Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Ein Anderer folgte mit einem Vortrag in Vulgär-Chaldäisch. Anknüpfend
an die Knechtwerdung des Wortes sagte er:

"Und wenn der Große sich herabläßt, nimmt eS noch Wunder, daß
seine Mutter neben ihm ein Gleiches thut? Blicke ich aus, da glaube ich
ihre Stirne zu erblicken, aber es ist nur unser Führer, der Stern! Ihre
Seele übertrifft ihn noch an Reinheit. Und doch wird sie nicht von allen
erkannt! Aber stehe! Gottes Geist zerstäubt die Nebel und den Staub! Der
Erde Völker begrüßen sie, die Weißgekleidete; in deren Antlitz das Licht des
Morgensterns zu zittern scheint. Die Zeit wird kommen, wo Chaldäa im dop¬
pelten Sinne eine andere Sprache sprechen wird."

Als Andrea Attar von Diarbekir aus Mesopotamien geschlossen hatte,
kam die Reihe an den Syrier Pietro Posik. Seine Sprache gemahnte ans
Polnische, hatte aber schönen Klang und Vocalreichthum, wobei eine Meng"
zweisilbige Worte mit betonten Schluß-E die Structur deS Vortrags verdeut¬
lichten. Er hatte die Predigt deS heiligen Ephraim, des Syriers, zum Preise der
Madonna zu Hülfe genommen und erhob in einem langen Gedichte die Wun¬
der ihrer unbefleckten Erscheinung.

Ein Schristarmenier, Michele Ferachian aus Damaskus, löste ihn ab.
Das unbequeme "ehalt" kam bei ihm wie bei seinem Nachfolger, einem Vul¬
gärarmenier, Pasquale Rubian aus Konstantinopel, häufig zu Gehör.
Während dieser sich an die Griechisch-Katholischen wendete und ihnen vorhielt,
das Kreuz des Vatikans sei dasjenige des Libanon, -- sie möchten das grie¬
chische Kreuz in aller Heiligen Namen fahren lassen, sprach jener von dem Regen¬
bogen und von der glücklichen Landung Noahs auf dem Ararat. Der Nach-
geborne deS Halt, des ältesten Bekehrers der Armenier, verabscheue den ihm
einst mit Persern und Assyrern gemeinschaftlich gewesenen Glauben. "Hier
nur ist Schönheit deS Glaubens, Menschwerdung Gottes in."

Nachdem die Hörer unter den vorgeführte Dialecten zwar manches Ab¬
sonderliche, aber doch nichts eigentlich Komisches vernommen hatten, brachten
ein Araber und nach ihm ein Bewohner Hindostans plötzlich Heiterkeit in die
Stelle der beginnenden Monotonie.

Eign. Behram Benni aus Mossul trug im weinerlichsten Ton, ohne ir¬
gendwelche Worttrennung eine recht hübsche Legende vor, nach welcher die
Madonna auf ihrer Flucht durch die Wüste, von Arabern neugierig begrüßt,
beim Anblick der weißen Gewänder und der Turbane sich an die h. 3 Kö-
nige erinnerte. Die Araber laden sie und den h. Joseph uomo al pace, ein,
ihnen zu ihrem Könige zu folgen. Sie läßt sich überreden -- und seitdem,
schließt die Legende, hat die jungfräuliche Mutter, welche ein Kind in der
Krippe anbetet, ihren Platz unter den 360 Heiligen der Araber.

Das Programm setzt hinzu: Es ist freilich ausgemacht, daß eine Vei^inn


8"

Ein Anderer folgte mit einem Vortrag in Vulgär-Chaldäisch. Anknüpfend
an die Knechtwerdung des Wortes sagte er:

„Und wenn der Große sich herabläßt, nimmt eS noch Wunder, daß
seine Mutter neben ihm ein Gleiches thut? Blicke ich aus, da glaube ich
ihre Stirne zu erblicken, aber es ist nur unser Führer, der Stern! Ihre
Seele übertrifft ihn noch an Reinheit. Und doch wird sie nicht von allen
erkannt! Aber stehe! Gottes Geist zerstäubt die Nebel und den Staub! Der
Erde Völker begrüßen sie, die Weißgekleidete; in deren Antlitz das Licht des
Morgensterns zu zittern scheint. Die Zeit wird kommen, wo Chaldäa im dop¬
pelten Sinne eine andere Sprache sprechen wird."

Als Andrea Attar von Diarbekir aus Mesopotamien geschlossen hatte,
kam die Reihe an den Syrier Pietro Posik. Seine Sprache gemahnte ans
Polnische, hatte aber schönen Klang und Vocalreichthum, wobei eine Meng«
zweisilbige Worte mit betonten Schluß-E die Structur deS Vortrags verdeut¬
lichten. Er hatte die Predigt deS heiligen Ephraim, des Syriers, zum Preise der
Madonna zu Hülfe genommen und erhob in einem langen Gedichte die Wun¬
der ihrer unbefleckten Erscheinung.

Ein Schristarmenier, Michele Ferachian aus Damaskus, löste ihn ab.
Das unbequeme „ehalt" kam bei ihm wie bei seinem Nachfolger, einem Vul¬
gärarmenier, Pasquale Rubian aus Konstantinopel, häufig zu Gehör.
Während dieser sich an die Griechisch-Katholischen wendete und ihnen vorhielt,
das Kreuz des Vatikans sei dasjenige des Libanon, — sie möchten das grie¬
chische Kreuz in aller Heiligen Namen fahren lassen, sprach jener von dem Regen¬
bogen und von der glücklichen Landung Noahs auf dem Ararat. Der Nach-
geborne deS Halt, des ältesten Bekehrers der Armenier, verabscheue den ihm
einst mit Persern und Assyrern gemeinschaftlich gewesenen Glauben. „Hier
nur ist Schönheit deS Glaubens, Menschwerdung Gottes in."

Nachdem die Hörer unter den vorgeführte Dialecten zwar manches Ab¬
sonderliche, aber doch nichts eigentlich Komisches vernommen hatten, brachten
ein Araber und nach ihm ein Bewohner Hindostans plötzlich Heiterkeit in die
Stelle der beginnenden Monotonie.

Eign. Behram Benni aus Mossul trug im weinerlichsten Ton, ohne ir¬
gendwelche Worttrennung eine recht hübsche Legende vor, nach welcher die
Madonna auf ihrer Flucht durch die Wüste, von Arabern neugierig begrüßt,
beim Anblick der weißen Gewänder und der Turbane sich an die h. 3 Kö-
nige erinnerte. Die Araber laden sie und den h. Joseph uomo al pace, ein,
ihnen zu ihrem Könige zu folgen. Sie läßt sich überreden — und seitdem,
schließt die Legende, hat die jungfräuliche Mutter, welche ein Kind in der
Krippe anbetet, ihren Platz unter den 360 Heiligen der Araber.

Das Programm setzt hinzu: Es ist freilich ausgemacht, daß eine Vei^inn


8"
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0067" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104802"/>
          <p xml:id="ID_152"> Ein Anderer folgte mit einem Vortrag in Vulgär-Chaldäisch. Anknüpfend<lb/>
an die Knechtwerdung des Wortes sagte er:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_153"> &#x201E;Und wenn der Große sich herabläßt, nimmt eS noch Wunder, daß<lb/>
seine Mutter neben ihm ein Gleiches thut? Blicke ich aus, da glaube ich<lb/>
ihre Stirne zu erblicken, aber es ist nur unser Führer, der Stern! Ihre<lb/>
Seele übertrifft ihn noch an Reinheit. Und doch wird sie nicht von allen<lb/>
erkannt! Aber stehe! Gottes Geist zerstäubt die Nebel und den Staub! Der<lb/>
Erde Völker begrüßen sie, die Weißgekleidete; in deren Antlitz das Licht des<lb/>
Morgensterns zu zittern scheint. Die Zeit wird kommen, wo Chaldäa im dop¬<lb/>
pelten Sinne eine andere Sprache sprechen wird."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_154"> Als Andrea Attar von Diarbekir aus Mesopotamien geschlossen hatte,<lb/>
kam die Reihe an den Syrier Pietro Posik. Seine Sprache gemahnte ans<lb/>
Polnische, hatte aber schönen Klang und Vocalreichthum, wobei eine Meng«<lb/>
zweisilbige Worte mit betonten Schluß-E die Structur deS Vortrags verdeut¬<lb/>
lichten. Er hatte die Predigt deS heiligen Ephraim, des Syriers, zum Preise der<lb/>
Madonna zu Hülfe genommen und erhob in einem langen Gedichte die Wun¬<lb/>
der ihrer unbefleckten Erscheinung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_155"> Ein Schristarmenier, Michele Ferachian aus Damaskus, löste ihn ab.<lb/>
Das unbequeme &#x201E;ehalt" kam bei ihm wie bei seinem Nachfolger, einem Vul¬<lb/>
gärarmenier, Pasquale Rubian aus Konstantinopel, häufig zu Gehör.<lb/>
Während dieser sich an die Griechisch-Katholischen wendete und ihnen vorhielt,<lb/>
das Kreuz des Vatikans sei dasjenige des Libanon, &#x2014; sie möchten das grie¬<lb/>
chische Kreuz in aller Heiligen Namen fahren lassen, sprach jener von dem Regen¬<lb/>
bogen und von der glücklichen Landung Noahs auf dem Ararat. Der Nach-<lb/>
geborne deS Halt, des ältesten Bekehrers der Armenier, verabscheue den ihm<lb/>
einst mit Persern und Assyrern gemeinschaftlich gewesenen Glauben. &#x201E;Hier<lb/>
nur ist Schönheit deS Glaubens, Menschwerdung Gottes in."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_156"> Nachdem die Hörer unter den vorgeführte Dialecten zwar manches Ab¬<lb/>
sonderliche, aber doch nichts eigentlich Komisches vernommen hatten, brachten<lb/>
ein Araber und nach ihm ein Bewohner Hindostans plötzlich Heiterkeit in die<lb/>
Stelle der beginnenden Monotonie.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_157"> Eign. Behram Benni aus Mossul trug im weinerlichsten Ton, ohne ir¬<lb/>
gendwelche Worttrennung eine recht hübsche Legende vor, nach welcher die<lb/>
Madonna auf ihrer Flucht durch die Wüste, von Arabern neugierig begrüßt,<lb/>
beim Anblick der weißen Gewänder und der Turbane sich an die h. 3 Kö-<lb/>
nige erinnerte. Die Araber laden sie und den h. Joseph uomo al pace, ein,<lb/>
ihnen zu ihrem Könige zu folgen. Sie läßt sich überreden &#x2014; und seitdem,<lb/>
schließt die Legende, hat die jungfräuliche Mutter, welche ein Kind in der<lb/>
Krippe anbetet, ihren Platz unter den 360 Heiligen der Araber.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_158" next="#ID_159"> Das Programm setzt hinzu: Es ist freilich ausgemacht, daß eine Vei^inn</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 8"</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0067] Ein Anderer folgte mit einem Vortrag in Vulgär-Chaldäisch. Anknüpfend an die Knechtwerdung des Wortes sagte er: „Und wenn der Große sich herabläßt, nimmt eS noch Wunder, daß seine Mutter neben ihm ein Gleiches thut? Blicke ich aus, da glaube ich ihre Stirne zu erblicken, aber es ist nur unser Führer, der Stern! Ihre Seele übertrifft ihn noch an Reinheit. Und doch wird sie nicht von allen erkannt! Aber stehe! Gottes Geist zerstäubt die Nebel und den Staub! Der Erde Völker begrüßen sie, die Weißgekleidete; in deren Antlitz das Licht des Morgensterns zu zittern scheint. Die Zeit wird kommen, wo Chaldäa im dop¬ pelten Sinne eine andere Sprache sprechen wird." Als Andrea Attar von Diarbekir aus Mesopotamien geschlossen hatte, kam die Reihe an den Syrier Pietro Posik. Seine Sprache gemahnte ans Polnische, hatte aber schönen Klang und Vocalreichthum, wobei eine Meng« zweisilbige Worte mit betonten Schluß-E die Structur deS Vortrags verdeut¬ lichten. Er hatte die Predigt deS heiligen Ephraim, des Syriers, zum Preise der Madonna zu Hülfe genommen und erhob in einem langen Gedichte die Wun¬ der ihrer unbefleckten Erscheinung. Ein Schristarmenier, Michele Ferachian aus Damaskus, löste ihn ab. Das unbequeme „ehalt" kam bei ihm wie bei seinem Nachfolger, einem Vul¬ gärarmenier, Pasquale Rubian aus Konstantinopel, häufig zu Gehör. Während dieser sich an die Griechisch-Katholischen wendete und ihnen vorhielt, das Kreuz des Vatikans sei dasjenige des Libanon, — sie möchten das grie¬ chische Kreuz in aller Heiligen Namen fahren lassen, sprach jener von dem Regen¬ bogen und von der glücklichen Landung Noahs auf dem Ararat. Der Nach- geborne deS Halt, des ältesten Bekehrers der Armenier, verabscheue den ihm einst mit Persern und Assyrern gemeinschaftlich gewesenen Glauben. „Hier nur ist Schönheit deS Glaubens, Menschwerdung Gottes in." Nachdem die Hörer unter den vorgeführte Dialecten zwar manches Ab¬ sonderliche, aber doch nichts eigentlich Komisches vernommen hatten, brachten ein Araber und nach ihm ein Bewohner Hindostans plötzlich Heiterkeit in die Stelle der beginnenden Monotonie. Eign. Behram Benni aus Mossul trug im weinerlichsten Ton, ohne ir¬ gendwelche Worttrennung eine recht hübsche Legende vor, nach welcher die Madonna auf ihrer Flucht durch die Wüste, von Arabern neugierig begrüßt, beim Anblick der weißen Gewänder und der Turbane sich an die h. 3 Kö- nige erinnerte. Die Araber laden sie und den h. Joseph uomo al pace, ein, ihnen zu ihrem Könige zu folgen. Sie läßt sich überreden — und seitdem, schließt die Legende, hat die jungfräuliche Mutter, welche ein Kind in der Krippe anbetet, ihren Platz unter den 360 Heiligen der Araber. Das Programm setzt hinzu: Es ist freilich ausgemacht, daß eine Vei^inn 8"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/67
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/67>, abgerufen am 14.06.2024.