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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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wie nirgend ist der Ort, zu beherzigen, daß Erbauen leichter ist als Erhalten,
und Zerstören leichter als Aufrichten. Der Wanderer muß unwillkürlich seinen
Schritt hemmen, um die Werke zu bewundern, die der menschliche Geist und
Wille ins Leben rufen, aber auch schaudern vor dem Verwüstungsgreuel, den
menschlicher Fanatismus anrichten kann. Gewieher ist von Delhi aller Glanz
und alle Pracht, die ihm der energische Wille und das Beispiel des größten
seiner Gründer verlieh; Barbaren und Nichtbarbaren haben das Ihrige gethan,
dem stolzen Reich seine Krone zu rauben.

Von der antiken Hinduresidenz, dem Jndraprastha, sieht man jetzt nichts
mehr, als über weite Flächen zerstreute Schutthügel. Auch aus der Zeit der
folgenden Dynastien sind wenige Ruinen übrig geblieben; aber der Glanz
Delhis zur Zeit der Baburidenherrschaft ist noch in einigen schönen, mehr
oder minder wohlerhaltenen Bauresten zu erkennen. Noch steht die von Schah
Jehan errichtete, anderthalb Meilen lange, dreißig Fuß hohe und drei bis
fünf Fuß dicke Stadtmauer mit dem zwanzig Fuß breiten Graben und den
sieben kolossalen Prachtthoren, nach den sieben Hauptstädten Delhi, Lahore,
Adjmir, Turkman, Mohur, Kabul und Kaschmir benannt und von den Eng¬
ländern noch mit Bastionen von europäischer Construction versehen. Noch
steht am Nordende der Stadt der große, eine halbe Stunde im Umfang hal¬
tende Nesidenzpalast Jehanabad, den Kaiser Jehan sich erbaute, weit größer
als selbst der Kreml in Moskau, mit dem berühmten Audienzsaal, auf drei
Seiten mit prachtvollen, vierzig Fuß hohen Mauern aus rothen Sandstein¬
quadern un" rings von einem tiefen Wassergraben umgeben; noch erhebt sich
in der Mitte der heutigen Stadt die von demselben Kaiser erbaute, großartige,
mit prächtigen Verzierungen bedeckte, zweihundert sechzig Fuß lange Djuma-
oder Aamunamoschee (auch Barra Muödjid, das heißt große Moschee genannt),
die größte unter den vierzig Moscheen Delhis, mit ihren beiden hundert
dreißig Fuß hohen Minarets; noch endlich ragt, mitten unter den Ruinen
von Alldelhi der von Kutab ud Din und dessen Sohn (-1193--1220) errich¬
tete Kutab Minar, die höchste Einige der Erde, ein kannelirter Schaft von
rothem Sandstein und weißem Marmor, mit Koransprücheu bedeckt, unten
acht und fünfzig Fuß im Durchmesser haltend, und in vier Stockwerken, von
kunstvoll durchbrochenen Galerien.^ eingefaßt, zur. Höhe von zweihundert acht
und vierzig Fuß ansteigend. Auf dem obersten Absatz trägt der Kutab Minar
einen kleinen, auf acht Säulen ruhenden Dom, zu dem man auf einer Wen¬
deltreppe .von dreihundert siebenundachtzig Stufen hinaufgelangt, um oben
die herrlichste Aussicht zu genießen, ringsum über die ruinenbesaete, vom
Djamnastrom durchschlängelte Wüste, bis hin im Süden zu den weißen und
vergoldeten Moscheen und Minarets, welche aus den grünen Gärten und


wie nirgend ist der Ort, zu beherzigen, daß Erbauen leichter ist als Erhalten,
und Zerstören leichter als Aufrichten. Der Wanderer muß unwillkürlich seinen
Schritt hemmen, um die Werke zu bewundern, die der menschliche Geist und
Wille ins Leben rufen, aber auch schaudern vor dem Verwüstungsgreuel, den
menschlicher Fanatismus anrichten kann. Gewieher ist von Delhi aller Glanz
und alle Pracht, die ihm der energische Wille und das Beispiel des größten
seiner Gründer verlieh; Barbaren und Nichtbarbaren haben das Ihrige gethan,
dem stolzen Reich seine Krone zu rauben.

Von der antiken Hinduresidenz, dem Jndraprastha, sieht man jetzt nichts
mehr, als über weite Flächen zerstreute Schutthügel. Auch aus der Zeit der
folgenden Dynastien sind wenige Ruinen übrig geblieben; aber der Glanz
Delhis zur Zeit der Baburidenherrschaft ist noch in einigen schönen, mehr
oder minder wohlerhaltenen Bauresten zu erkennen. Noch steht die von Schah
Jehan errichtete, anderthalb Meilen lange, dreißig Fuß hohe und drei bis
fünf Fuß dicke Stadtmauer mit dem zwanzig Fuß breiten Graben und den
sieben kolossalen Prachtthoren, nach den sieben Hauptstädten Delhi, Lahore,
Adjmir, Turkman, Mohur, Kabul und Kaschmir benannt und von den Eng¬
ländern noch mit Bastionen von europäischer Construction versehen. Noch
steht am Nordende der Stadt der große, eine halbe Stunde im Umfang hal¬
tende Nesidenzpalast Jehanabad, den Kaiser Jehan sich erbaute, weit größer
als selbst der Kreml in Moskau, mit dem berühmten Audienzsaal, auf drei
Seiten mit prachtvollen, vierzig Fuß hohen Mauern aus rothen Sandstein¬
quadern un» rings von einem tiefen Wassergraben umgeben; noch erhebt sich
in der Mitte der heutigen Stadt die von demselben Kaiser erbaute, großartige,
mit prächtigen Verzierungen bedeckte, zweihundert sechzig Fuß lange Djuma-
oder Aamunamoschee (auch Barra Muödjid, das heißt große Moschee genannt),
die größte unter den vierzig Moscheen Delhis, mit ihren beiden hundert
dreißig Fuß hohen Minarets; noch endlich ragt, mitten unter den Ruinen
von Alldelhi der von Kutab ud Din und dessen Sohn (-1193—1220) errich¬
tete Kutab Minar, die höchste Einige der Erde, ein kannelirter Schaft von
rothem Sandstein und weißem Marmor, mit Koransprücheu bedeckt, unten
acht und fünfzig Fuß im Durchmesser haltend, und in vier Stockwerken, von
kunstvoll durchbrochenen Galerien.^ eingefaßt, zur. Höhe von zweihundert acht
und vierzig Fuß ansteigend. Auf dem obersten Absatz trägt der Kutab Minar
einen kleinen, auf acht Säulen ruhenden Dom, zu dem man auf einer Wen¬
deltreppe .von dreihundert siebenundachtzig Stufen hinaufgelangt, um oben
die herrlichste Aussicht zu genießen, ringsum über die ruinenbesaete, vom
Djamnastrom durchschlängelte Wüste, bis hin im Süden zu den weißen und
vergoldeten Moscheen und Minarets, welche aus den grünen Gärten und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/38>, abgerufen am 21.05.2024.