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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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versucht. Römischer Punsch, viel stärker als der schönste römische Punsch den
ich jemals getrunken, bildet sich ohne Mühe bei 20 Grad unter Null. Ge¬
zuckerte Moosbeeren mit etwas Butter und heißem Wasser gaben ein aller¬
liebstes Erdbeereis. Wie oft habe ich bei Abendgesellschaften in Philadephia
die Frau vom Hause, welche anscheinend so gleichgiltig die Vorbereitungen
zur Abendtafel mustert, doch verstohlen angstvoll nach den sich schnäbelnden
Tauben blicken sehen, deren eisige Brüste vor der Zeit zusammenschmelzen.
Das richten wir im Polarmeer besser ein. Unsere Eise sind eS gewohnt, auf
einem Besenstiel servirt zu werden, den wir erst zum Umrühren und dann als
Gabel gebrauchen. So hart ist dieser EiScylinder, daß man ihn als Knittel
brauchen könnte, um einen Ochsen zu erschlagen. Das Schwerste ist, was nun
kommt. ES gehört Zell und Energie dazu, um mit dem Messer einen Ein¬
druck auf das Eis zu machen, und mit dem Löffel muß man auch geschickt
umzugehen wissen, sonst bleibt er an der Zunge kleben. Einer von unsern
Backsgasten ließ sich neulich von der krystallenen Durchsichtigkeit eines Eis¬
zapfens verleiten, ihn im Munde zu zerbrechen; ein Stück fror an seiner
Zunge fest und zwei andere an seinen Lippen und alle drei nahmen die Haut
mit; das Thermometer stand auf 82 Grad unter Null.

Das wäre unser arktischer Speisezettel. Ich brauche nicht zu sagen, daß
unsere eingemachten Fleischbüchsen recht gut als Kartätschen sich in Kanonen
laden lassen!

Jetzt wollen wir einen Spaziergang machen, angethan mit unserer ark¬
tischen Tracht nach der neuesten Mode. DaS Thermometer steht, wollen wir
annehmen, auf 23 Grad unter Null, aber nicht niedriger, und der Wind
weht frisch, aber nicht heftig.

Mache den Mund für die ersten paar Minuten zu und athme die Luft
argwöhnisch durch Nase und Schnurrbart ein. Du wirst alsbald eine trockene,
scharfe, aber wohlthuende und angenehme Atmosphäre athmen. Bart, Augen¬
wimpern und der weiche Flaum an den Ohren überziehen sich mit einer zarten,
weißen und ununterbrochenen Decke von ehrwürdigen Reif. Schnurrbart und
Unterlippe dienen Reihen von Eiszapfen zum Simse. Stecke die Zunge her¬
aus und sie friert sofort an diese Eiskruste fest und es gehört ein rascher Ruck
und einige Beihilfe der Hand dazu, sie wieder loszumachen. Je weniger du
sprichst, desto besser. DaS Kinn spielt einem gar zu gern den Streich, durch
Vermittlung des Bartes an die obere Kinnlade anzufrieren; selbst die Augen
sind mir oft so zugeklebt gewesen; ich will damit sagen, daß selbst ein Augen¬
zwinkern eine gefährliche Sache ist. Während man weiter geht, fühlt man
allmälig, daß die metallenen Theile der Flinte mit einer Empfindung wie von
heißem Wasser durch zwei dicke wollene Handschuhe hindurchdringen.

Aber alles daS fühlt man nur, wenn man dem Wind den Rücken zuge-


versucht. Römischer Punsch, viel stärker als der schönste römische Punsch den
ich jemals getrunken, bildet sich ohne Mühe bei 20 Grad unter Null. Ge¬
zuckerte Moosbeeren mit etwas Butter und heißem Wasser gaben ein aller¬
liebstes Erdbeereis. Wie oft habe ich bei Abendgesellschaften in Philadephia
die Frau vom Hause, welche anscheinend so gleichgiltig die Vorbereitungen
zur Abendtafel mustert, doch verstohlen angstvoll nach den sich schnäbelnden
Tauben blicken sehen, deren eisige Brüste vor der Zeit zusammenschmelzen.
Das richten wir im Polarmeer besser ein. Unsere Eise sind eS gewohnt, auf
einem Besenstiel servirt zu werden, den wir erst zum Umrühren und dann als
Gabel gebrauchen. So hart ist dieser EiScylinder, daß man ihn als Knittel
brauchen könnte, um einen Ochsen zu erschlagen. Das Schwerste ist, was nun
kommt. ES gehört Zell und Energie dazu, um mit dem Messer einen Ein¬
druck auf das Eis zu machen, und mit dem Löffel muß man auch geschickt
umzugehen wissen, sonst bleibt er an der Zunge kleben. Einer von unsern
Backsgasten ließ sich neulich von der krystallenen Durchsichtigkeit eines Eis¬
zapfens verleiten, ihn im Munde zu zerbrechen; ein Stück fror an seiner
Zunge fest und zwei andere an seinen Lippen und alle drei nahmen die Haut
mit; das Thermometer stand auf 82 Grad unter Null.

Das wäre unser arktischer Speisezettel. Ich brauche nicht zu sagen, daß
unsere eingemachten Fleischbüchsen recht gut als Kartätschen sich in Kanonen
laden lassen!

Jetzt wollen wir einen Spaziergang machen, angethan mit unserer ark¬
tischen Tracht nach der neuesten Mode. DaS Thermometer steht, wollen wir
annehmen, auf 23 Grad unter Null, aber nicht niedriger, und der Wind
weht frisch, aber nicht heftig.

Mache den Mund für die ersten paar Minuten zu und athme die Luft
argwöhnisch durch Nase und Schnurrbart ein. Du wirst alsbald eine trockene,
scharfe, aber wohlthuende und angenehme Atmosphäre athmen. Bart, Augen¬
wimpern und der weiche Flaum an den Ohren überziehen sich mit einer zarten,
weißen und ununterbrochenen Decke von ehrwürdigen Reif. Schnurrbart und
Unterlippe dienen Reihen von Eiszapfen zum Simse. Stecke die Zunge her¬
aus und sie friert sofort an diese Eiskruste fest und es gehört ein rascher Ruck
und einige Beihilfe der Hand dazu, sie wieder loszumachen. Je weniger du
sprichst, desto besser. DaS Kinn spielt einem gar zu gern den Streich, durch
Vermittlung des Bartes an die obere Kinnlade anzufrieren; selbst die Augen
sind mir oft so zugeklebt gewesen; ich will damit sagen, daß selbst ein Augen¬
zwinkern eine gefährliche Sache ist. Während man weiter geht, fühlt man
allmälig, daß die metallenen Theile der Flinte mit einer Empfindung wie von
heißem Wasser durch zwei dicke wollene Handschuhe hindurchdringen.

Aber alles daS fühlt man nur, wenn man dem Wind den Rücken zuge-


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[0079] versucht. Römischer Punsch, viel stärker als der schönste römische Punsch den ich jemals getrunken, bildet sich ohne Mühe bei 20 Grad unter Null. Ge¬ zuckerte Moosbeeren mit etwas Butter und heißem Wasser gaben ein aller¬ liebstes Erdbeereis. Wie oft habe ich bei Abendgesellschaften in Philadephia die Frau vom Hause, welche anscheinend so gleichgiltig die Vorbereitungen zur Abendtafel mustert, doch verstohlen angstvoll nach den sich schnäbelnden Tauben blicken sehen, deren eisige Brüste vor der Zeit zusammenschmelzen. Das richten wir im Polarmeer besser ein. Unsere Eise sind eS gewohnt, auf einem Besenstiel servirt zu werden, den wir erst zum Umrühren und dann als Gabel gebrauchen. So hart ist dieser EiScylinder, daß man ihn als Knittel brauchen könnte, um einen Ochsen zu erschlagen. Das Schwerste ist, was nun kommt. ES gehört Zell und Energie dazu, um mit dem Messer einen Ein¬ druck auf das Eis zu machen, und mit dem Löffel muß man auch geschickt umzugehen wissen, sonst bleibt er an der Zunge kleben. Einer von unsern Backsgasten ließ sich neulich von der krystallenen Durchsichtigkeit eines Eis¬ zapfens verleiten, ihn im Munde zu zerbrechen; ein Stück fror an seiner Zunge fest und zwei andere an seinen Lippen und alle drei nahmen die Haut mit; das Thermometer stand auf 82 Grad unter Null. Das wäre unser arktischer Speisezettel. Ich brauche nicht zu sagen, daß unsere eingemachten Fleischbüchsen recht gut als Kartätschen sich in Kanonen laden lassen! Jetzt wollen wir einen Spaziergang machen, angethan mit unserer ark¬ tischen Tracht nach der neuesten Mode. DaS Thermometer steht, wollen wir annehmen, auf 23 Grad unter Null, aber nicht niedriger, und der Wind weht frisch, aber nicht heftig. Mache den Mund für die ersten paar Minuten zu und athme die Luft argwöhnisch durch Nase und Schnurrbart ein. Du wirst alsbald eine trockene, scharfe, aber wohlthuende und angenehme Atmosphäre athmen. Bart, Augen¬ wimpern und der weiche Flaum an den Ohren überziehen sich mit einer zarten, weißen und ununterbrochenen Decke von ehrwürdigen Reif. Schnurrbart und Unterlippe dienen Reihen von Eiszapfen zum Simse. Stecke die Zunge her¬ aus und sie friert sofort an diese Eiskruste fest und es gehört ein rascher Ruck und einige Beihilfe der Hand dazu, sie wieder loszumachen. Je weniger du sprichst, desto besser. DaS Kinn spielt einem gar zu gern den Streich, durch Vermittlung des Bartes an die obere Kinnlade anzufrieren; selbst die Augen sind mir oft so zugeklebt gewesen; ich will damit sagen, daß selbst ein Augen¬ zwinkern eine gefährliche Sache ist. Während man weiter geht, fühlt man allmälig, daß die metallenen Theile der Flinte mit einer Empfindung wie von heißem Wasser durch zwei dicke wollene Handschuhe hindurchdringen. Aber alles daS fühlt man nur, wenn man dem Wind den Rücken zuge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/79>, abgerufen am 15.06.2024.