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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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wahrscheinlich mit denen von Kalkutta aus zu gleicher Zeit eintreffen. Des¬
gleichen kann man die Truppen von Kalkutta auf dem Ganges über Kanpur
und Allahabad senden, oder mit der Eisenbahn bis Burdwan befördern. ES
ist möglich, daß stak in Delhi eine Partei bildet, welche zum Unterhandeln
bereit, sich auf Gnade oder Ungnade übergeben will; dann wird Delhi früher
fallen. Diese Partei wird aus den Hindus bestehen. Wo nicht, kann der
Sturm frühestens im October unternommen werden; aber die Colminen müssen
stark genug sein, weil, waS mit den Waffen in der Hand "der im Act der
Vertheidigung gefunden wird, über die Klinge springen muß.

Von der höchsten Wichtigkeit ist eS, daß die Provinzen Madras und
Bombay in Ruhe erhalten werden. Hier müssen die Behörden mit dem wach¬
samsten Auge auf ihrer Hut sein, ohne irgend ein Mißtrauen merken zu lassen.
In der Präsidentschaft Madras ist das Reich deö Nizam ein gefährlicher Nach¬
bar. Er ist Mohammedaner, sein Anhang ein wildes und verworfenes Ge¬
schlecht, und er könnte leicht i0,t>00 Mann ins Feld bringen. Sein erster
Minister ist den Engländern ergeben, und so wollen wir hoffen, daß eS ge¬
lingt, diesen im Amte und den Engländern treu zu erhalten.

Eine andere Gefahr ist, daß der Aufstand einen etwas kommunistischen
Charakter angenommen hat. Auf dem Lande wie in den Städten werden die
Besitzenden von den Besitzlosen angegriffen und ihres Lebens und ihres Eigen¬
thums beraubt. Es habe" sich wie in China Banden gebildet, die das Land
verwüsten, morden und stehlen und die abscheulichsten Unsittlichkeiten begehen.
Natürlich kann bei einem solchen Zustande der Dinge nur das Martialgesetz
ausreichen, das Schwert und der Strick müssen die Rotten vernichten. Wenn
man bedenkt, das Tausende von ThagS und Denons aus den Gefängnissen
befreit sind, Menschen, die aus Mord und Todschlag ein Gewerbe machen,
so kann man nicht überrascht sein, daß sich kein Mensch seines Lebens sicher
fühlt. Das Gefühl der Sepoys, daß sie ihr Leben verwirkt haben, macht,
daß sie so verzweifelt kämpfen.

Der Aufstand kann kaum bis zum Frühjahr nächsten Jahres erstickt
sein. Dann aber wird die nicht minder schwierige Aufgabe kommen, Bengalen,
ja Indien von Räubern und Mördern zu reinigen. Es werden einige Jahre
vergehen, bis in den aufrührerischen Theilen wieder die Macht der Engländer in
den Gemüthern so überzeugend geworden ist, das Gesetz wieder eine solche Kraft
gewonnen hat, daß der Europäer wie bisher sorglos durch daS Land reisen kann.

Der Gang der Ereignisse wird auf die Bildung der künftigen Regierung
Indiens den größten Einfluß ausüben. Doch das muß allen mit der Lage
der Dinge vertrauten Briten klar geworden sein, daß die Zwittergestalt einer
Regierung, welche aus einem Court of Directors, einem Board os Control
und einem Generalgouvemeur und dessen Council besteht, nicht fortdauern kann.


wahrscheinlich mit denen von Kalkutta aus zu gleicher Zeit eintreffen. Des¬
gleichen kann man die Truppen von Kalkutta auf dem Ganges über Kanpur
und Allahabad senden, oder mit der Eisenbahn bis Burdwan befördern. ES
ist möglich, daß stak in Delhi eine Partei bildet, welche zum Unterhandeln
bereit, sich auf Gnade oder Ungnade übergeben will; dann wird Delhi früher
fallen. Diese Partei wird aus den Hindus bestehen. Wo nicht, kann der
Sturm frühestens im October unternommen werden; aber die Colminen müssen
stark genug sein, weil, waS mit den Waffen in der Hand »der im Act der
Vertheidigung gefunden wird, über die Klinge springen muß.

Von der höchsten Wichtigkeit ist eS, daß die Provinzen Madras und
Bombay in Ruhe erhalten werden. Hier müssen die Behörden mit dem wach¬
samsten Auge auf ihrer Hut sein, ohne irgend ein Mißtrauen merken zu lassen.
In der Präsidentschaft Madras ist das Reich deö Nizam ein gefährlicher Nach¬
bar. Er ist Mohammedaner, sein Anhang ein wildes und verworfenes Ge¬
schlecht, und er könnte leicht i0,t>00 Mann ins Feld bringen. Sein erster
Minister ist den Engländern ergeben, und so wollen wir hoffen, daß eS ge¬
lingt, diesen im Amte und den Engländern treu zu erhalten.

Eine andere Gefahr ist, daß der Aufstand einen etwas kommunistischen
Charakter angenommen hat. Auf dem Lande wie in den Städten werden die
Besitzenden von den Besitzlosen angegriffen und ihres Lebens und ihres Eigen¬
thums beraubt. Es habe» sich wie in China Banden gebildet, die das Land
verwüsten, morden und stehlen und die abscheulichsten Unsittlichkeiten begehen.
Natürlich kann bei einem solchen Zustande der Dinge nur das Martialgesetz
ausreichen, das Schwert und der Strick müssen die Rotten vernichten. Wenn
man bedenkt, das Tausende von ThagS und Denons aus den Gefängnissen
befreit sind, Menschen, die aus Mord und Todschlag ein Gewerbe machen,
so kann man nicht überrascht sein, daß sich kein Mensch seines Lebens sicher
fühlt. Das Gefühl der Sepoys, daß sie ihr Leben verwirkt haben, macht,
daß sie so verzweifelt kämpfen.

Der Aufstand kann kaum bis zum Frühjahr nächsten Jahres erstickt
sein. Dann aber wird die nicht minder schwierige Aufgabe kommen, Bengalen,
ja Indien von Räubern und Mördern zu reinigen. Es werden einige Jahre
vergehen, bis in den aufrührerischen Theilen wieder die Macht der Engländer in
den Gemüthern so überzeugend geworden ist, das Gesetz wieder eine solche Kraft
gewonnen hat, daß der Europäer wie bisher sorglos durch daS Land reisen kann.

Der Gang der Ereignisse wird auf die Bildung der künftigen Regierung
Indiens den größten Einfluß ausüben. Doch das muß allen mit der Lage
der Dinge vertrauten Briten klar geworden sein, daß die Zwittergestalt einer
Regierung, welche aus einem Court of Directors, einem Board os Control
und einem Generalgouvemeur und dessen Council besteht, nicht fortdauern kann.


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[0086] wahrscheinlich mit denen von Kalkutta aus zu gleicher Zeit eintreffen. Des¬ gleichen kann man die Truppen von Kalkutta auf dem Ganges über Kanpur und Allahabad senden, oder mit der Eisenbahn bis Burdwan befördern. ES ist möglich, daß stak in Delhi eine Partei bildet, welche zum Unterhandeln bereit, sich auf Gnade oder Ungnade übergeben will; dann wird Delhi früher fallen. Diese Partei wird aus den Hindus bestehen. Wo nicht, kann der Sturm frühestens im October unternommen werden; aber die Colminen müssen stark genug sein, weil, waS mit den Waffen in der Hand »der im Act der Vertheidigung gefunden wird, über die Klinge springen muß. Von der höchsten Wichtigkeit ist eS, daß die Provinzen Madras und Bombay in Ruhe erhalten werden. Hier müssen die Behörden mit dem wach¬ samsten Auge auf ihrer Hut sein, ohne irgend ein Mißtrauen merken zu lassen. In der Präsidentschaft Madras ist das Reich deö Nizam ein gefährlicher Nach¬ bar. Er ist Mohammedaner, sein Anhang ein wildes und verworfenes Ge¬ schlecht, und er könnte leicht i0,t>00 Mann ins Feld bringen. Sein erster Minister ist den Engländern ergeben, und so wollen wir hoffen, daß eS ge¬ lingt, diesen im Amte und den Engländern treu zu erhalten. Eine andere Gefahr ist, daß der Aufstand einen etwas kommunistischen Charakter angenommen hat. Auf dem Lande wie in den Städten werden die Besitzenden von den Besitzlosen angegriffen und ihres Lebens und ihres Eigen¬ thums beraubt. Es habe» sich wie in China Banden gebildet, die das Land verwüsten, morden und stehlen und die abscheulichsten Unsittlichkeiten begehen. Natürlich kann bei einem solchen Zustande der Dinge nur das Martialgesetz ausreichen, das Schwert und der Strick müssen die Rotten vernichten. Wenn man bedenkt, das Tausende von ThagS und Denons aus den Gefängnissen befreit sind, Menschen, die aus Mord und Todschlag ein Gewerbe machen, so kann man nicht überrascht sein, daß sich kein Mensch seines Lebens sicher fühlt. Das Gefühl der Sepoys, daß sie ihr Leben verwirkt haben, macht, daß sie so verzweifelt kämpfen. Der Aufstand kann kaum bis zum Frühjahr nächsten Jahres erstickt sein. Dann aber wird die nicht minder schwierige Aufgabe kommen, Bengalen, ja Indien von Räubern und Mördern zu reinigen. Es werden einige Jahre vergehen, bis in den aufrührerischen Theilen wieder die Macht der Engländer in den Gemüthern so überzeugend geworden ist, das Gesetz wieder eine solche Kraft gewonnen hat, daß der Europäer wie bisher sorglos durch daS Land reisen kann. Der Gang der Ereignisse wird auf die Bildung der künftigen Regierung Indiens den größten Einfluß ausüben. Doch das muß allen mit der Lage der Dinge vertrauten Briten klar geworden sein, daß die Zwittergestalt einer Regierung, welche aus einem Court of Directors, einem Board os Control und einem Generalgouvemeur und dessen Council besteht, nicht fortdauern kann.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/86>, abgerufen am 15.06.2024.