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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Es wäre unbillig, einen protestantischen Maßstab an diese akademische
Parade legen zu wollen, vor allem einen norddeutschen. Die uns natürliche
Scheu vor dem Betasten und Hin- und Herwerden gewisser Mysterien hat
ein katholisch geschultes Volk schon früh überwunden, und in Italien huldigt
man der in Frankreich, wenigstens in Paris, uns häufig begegnenden Meinung,
eS lasse sich eigentlich alles und an allen Orten besprechen. Bei dieser Ab¬
wesenheit jedweder Gesprächsbeengung ist es für uns Andersgläubige erfreulich,
daß der allgemeine Jndifferentismus die Durchsetzung des neuen Dogmas ohne
welterschütternde Discusston möglich machte, und daß nach Beendigung deS
Jubeljahrs das letzte Echo verhallte, das die Kanonen der Engelsburg für
längere Zeil wach gerufen zu haben schienen. Bon Interesse jedoch ist es,
nach glücklich überstandener Gefahr einen Blick auf diejenige Zeit zurückzuwer¬
fen, welche den Kampf um die Reinheit der Madonna in vollen Flammen sqh.

Dieser Kampf trat erst viele Jahrhunderte, nachdem der h. Augustin
etwa um daS Jahr 400 sich gegen den freisinnigen Pelagius erklärt hatte, in
die Oeffentlichkeit. Doch sagte der h. Augustin schon damals ein Wort, daS
vielleicht die beste Kritik des ganzen unerquicklichen Streits war und für heute
noch gelten kann. Pelagius hatte sich gegen die Erbsünde erklärt und hatte
Maria als Beweis angeführt, daß der Mensch recht wohl im Stande sei, sün¬
denfrei zu leben. Darauf dient ihm sein Gegner: über die heilige Jungfrau
wolle er, um der Ehre des Herrn willen, gar keine Frage erhoben wissen.

Dies richtige Gefühl theilten indessen nur wenige. wiewol erst die Ein¬
führung deS Festes von der unbefleckten Empfängniß in Lyon uns Jahr 115t
durch den lauten Widerspruch des heiligen Bernhard zum lebhaftem Entbrennen
des Streites den Anstoß gab. Auch er war wie der heilige Augustin einer
der größten Verehrer der Jungfrau Maria und sand es, nach H. DenzingerS *)
eigner Versicherung, "für unpassend, daß man die Empfängniß feiern wolle,
welche kein würdiger Gegenstand einer FesteSfeier sein könne."
Nach und nach gab eS weitern Widerspruch. Einige hohe Geistliche verboten
das Fest in ihren Gemeinden. Am mächtigsten aber wirkte der Widerspruch
deS Dominicaners Thomas von Aquino. Der Dominicanerorden verhinderte
seitdem die Einführung des Dogmas von der passiven unbefleckten Empfäng¬
niß und hatte auch dann noch große Abneigung gegen dasselbe, als endlich
zur Zeit Gregors XVI. sich der Dominicanergeneral von der Partei deS Thomas
von Aquino lossagte. Für die Lehre eiferten vor allem die FranziScaner. dem¬
nächst Benedictiner, Cistercienser, Karthäuser, Augustiner, Serviter, Carmeliten,
Ligorianer, Jesuiten und viele andere Orden. Loyola wie auch sein Genosse
Franz Xaver hatten feierlich geschworen, die Lehre von der U. E. zu verthei-



*) Die Lehre von der unbefleckten Empfängniß der seligsten Jungfrau Maria von Hein¬
rich Denzinger Dr. der Philosophie tu Würzburg, 18os.
9*

Es wäre unbillig, einen protestantischen Maßstab an diese akademische
Parade legen zu wollen, vor allem einen norddeutschen. Die uns natürliche
Scheu vor dem Betasten und Hin- und Herwerden gewisser Mysterien hat
ein katholisch geschultes Volk schon früh überwunden, und in Italien huldigt
man der in Frankreich, wenigstens in Paris, uns häufig begegnenden Meinung,
eS lasse sich eigentlich alles und an allen Orten besprechen. Bei dieser Ab¬
wesenheit jedweder Gesprächsbeengung ist es für uns Andersgläubige erfreulich,
daß der allgemeine Jndifferentismus die Durchsetzung des neuen Dogmas ohne
welterschütternde Discusston möglich machte, und daß nach Beendigung deS
Jubeljahrs das letzte Echo verhallte, das die Kanonen der Engelsburg für
längere Zeil wach gerufen zu haben schienen. Bon Interesse jedoch ist es,
nach glücklich überstandener Gefahr einen Blick auf diejenige Zeit zurückzuwer¬
fen, welche den Kampf um die Reinheit der Madonna in vollen Flammen sqh.

Dieser Kampf trat erst viele Jahrhunderte, nachdem der h. Augustin
etwa um daS Jahr 400 sich gegen den freisinnigen Pelagius erklärt hatte, in
die Oeffentlichkeit. Doch sagte der h. Augustin schon damals ein Wort, daS
vielleicht die beste Kritik des ganzen unerquicklichen Streits war und für heute
noch gelten kann. Pelagius hatte sich gegen die Erbsünde erklärt und hatte
Maria als Beweis angeführt, daß der Mensch recht wohl im Stande sei, sün¬
denfrei zu leben. Darauf dient ihm sein Gegner: über die heilige Jungfrau
wolle er, um der Ehre des Herrn willen, gar keine Frage erhoben wissen.

Dies richtige Gefühl theilten indessen nur wenige. wiewol erst die Ein¬
führung deS Festes von der unbefleckten Empfängniß in Lyon uns Jahr 115t
durch den lauten Widerspruch des heiligen Bernhard zum lebhaftem Entbrennen
des Streites den Anstoß gab. Auch er war wie der heilige Augustin einer
der größten Verehrer der Jungfrau Maria und sand es, nach H. DenzingerS *)
eigner Versicherung, „für unpassend, daß man die Empfängniß feiern wolle,
welche kein würdiger Gegenstand einer FesteSfeier sein könne."
Nach und nach gab eS weitern Widerspruch. Einige hohe Geistliche verboten
das Fest in ihren Gemeinden. Am mächtigsten aber wirkte der Widerspruch
deS Dominicaners Thomas von Aquino. Der Dominicanerorden verhinderte
seitdem die Einführung des Dogmas von der passiven unbefleckten Empfäng¬
niß und hatte auch dann noch große Abneigung gegen dasselbe, als endlich
zur Zeit Gregors XVI. sich der Dominicanergeneral von der Partei deS Thomas
von Aquino lossagte. Für die Lehre eiferten vor allem die FranziScaner. dem¬
nächst Benedictiner, Cistercienser, Karthäuser, Augustiner, Serviter, Carmeliten,
Ligorianer, Jesuiten und viele andere Orden. Loyola wie auch sein Genosse
Franz Xaver hatten feierlich geschworen, die Lehre von der U. E. zu verthei-



*) Die Lehre von der unbefleckten Empfängniß der seligsten Jungfrau Maria von Hein¬
rich Denzinger Dr. der Philosophie tu Würzburg, 18os.
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[0075] Es wäre unbillig, einen protestantischen Maßstab an diese akademische Parade legen zu wollen, vor allem einen norddeutschen. Die uns natürliche Scheu vor dem Betasten und Hin- und Herwerden gewisser Mysterien hat ein katholisch geschultes Volk schon früh überwunden, und in Italien huldigt man der in Frankreich, wenigstens in Paris, uns häufig begegnenden Meinung, eS lasse sich eigentlich alles und an allen Orten besprechen. Bei dieser Ab¬ wesenheit jedweder Gesprächsbeengung ist es für uns Andersgläubige erfreulich, daß der allgemeine Jndifferentismus die Durchsetzung des neuen Dogmas ohne welterschütternde Discusston möglich machte, und daß nach Beendigung deS Jubeljahrs das letzte Echo verhallte, das die Kanonen der Engelsburg für längere Zeil wach gerufen zu haben schienen. Bon Interesse jedoch ist es, nach glücklich überstandener Gefahr einen Blick auf diejenige Zeit zurückzuwer¬ fen, welche den Kampf um die Reinheit der Madonna in vollen Flammen sqh. Dieser Kampf trat erst viele Jahrhunderte, nachdem der h. Augustin etwa um daS Jahr 400 sich gegen den freisinnigen Pelagius erklärt hatte, in die Oeffentlichkeit. Doch sagte der h. Augustin schon damals ein Wort, daS vielleicht die beste Kritik des ganzen unerquicklichen Streits war und für heute noch gelten kann. Pelagius hatte sich gegen die Erbsünde erklärt und hatte Maria als Beweis angeführt, daß der Mensch recht wohl im Stande sei, sün¬ denfrei zu leben. Darauf dient ihm sein Gegner: über die heilige Jungfrau wolle er, um der Ehre des Herrn willen, gar keine Frage erhoben wissen. Dies richtige Gefühl theilten indessen nur wenige. wiewol erst die Ein¬ führung deS Festes von der unbefleckten Empfängniß in Lyon uns Jahr 115t durch den lauten Widerspruch des heiligen Bernhard zum lebhaftem Entbrennen des Streites den Anstoß gab. Auch er war wie der heilige Augustin einer der größten Verehrer der Jungfrau Maria und sand es, nach H. DenzingerS *) eigner Versicherung, „für unpassend, daß man die Empfängniß feiern wolle, welche kein würdiger Gegenstand einer FesteSfeier sein könne." Nach und nach gab eS weitern Widerspruch. Einige hohe Geistliche verboten das Fest in ihren Gemeinden. Am mächtigsten aber wirkte der Widerspruch deS Dominicaners Thomas von Aquino. Der Dominicanerorden verhinderte seitdem die Einführung des Dogmas von der passiven unbefleckten Empfäng¬ niß und hatte auch dann noch große Abneigung gegen dasselbe, als endlich zur Zeit Gregors XVI. sich der Dominicanergeneral von der Partei deS Thomas von Aquino lossagte. Für die Lehre eiferten vor allem die FranziScaner. dem¬ nächst Benedictiner, Cistercienser, Karthäuser, Augustiner, Serviter, Carmeliten, Ligorianer, Jesuiten und viele andere Orden. Loyola wie auch sein Genosse Franz Xaver hatten feierlich geschworen, die Lehre von der U. E. zu verthei- *) Die Lehre von der unbefleckten Empfängniß der seligsten Jungfrau Maria von Hein¬ rich Denzinger Dr. der Philosophie tu Würzburg, 18os. 9*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/75>, abgerufen am 14.06.2024.