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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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brauch und Mißbrauch zu versichern, das Empfangene unaufhörlich zu reprodu-
ciren sich geschäftig genug gezeigt. Auch wir kennen die Versuchung "einer gebil¬
deten Sprache, die für uns dichtet und denkt," und wie hätte sie damals dem
unbefangenen Beobachter entgehen sollen? "Viele," sagt Petron, "lassen sich von
ihren eignen Gedichten täuschen. Sobald einer einen Vers richtig zu Stand
gebracht und eine" einigermaßen zarten Gedanken in eine Periode gekleidet hat,
glaubt er schon auf den Helikon gestiegen zu sein." Von allen uns erhaltenen
Dichtern der geschilderten Periode, (und daß dies die besten waren, wissen wir)
hat kaum einer wahren Beruf zur- Poesie gehabt, so gut wie alle sind Dilettan¬
ten (im höchsten Sinn des Worts), freilich zum Theil sehr begabt und sämmt¬
lich sehr gebildet. Die Poesie aber, die von der gebildeten Gesellschaft in solche,
Allgemeinheit getrieben wurde, ist sicher noch bei weitem äußerlicher und
weniger original gewesen. Uebrigens darf man nichl vergessen, daß da¬
mals alle hier angedeuteten Erscheinungen viel allgemeiner und inten¬
siver auftraten als gegenwärtig, denn erstens wirkten damals so manche
Ursachen mit, die bei uns wegfallen, und zweitens concentrirte sich das
literarische Treiben hauptsächlich in Rom. Schon Horaz sah "Gelehrte und
Ungelehrte allenthalben Gedichte schreiben" und "Söhne und strenge Väter die
Schläfe mit Laub bekränzen und Verse dictiren;" und diese Richtung der gebil¬
deten Welt auf die Poesie war in starkem Zunehmen begriffen; unter Nero und
Domitian wird sie erst den höchsten Grad erreicht haben. Die reichen Patrone
der Literatur, denen arme Poeten Dedicationen anboten, machten selbst Verse
und gestanden Homer keinen andern Vorrang als den des Alters zu. Juve-
nal ergriff die Feder, um sich für die zahllosen Gedichte zu rächen, die er hatte
anhören müssen, und weil es nutzlose Großmut!) war, das Papier zu sparen,
das dann doch ein anderer verdorben hätte. Der Dichter mit seinem Manu¬
skript wurde zum schrecklichsten der Schrecken, mehr gefürchtet als die Natter,
der Skorpion oder die Tigerin, der die Jungen geraubt sind.

In dieser Dilettantenpoesie spielten natürlich kleine Gelegenheitsgedichte,
Epigramme und ähnliche Bagatellen eine Hauptrolle; das Impromptu Trimal-
chios läßt vermutlHn, daß es Mode war, dergleichen zu crtemporiren; aber
auch große Epopöen wurden massenweise fabricirt. Was die damaligen Dilet¬
tanten grade zum Epos zog, ist nicht schwer einzusehn. Die Masse des poeti¬
schen Stoffs, der besonders in der griechischen Mythologie lag, schien den
Mangel an Erfindung und Gestaltungskraft zu compensüen, dann bot diese
Gattung den weitesten Spielraum zur Entwicklung aller Vorzüge, die auch ein
Dilettant sich aneignen konnte, als Schönheit der Sprache und Tadellosigkeit
des Versbaus, rhetorisches Pathos, und vor allem lebhafte Schilderung. Schon
in Horazens Zeit wurden Naturschilderungen angewendet, um als "Purpur¬
lappen" manche Blöße in großen Gedichten zu verdecken: "ein Hain und


brauch und Mißbrauch zu versichern, das Empfangene unaufhörlich zu reprodu-
ciren sich geschäftig genug gezeigt. Auch wir kennen die Versuchung „einer gebil¬
deten Sprache, die für uns dichtet und denkt," und wie hätte sie damals dem
unbefangenen Beobachter entgehen sollen? „Viele," sagt Petron, „lassen sich von
ihren eignen Gedichten täuschen. Sobald einer einen Vers richtig zu Stand
gebracht und eine» einigermaßen zarten Gedanken in eine Periode gekleidet hat,
glaubt er schon auf den Helikon gestiegen zu sein." Von allen uns erhaltenen
Dichtern der geschilderten Periode, (und daß dies die besten waren, wissen wir)
hat kaum einer wahren Beruf zur- Poesie gehabt, so gut wie alle sind Dilettan¬
ten (im höchsten Sinn des Worts), freilich zum Theil sehr begabt und sämmt¬
lich sehr gebildet. Die Poesie aber, die von der gebildeten Gesellschaft in solche,
Allgemeinheit getrieben wurde, ist sicher noch bei weitem äußerlicher und
weniger original gewesen. Uebrigens darf man nichl vergessen, daß da¬
mals alle hier angedeuteten Erscheinungen viel allgemeiner und inten¬
siver auftraten als gegenwärtig, denn erstens wirkten damals so manche
Ursachen mit, die bei uns wegfallen, und zweitens concentrirte sich das
literarische Treiben hauptsächlich in Rom. Schon Horaz sah „Gelehrte und
Ungelehrte allenthalben Gedichte schreiben" und „Söhne und strenge Väter die
Schläfe mit Laub bekränzen und Verse dictiren;" und diese Richtung der gebil¬
deten Welt auf die Poesie war in starkem Zunehmen begriffen; unter Nero und
Domitian wird sie erst den höchsten Grad erreicht haben. Die reichen Patrone
der Literatur, denen arme Poeten Dedicationen anboten, machten selbst Verse
und gestanden Homer keinen andern Vorrang als den des Alters zu. Juve-
nal ergriff die Feder, um sich für die zahllosen Gedichte zu rächen, die er hatte
anhören müssen, und weil es nutzlose Großmut!) war, das Papier zu sparen,
das dann doch ein anderer verdorben hätte. Der Dichter mit seinem Manu¬
skript wurde zum schrecklichsten der Schrecken, mehr gefürchtet als die Natter,
der Skorpion oder die Tigerin, der die Jungen geraubt sind.

In dieser Dilettantenpoesie spielten natürlich kleine Gelegenheitsgedichte,
Epigramme und ähnliche Bagatellen eine Hauptrolle; das Impromptu Trimal-
chios läßt vermutlHn, daß es Mode war, dergleichen zu crtemporiren; aber
auch große Epopöen wurden massenweise fabricirt. Was die damaligen Dilet¬
tanten grade zum Epos zog, ist nicht schwer einzusehn. Die Masse des poeti¬
schen Stoffs, der besonders in der griechischen Mythologie lag, schien den
Mangel an Erfindung und Gestaltungskraft zu compensüen, dann bot diese
Gattung den weitesten Spielraum zur Entwicklung aller Vorzüge, die auch ein
Dilettant sich aneignen konnte, als Schönheit der Sprache und Tadellosigkeit
des Versbaus, rhetorisches Pathos, und vor allem lebhafte Schilderung. Schon
in Horazens Zeit wurden Naturschilderungen angewendet, um als „Purpur¬
lappen" manche Blöße in großen Gedichten zu verdecken: „ein Hain und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/20>, abgerufen am 21.05.2024.