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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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flehte hatte. Ein Drache, ein Tiger und ein Hahn traten bei der einen Vi¬
sion in sein Zimmer, eine Menge Menschen folgten mit Musik, man trug
ihn in einer Sänfte nach einem Strome, wo eine alte Frau ihn abwusch
(Taufe). Dann führte man ihn in einen Saal, in dem er eine Versammlung
von Greisen, worunter mehre der alten Weisen waren, antraf, und wo man
ihm die Brust öffnete, um das Herz herauszunehmen und ein anderes hinein¬
zusetzen. In eine andere, schönere Halle gebracht, sah er auf dem obersten
Platze einen alten Mann in schwarzer Kleidung und mit goldenem Barte, der
ihm mit Thränen klagte, daß die Menschen, die er geschaffen und erhalte, ihn
nicht ehrten, sondern Teufel anbeteten, und von dem er dann mit der Er¬
mahnung, diese Teufel auszurotten, ein Schwert, ein Siegel und eine gelbe
Frucht empfing. Hung sin Tstuen begann hierauf die Anwesenden zu er¬
nähren, von ihrer Pflichtverletzung abzulassen, fand jedoch nur bei Einigen
Anklang. Der alte Mann aber bezeugte ihm sein Wohlgefallen, hieß ihn
muthig ans Werk gehen und verhieß ihm seinen Beistand. In einer andern
Vision begegnete er einem Mann von mittlerem Alter, den er seinen ältern
Bruder nannte (eine Erinnerung an Christus, wie der Greis mit dem Gott¬
hard eine Erinnerung an den Gott jener Tractate war) und mit dem er Dä¬
monen aufsuchte und erschlug. Wieder in andern Gesichten sprach Hung sin
Thinen davon, daß er zum Kaiser von China bestimmt sei. Nach seiner Ge¬
nesung war er wie umgewandelt, sein Benehmen freundlich, aber zugleich
würdevoll, sein Geist klarer, ja selbst an Grö^e und Leibesstärke soll er zu¬
genommen haben. Indeß scheint er in dieser Zeit auf jene Vistonen noch kein
besonderes Gewicht gelegt und ebensowenig jene christlichen Schriften, die er
bis dahin nur oberflächlich angesehen, eines ernsteren Studiums gewürdigt zu
haben. Veranlassung zu einer fleißigerem Lectüre derselben gab ihm vermuth¬
lich erst der Krieg mit England, der die Blicke aller Chinesen auf die bis dahin
wenig beachteten "Barbaren" lenkte. Als er mit seinem Freunde Li jene Trac¬
tate jetzt sorgfältiger prüfte, fand er in ihnen den Schlüssel zu den Bildern,
die er in den Verzückungen seiner Krankheit geschaut. Er wußte jetzt, daß er
Gott gesehen, daß er mit Christus verkehrt, daß er zur Bekehrung seines Vol¬
kes erwählt sei. Die beiden Freunde spendeten sich sofort gegenseitig die Taufe
und begannen hierauf unverzüglich, auch andern den Weg zum Himmel, den
sie gefunden, zu weisen.

Zunächst machte der neue Prophet nur wenige Proselyten und zwar nur
unter den Mitgliedern seiner Familie und unter den Schullehrern der Gegend.
Unter letzteren aber war Fung Nun San, der sich bald als der eifrigste
und geschickteste Verbreiter seiner Lehre erweisen sollte. Dagegen verließen ihn,
als er nicht blos den Götzendienst abschaffte, sondern auch die Tafel mit den
Geboten des Konfutse aus dem Schulzimmer entfernte, alle seine Schüler. Er


flehte hatte. Ein Drache, ein Tiger und ein Hahn traten bei der einen Vi¬
sion in sein Zimmer, eine Menge Menschen folgten mit Musik, man trug
ihn in einer Sänfte nach einem Strome, wo eine alte Frau ihn abwusch
(Taufe). Dann führte man ihn in einen Saal, in dem er eine Versammlung
von Greisen, worunter mehre der alten Weisen waren, antraf, und wo man
ihm die Brust öffnete, um das Herz herauszunehmen und ein anderes hinein¬
zusetzen. In eine andere, schönere Halle gebracht, sah er auf dem obersten
Platze einen alten Mann in schwarzer Kleidung und mit goldenem Barte, der
ihm mit Thränen klagte, daß die Menschen, die er geschaffen und erhalte, ihn
nicht ehrten, sondern Teufel anbeteten, und von dem er dann mit der Er¬
mahnung, diese Teufel auszurotten, ein Schwert, ein Siegel und eine gelbe
Frucht empfing. Hung sin Tstuen begann hierauf die Anwesenden zu er¬
nähren, von ihrer Pflichtverletzung abzulassen, fand jedoch nur bei Einigen
Anklang. Der alte Mann aber bezeugte ihm sein Wohlgefallen, hieß ihn
muthig ans Werk gehen und verhieß ihm seinen Beistand. In einer andern
Vision begegnete er einem Mann von mittlerem Alter, den er seinen ältern
Bruder nannte (eine Erinnerung an Christus, wie der Greis mit dem Gott¬
hard eine Erinnerung an den Gott jener Tractate war) und mit dem er Dä¬
monen aufsuchte und erschlug. Wieder in andern Gesichten sprach Hung sin
Thinen davon, daß er zum Kaiser von China bestimmt sei. Nach seiner Ge¬
nesung war er wie umgewandelt, sein Benehmen freundlich, aber zugleich
würdevoll, sein Geist klarer, ja selbst an Grö^e und Leibesstärke soll er zu¬
genommen haben. Indeß scheint er in dieser Zeit auf jene Vistonen noch kein
besonderes Gewicht gelegt und ebensowenig jene christlichen Schriften, die er
bis dahin nur oberflächlich angesehen, eines ernsteren Studiums gewürdigt zu
haben. Veranlassung zu einer fleißigerem Lectüre derselben gab ihm vermuth¬
lich erst der Krieg mit England, der die Blicke aller Chinesen auf die bis dahin
wenig beachteten „Barbaren" lenkte. Als er mit seinem Freunde Li jene Trac¬
tate jetzt sorgfältiger prüfte, fand er in ihnen den Schlüssel zu den Bildern,
die er in den Verzückungen seiner Krankheit geschaut. Er wußte jetzt, daß er
Gott gesehen, daß er mit Christus verkehrt, daß er zur Bekehrung seines Vol¬
kes erwählt sei. Die beiden Freunde spendeten sich sofort gegenseitig die Taufe
und begannen hierauf unverzüglich, auch andern den Weg zum Himmel, den
sie gefunden, zu weisen.

Zunächst machte der neue Prophet nur wenige Proselyten und zwar nur
unter den Mitgliedern seiner Familie und unter den Schullehrern der Gegend.
Unter letzteren aber war Fung Nun San, der sich bald als der eifrigste
und geschickteste Verbreiter seiner Lehre erweisen sollte. Dagegen verließen ihn,
als er nicht blos den Götzendienst abschaffte, sondern auch die Tafel mit den
Geboten des Konfutse aus dem Schulzimmer entfernte, alle seine Schüler. Er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/222>, abgerufen am 21.05.2024.