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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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zusammenliefen, war in seinen Hauptlinien vollendet. Durch einen regelmäßi¬
gen Courierdienst, den August eingeführt hatte, gelangten Nachrichten in weni¬
gen Tagen aus der Hauptstadt in die entferntesten Provinzen. In Sevilla
wie in Jerusalem, in den Grenzfestungen und Standlagern Britanniens wie
Algeriens war die Kunde bedeutender politischer Ereignisse weit eher durch den
Staatsanzeiger verbreitet, als sie durch Privatcorrespondenzen und mündliche
Mittheilungen befördert werden konnte. Als Thrasea, der Führer der Oppo¬
sition im Senat unter Nero , sich von den Verhandlungen ganz zurückgezogen
hatte, um nicht an schamlosen und servilen Beschlüssen Theil nehmen zu müssen:
da, sagt Tacitus, wurde in den Provinzen und bei den Heeren der römische
Staatsanzeiger mit verdoppeltem Eifer gelesen, um zu erfahren, was Thrasea
nicht gethan habe d. h. um zu erfahren, welche Haltung der Senat nach
seiner Entfernung beobachten werde. Es versteht sich von selbst, daß die Re¬
gierungen ein Organ, durch daS man auf die Stimmung der Provinzen einen
so bedeutenden Einfluß üben konnte, ausschließlich in ihrem Interesse benutzten.

Von welcher Art die politischen Nachrichten im Staatsanzeiger waren,
das sehen wir aus einigen Proben bei den Geschichtschreibern der Kaiserzeit.
In der Biographie deS Kaiser Alexander Severus steht ein seitenlanger Be¬
richt aus der Zeitung vom 6. März 222 nach Christus, der ohne Zweifel
wörtlich wiedergegeben ist. Er betrifft die Senatsverhandlungen dieses Tages
über die dem jungen Monarchen zu erweisenden Ehren, die in seiner Gegen¬
wart geführt werden. Ihn in seiner vollen Ausdehnung mitzutheilen, würde
ebenso unnütz als langweilig sein. Einige charakteristische Stellen reichen hin,
um von dem Ganzen einen Begriff zu geben. Mit folgendem Zuruf wurde
der Kaiser empfangen: "Tugendhafter Augustus, mögen die Götter dich schü¬
tzen'. Kaiser Alexander, mögen die Götter dich schützen! Die Götter haben
dich uns gegeben, mögen sie dich erhalten! Die Götter haben dich aus den
Händen eines Scheusals (der vorige Kaiser, Heliogabal ist gemeint) gerettet,
sie mögen dir langes Leben verleihen;" und so ergeht sich der Senat noch
durch viele Zeilen abwechselnd in Verwünschungen des früheren und in Ge¬
beten für den jetzigen Monarchen. Nachdem der Kaiser hierauf seinen Dank
ausgesprochen hatte, wurde er mit neuen Zurufen beschworen, den Namen
Antoninus anzunehmen, der durch eine Reihe der besten Regenten, die ihn ge¬
führt hatten, ehrwürdig geworden, zuletzt aber durch Heliogabal entheiligt war.
Von diesen Acclamationen mögen hier nur einige wenige folgen: "Frommer
Antoninus, die Götter mögen dich schützen! wir bitten, daß du den Namen
Antoninus annehmen mögest! Gewähre den besten Kaisern, daß du Antoninus
genannt werdest! reinige ihn, den jener entweiht hat! u. s. w. Den Tempel der
Antonine weihe ein Antoninus ein! Die Parther und Perser besiege ein An-
toninus; den heiligen Namen empfange ein Geheiligter! u. s. w." Nun folgt


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zusammenliefen, war in seinen Hauptlinien vollendet. Durch einen regelmäßi¬
gen Courierdienst, den August eingeführt hatte, gelangten Nachrichten in weni¬
gen Tagen aus der Hauptstadt in die entferntesten Provinzen. In Sevilla
wie in Jerusalem, in den Grenzfestungen und Standlagern Britanniens wie
Algeriens war die Kunde bedeutender politischer Ereignisse weit eher durch den
Staatsanzeiger verbreitet, als sie durch Privatcorrespondenzen und mündliche
Mittheilungen befördert werden konnte. Als Thrasea, der Führer der Oppo¬
sition im Senat unter Nero , sich von den Verhandlungen ganz zurückgezogen
hatte, um nicht an schamlosen und servilen Beschlüssen Theil nehmen zu müssen:
da, sagt Tacitus, wurde in den Provinzen und bei den Heeren der römische
Staatsanzeiger mit verdoppeltem Eifer gelesen, um zu erfahren, was Thrasea
nicht gethan habe d. h. um zu erfahren, welche Haltung der Senat nach
seiner Entfernung beobachten werde. Es versteht sich von selbst, daß die Re¬
gierungen ein Organ, durch daS man auf die Stimmung der Provinzen einen
so bedeutenden Einfluß üben konnte, ausschließlich in ihrem Interesse benutzten.

Von welcher Art die politischen Nachrichten im Staatsanzeiger waren,
das sehen wir aus einigen Proben bei den Geschichtschreibern der Kaiserzeit.
In der Biographie deS Kaiser Alexander Severus steht ein seitenlanger Be¬
richt aus der Zeitung vom 6. März 222 nach Christus, der ohne Zweifel
wörtlich wiedergegeben ist. Er betrifft die Senatsverhandlungen dieses Tages
über die dem jungen Monarchen zu erweisenden Ehren, die in seiner Gegen¬
wart geführt werden. Ihn in seiner vollen Ausdehnung mitzutheilen, würde
ebenso unnütz als langweilig sein. Einige charakteristische Stellen reichen hin,
um von dem Ganzen einen Begriff zu geben. Mit folgendem Zuruf wurde
der Kaiser empfangen: „Tugendhafter Augustus, mögen die Götter dich schü¬
tzen'. Kaiser Alexander, mögen die Götter dich schützen! Die Götter haben
dich uns gegeben, mögen sie dich erhalten! Die Götter haben dich aus den
Händen eines Scheusals (der vorige Kaiser, Heliogabal ist gemeint) gerettet,
sie mögen dir langes Leben verleihen;" und so ergeht sich der Senat noch
durch viele Zeilen abwechselnd in Verwünschungen des früheren und in Ge¬
beten für den jetzigen Monarchen. Nachdem der Kaiser hierauf seinen Dank
ausgesprochen hatte, wurde er mit neuen Zurufen beschworen, den Namen
Antoninus anzunehmen, der durch eine Reihe der besten Regenten, die ihn ge¬
führt hatten, ehrwürdig geworden, zuletzt aber durch Heliogabal entheiligt war.
Von diesen Acclamationen mögen hier nur einige wenige folgen: „Frommer
Antoninus, die Götter mögen dich schützen! wir bitten, daß du den Namen
Antoninus annehmen mögest! Gewähre den besten Kaisern, daß du Antoninus
genannt werdest! reinige ihn, den jener entweiht hat! u. s. w. Den Tempel der
Antonine weihe ein Antoninus ein! Die Parther und Perser besiege ein An-
toninus; den heiligen Namen empfange ein Geheiligter! u. s. w." Nun folgt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/59>, abgerufen am 03.06.2024.