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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Unter Domitian wiederholten sich in mehr als einer Beziehung die literarischen
Zustände der neronischcn Zeit. Derselbe Geistesdruck, dieselbe geflissentliche
Unterdrückung jedes hervorragenden Talents, und dieselbe Prätenrion eine neue
Aera für die Poesie zu begründen. Ein neuer glänzender vierjähriger Wettkampf
in Poesie und Prosa sollte den neronischcn verdunkeln, die Sieger wurden auf
dem Capitol gekrönt, und dieser Stiftung verdankt das moderne Europa seine
Laureaten; daneben fand noch eine minder feierliche jährliche Preisbewerbung
statt. Nur auf eignen dichterischen Ruhm machte dieser zweite Nero keinen
Anspruch, was um so merkwürdiger ist, als er vor seinem Regierungsantritt
eine eiftige Beschäftigung mit Poesie fingirt hatte. Seine Hvslitcraten erklär¬
ten freilich auch seine Jugcndgedichte sür unübertrefflich; doch habe es den Göttern
zu gering geschienen, daß er nichts weiter sein sollte als der größte Dichter,
und deshalb haben sie ihn durch die Übertragung der Sorge für den Erdkreis
von diesen Beschäftigungen abgelenkt. Auch sein Nachfolger Nerva hatte ge¬
dichtet, (vermuthlich um unter Nero die allgemeine Mode mitzumachen); von den
spätern Kaisern erwähnen wir nur Hadrian, den allseitigsten Dilettanten, der
je auf dem römischen Throne gesessen hat, der selbst auf dem Sterbebette noch
Laune genug zu jenen bekannten Versen hatte, aus denen man (nach der
Aussage seines Biographen) den Durchschnittswerth seiner Poesien kennen
lernen kann:


Unstetes, zärtliches Seelchen du,
So lange des Leibes Gesellin und Gast,
Nun wanderst du fort in öde Nacht
Ohr' alle Hülle, schauernd vor Frost.
Vorbei ist Scherzen und Kosen nun!

Eine solche Reihe von mehr oder minder der Poesie beflissenen Höfen hat
wol in der Geschichte nicht ihres Gleichen. Es braucht nicht erst gesagt zu
werden, daß die hohen und höchsten Beispiele, die Protection und directe und
indirecte Belohnung keine wahren Dichter hervorbringen konnte, und zum Theil
wurde dies auch auch nicht einmal beabsichtigt, aber es liegt auf der Hand,
wie ungemein förderlich solche Zustände dem Dilettantismus sein mußten.
Dagegen vermögen wir uns vollkommen vorzustellen, welche Wirkungen die
Erschaffung einer neuen poetischen Sprache, einer Reihe vollendeter Dichtungen
und die Gewinnung mustergiltiger Formen auf ein Zeitalter üben mußten, das
größern Interessen abgestorben war und bei gänzlicher Unproductivität die seine
Empfänglichkeit der hohen Cultur besaß. Aehnliche Ursachen haben ja auch
bei uns einen wuchernden poetischen Dilettantismus hervorgetrieben. Auch
wir haben eine dichterische Blütenzeit ohne Gleichen gehabt, auch wir sind
durch sie erst mit einer poetischen Sprache beschenkt worden, auch bei uns haben
die Epigonen sich dieses ererbten kostbaren Besitzthums in unaufhörlichem Ge-


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Unter Domitian wiederholten sich in mehr als einer Beziehung die literarischen
Zustände der neronischcn Zeit. Derselbe Geistesdruck, dieselbe geflissentliche
Unterdrückung jedes hervorragenden Talents, und dieselbe Prätenrion eine neue
Aera für die Poesie zu begründen. Ein neuer glänzender vierjähriger Wettkampf
in Poesie und Prosa sollte den neronischcn verdunkeln, die Sieger wurden auf
dem Capitol gekrönt, und dieser Stiftung verdankt das moderne Europa seine
Laureaten; daneben fand noch eine minder feierliche jährliche Preisbewerbung
statt. Nur auf eignen dichterischen Ruhm machte dieser zweite Nero keinen
Anspruch, was um so merkwürdiger ist, als er vor seinem Regierungsantritt
eine eiftige Beschäftigung mit Poesie fingirt hatte. Seine Hvslitcraten erklär¬
ten freilich auch seine Jugcndgedichte sür unübertrefflich; doch habe es den Göttern
zu gering geschienen, daß er nichts weiter sein sollte als der größte Dichter,
und deshalb haben sie ihn durch die Übertragung der Sorge für den Erdkreis
von diesen Beschäftigungen abgelenkt. Auch sein Nachfolger Nerva hatte ge¬
dichtet, (vermuthlich um unter Nero die allgemeine Mode mitzumachen); von den
spätern Kaisern erwähnen wir nur Hadrian, den allseitigsten Dilettanten, der
je auf dem römischen Throne gesessen hat, der selbst auf dem Sterbebette noch
Laune genug zu jenen bekannten Versen hatte, aus denen man (nach der
Aussage seines Biographen) den Durchschnittswerth seiner Poesien kennen
lernen kann:


Unstetes, zärtliches Seelchen du,
So lange des Leibes Gesellin und Gast,
Nun wanderst du fort in öde Nacht
Ohr' alle Hülle, schauernd vor Frost.
Vorbei ist Scherzen und Kosen nun!

Eine solche Reihe von mehr oder minder der Poesie beflissenen Höfen hat
wol in der Geschichte nicht ihres Gleichen. Es braucht nicht erst gesagt zu
werden, daß die hohen und höchsten Beispiele, die Protection und directe und
indirecte Belohnung keine wahren Dichter hervorbringen konnte, und zum Theil
wurde dies auch auch nicht einmal beabsichtigt, aber es liegt auf der Hand,
wie ungemein förderlich solche Zustände dem Dilettantismus sein mußten.
Dagegen vermögen wir uns vollkommen vorzustellen, welche Wirkungen die
Erschaffung einer neuen poetischen Sprache, einer Reihe vollendeter Dichtungen
und die Gewinnung mustergiltiger Formen auf ein Zeitalter üben mußten, das
größern Interessen abgestorben war und bei gänzlicher Unproductivität die seine
Empfänglichkeit der hohen Cultur besaß. Aehnliche Ursachen haben ja auch
bei uns einen wuchernden poetischen Dilettantismus hervorgetrieben. Auch
wir haben eine dichterische Blütenzeit ohne Gleichen gehabt, auch wir sind
durch sie erst mit einer poetischen Sprache beschenkt worden, auch bei uns haben
die Epigonen sich dieses ererbten kostbaren Besitzthums in unaufhörlichem Ge-


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[0019] Unter Domitian wiederholten sich in mehr als einer Beziehung die literarischen Zustände der neronischcn Zeit. Derselbe Geistesdruck, dieselbe geflissentliche Unterdrückung jedes hervorragenden Talents, und dieselbe Prätenrion eine neue Aera für die Poesie zu begründen. Ein neuer glänzender vierjähriger Wettkampf in Poesie und Prosa sollte den neronischcn verdunkeln, die Sieger wurden auf dem Capitol gekrönt, und dieser Stiftung verdankt das moderne Europa seine Laureaten; daneben fand noch eine minder feierliche jährliche Preisbewerbung statt. Nur auf eignen dichterischen Ruhm machte dieser zweite Nero keinen Anspruch, was um so merkwürdiger ist, als er vor seinem Regierungsantritt eine eiftige Beschäftigung mit Poesie fingirt hatte. Seine Hvslitcraten erklär¬ ten freilich auch seine Jugcndgedichte sür unübertrefflich; doch habe es den Göttern zu gering geschienen, daß er nichts weiter sein sollte als der größte Dichter, und deshalb haben sie ihn durch die Übertragung der Sorge für den Erdkreis von diesen Beschäftigungen abgelenkt. Auch sein Nachfolger Nerva hatte ge¬ dichtet, (vermuthlich um unter Nero die allgemeine Mode mitzumachen); von den spätern Kaisern erwähnen wir nur Hadrian, den allseitigsten Dilettanten, der je auf dem römischen Throne gesessen hat, der selbst auf dem Sterbebette noch Laune genug zu jenen bekannten Versen hatte, aus denen man (nach der Aussage seines Biographen) den Durchschnittswerth seiner Poesien kennen lernen kann: Unstetes, zärtliches Seelchen du, So lange des Leibes Gesellin und Gast, Nun wanderst du fort in öde Nacht Ohr' alle Hülle, schauernd vor Frost. Vorbei ist Scherzen und Kosen nun! Eine solche Reihe von mehr oder minder der Poesie beflissenen Höfen hat wol in der Geschichte nicht ihres Gleichen. Es braucht nicht erst gesagt zu werden, daß die hohen und höchsten Beispiele, die Protection und directe und indirecte Belohnung keine wahren Dichter hervorbringen konnte, und zum Theil wurde dies auch auch nicht einmal beabsichtigt, aber es liegt auf der Hand, wie ungemein förderlich solche Zustände dem Dilettantismus sein mußten. Dagegen vermögen wir uns vollkommen vorzustellen, welche Wirkungen die Erschaffung einer neuen poetischen Sprache, einer Reihe vollendeter Dichtungen und die Gewinnung mustergiltiger Formen auf ein Zeitalter üben mußten, das größern Interessen abgestorben war und bei gänzlicher Unproductivität die seine Empfänglichkeit der hohen Cultur besaß. Aehnliche Ursachen haben ja auch bei uns einen wuchernden poetischen Dilettantismus hervorgetrieben. Auch wir haben eine dichterische Blütenzeit ohne Gleichen gehabt, auch wir sind durch sie erst mit einer poetischen Sprache beschenkt worden, auch bei uns haben die Epigonen sich dieses ererbten kostbaren Besitzthums in unaufhörlichem Ge- 2*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/19>, abgerufen am 21.05.2024.