahmen die vornehmsten an der Bewerbung Theil, aber den Kranz
sprachen die Richter dem Kaiser zu. Ueberhaupt wollte er den Dichterruhm
monopolistren. Für die von ihm öffentlich im Theater vorgelesenen Gedichte
wurde eine goldne Schrift in dem Jupitertempel auf dem Capitol gestiftet und
Dankfeste an die Götter dafür beschlossen, jedes Talent, das ihn zu verdunkeln
drohte, ward geflissentlich unterdrückt. Der bedeutendste Dichter dieser Zeit, der
Spanier Lucan, anfangs von Nero selbst in seine nächste Umgebung gezogen,
erregte bald seine Eifersucht. Es kam zum offnen Bruch, Nero verließ einmal
in auffallender Weise eine Vorlesung des Dichters, und dieser machte seiner
beleidigten Empfindlichkeit leidenschaftlich Luft. Es kam so weit, daß er in
einem der Etablissements, die in dem weitläufigen Rom zur „sitzenden Erleich¬
terung des Publicums" angebracht waren, „bei einer lauten Stelle seines
Geschäfts einen Vers aus einem kaiserlichen Gedichte citirte: „Unter der Erd
ein Gewitter!" Voll Schreck stoben die Umsitzenden auseinander. So disponirt,
ließ sich der gekränkte Dichter in eine Verschwörung verwickeln, deren Entdeckung
ihn zum Selbstmord zwang. Dieser einzelne Fall zeigt schon, daß die schwüle
Atmosphäre unter dieser Negierung die gedeihliche Entwicklung der wahren
Poesie ebenso unmöglich machte als fteie geistige Regung überhaupt; um so
förderlicher war sie dem poetischen Dilettantismus. Es war gefährlich, auf
den Ruhm eines Dichters Anspruch zu machen, aber sehr rathsam, für viele
beinahe nothwendig, sich mit poetischen Versuchen sehen zu lassen, die nichts
prätendirten, als höchstens denen des Kaisers zu Folie zu dienen; wer jene
Zeit kennt, wird nicht zweifeln, daß auch in dieser Absicht massenweise gedichtet
wurde. Dies änderte sich völlig unter Vespasian, der mit seinem nüchternen,
prosaischen, haushälterischer Wesen der Literatur ganz fernstand, ihr dagegen
mehr Freiheit ließ und grade hervorragende Dichter begünstigte und freigebig
unterstützte. Titus hatte zu griechischer wie lateinischer Poesie ein leichtes
Talent und besang unter andern einen Kometen „in einem herrlichen Gedichte."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/18>, abgerufen am 21.05.2024.