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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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blieben war und dessen Erledigung das erstaunte 19. Jahrhundert in seine Anna¬
len verzcichen mußte. In Gaöta kam dem Flüchtlinge, so versichert Dr. Cullen,
der Gedanke, Marias Zorn sei nur zu besänftigen, wenn endlich ihre bestrittne
Ursprungsgöttlichkeit festgestellt werde. So wars denn um alle Widerreden
zu Gunsten der Erbsünde geschehen. Oberhalb des päpstlichen Bildes erblickte
man dasjenige des Messias. Da die Jesuiten ihren Namen auf Jesus zu¬
rückführen, haben sie in ihren Kirchen noch häufig das Bild deS Stifters
unsrer Religion, während in ihren Predigten mehr die Kirchenväter zu Worte
kommen. Marienbilder haben in andern Gemeinden lange das Uebergewicht.

Der ganze Mariencultus mit seinen süßen Mysterien ist dem italieni¬
schen Katholicismus entsprechender. Christi Wort in seiner Gradheit paßt auch
in der That für so Manches nicht.

Nachdem daS Orchester seine Pflicht gethan hatte, begannen die Vorträge
der Schüler. Blumenbach hätte, da er sich hauptsächlich durch die Form der
Schädel leiten ließ, seine fünf Menschenracen an den kurz geschornen Häup¬
tern mit Muße durchmustern können. Die Einförmigkeit der schwarzen, mit
rothen Liezen besetzten Kleidung täuschte nur auf Augenblicke über die Mannig¬
faltigkeit des hier gebotenen Racenmaterials.

Ein Hebräer machte den Anfang, nachdem soeben die letzten Töne der
rosstnischen diebischen Elster verhallt waren. Er sprach in kurzen Absätzen
weinerlichen Tons und hatte große Mühe, in seinem hebräischen Bortrage mit
den vielen Zischlauten fertig zu werden.

"Stille herrscht", sagte er etwa, indem er die von den Weisen vernommene
Engelsstimme reden ließ, "Alles schweigt. Die Hirten lösen einander ab.
Weiser! Höre mich und sei klaren Verstandes! Dort liegt Er, der Starke, der
Unaussprechliche, der Antike! In dem Hüttenwinkel! So ruht im Ocean
die kostbare Perle, so blühen die Rose und die Lilie im einsamen Felde, so
wächst in der öden Wüste der Myrrhenbaum, der Spender heiliger Wohl¬
gerüche."

Als der Hebräer geschlossen hatte, trat ein Chaldäer an seine Stelle. Giu¬
seppe David aus' Mossul nannte ihn das Programm. Er war ein bärtiger
Jüngling. In einiger Entfernung hätte man, die vielen Kehl- und Gaumen¬
laute abgerechnet, einen Priken zu hören geglaubt. Seine Worte sollten dem
Engclsgruß als Antwort dienen.

"Ach! die Stimme ist nicht mehr zu hören. Wie tönt die Rede in mir
wieder! Was verschwindest Du? die weisen Chaldäer, die deS Königs Träume
nicht zu deuten wußten, kannten die von dir uns enthüllten Geheimnisse nicht.
Eingebildeter Weisheit voll folgten sie dennoch stumm den hochmüthigen Monar¬
chen Babylons. Das Wort ist Knecht geworden -- ihnen wars noch nicht ge¬
offenbart."


blieben war und dessen Erledigung das erstaunte 19. Jahrhundert in seine Anna¬
len verzcichen mußte. In Gaöta kam dem Flüchtlinge, so versichert Dr. Cullen,
der Gedanke, Marias Zorn sei nur zu besänftigen, wenn endlich ihre bestrittne
Ursprungsgöttlichkeit festgestellt werde. So wars denn um alle Widerreden
zu Gunsten der Erbsünde geschehen. Oberhalb des päpstlichen Bildes erblickte
man dasjenige des Messias. Da die Jesuiten ihren Namen auf Jesus zu¬
rückführen, haben sie in ihren Kirchen noch häufig das Bild deS Stifters
unsrer Religion, während in ihren Predigten mehr die Kirchenväter zu Worte
kommen. Marienbilder haben in andern Gemeinden lange das Uebergewicht.

Der ganze Mariencultus mit seinen süßen Mysterien ist dem italieni¬
schen Katholicismus entsprechender. Christi Wort in seiner Gradheit paßt auch
in der That für so Manches nicht.

Nachdem daS Orchester seine Pflicht gethan hatte, begannen die Vorträge
der Schüler. Blumenbach hätte, da er sich hauptsächlich durch die Form der
Schädel leiten ließ, seine fünf Menschenracen an den kurz geschornen Häup¬
tern mit Muße durchmustern können. Die Einförmigkeit der schwarzen, mit
rothen Liezen besetzten Kleidung täuschte nur auf Augenblicke über die Mannig¬
faltigkeit des hier gebotenen Racenmaterials.

Ein Hebräer machte den Anfang, nachdem soeben die letzten Töne der
rosstnischen diebischen Elster verhallt waren. Er sprach in kurzen Absätzen
weinerlichen Tons und hatte große Mühe, in seinem hebräischen Bortrage mit
den vielen Zischlauten fertig zu werden.

„Stille herrscht", sagte er etwa, indem er die von den Weisen vernommene
Engelsstimme reden ließ, „Alles schweigt. Die Hirten lösen einander ab.
Weiser! Höre mich und sei klaren Verstandes! Dort liegt Er, der Starke, der
Unaussprechliche, der Antike! In dem Hüttenwinkel! So ruht im Ocean
die kostbare Perle, so blühen die Rose und die Lilie im einsamen Felde, so
wächst in der öden Wüste der Myrrhenbaum, der Spender heiliger Wohl¬
gerüche."

Als der Hebräer geschlossen hatte, trat ein Chaldäer an seine Stelle. Giu¬
seppe David aus' Mossul nannte ihn das Programm. Er war ein bärtiger
Jüngling. In einiger Entfernung hätte man, die vielen Kehl- und Gaumen¬
laute abgerechnet, einen Priken zu hören geglaubt. Seine Worte sollten dem
Engclsgruß als Antwort dienen.

„Ach! die Stimme ist nicht mehr zu hören. Wie tönt die Rede in mir
wieder! Was verschwindest Du? die weisen Chaldäer, die deS Königs Träume
nicht zu deuten wußten, kannten die von dir uns enthüllten Geheimnisse nicht.
Eingebildeter Weisheit voll folgten sie dennoch stumm den hochmüthigen Monar¬
chen Babylons. Das Wort ist Knecht geworden — ihnen wars noch nicht ge¬
offenbart."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/66>, abgerufen am 21.05.2024.