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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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Darstellung, in welchem Hütten sich doch bisheran noch nicht bewegt hatte,
und weit mehr noch die "Geistesstärke, welche dazu gehörte, um während
eines so schrecklichen, langwierigen und hoffnungslosen Siechthums Werke her¬
vorzubringen, an denen nichts matt, alles Gesundheit, Frische und Leben ist."
Die vollständige Ausgabe der Türkenrede war kein Geschenk sür seinen Cardinal;
schon von Augsburg aus hatte Hütten an Pirckheimer geschrieben, gute Carriere
zu machen könne er mit schlichtem Lebenswandel nicht vereinigen; das aber
hielt ihn nicht ab, jene Rede allen freien und wahrhaft Deutschen in feurigster
Ansprache zu widmen. Seiner Eminenz dagegen dediciert er, nach einem kurzen
Aufenthalt auf der heimischen Burg um Neujahr 15t" nach Mainz zurück¬
gekehrt, die Schrift über das Guajak und die französische Krankheit, die er dem
Salzburger Erzbischof zu debitieren vergebens gebeten worden war. Auch schrieb
er damals zu der von Carbach und Angst besorgten, in der schöfferschcn Of-
ficin gedruckten Ausgabe des Livius, welche für einige Stücke der 4. Dekade
prmciZW ist. auf Bitten jener und anderer Freunde die Zueignung an seinen
Erzbischof und ließ im Februar das zwar sehr zudringliche, aber doch sich ein¬
schmeichelnde "erste Fieber" ausgehen, das sicherlich den Cardinal Cajetan
etwas geschüttelt hat. Aber nun war Hütten auch des Hoflebens übersatt;
die Gewogenheit seines Herrn hatte ihm eine Pension, wo er sich auch hin¬
begeben möge, verheißen; er sollte sie nicht lange genießen.

Der Krieg gegen den Mörder seines Vetters zog auch miscrn Hütten gegen
ihn in das Heer des schwäbischen Bundes und zugleich in Bekanntschaft, die
alsbald wahre Freundschaft wurde, mit dem deutschen Ohnefurchtundtadel,
Franz von Sickingen. Diesem verdeutschte und widmete er (I. März 1519)
das erste Fieber. In denselben Tagen der Kriegszurüstung hatte er den Plm-
larismus wieder auflegen lassen und sich in einem Briese an Franz I. von
Frankreich bemüht, diesen zu überzeuge", daß er den Wirtemberger nicht un¬
terstützen dürfe. Auch aus Huttcns Briefen, deren uns grade aus dieser
Zeit verhältnissmäßig viele erhalten sind, erhellet, daß der Krieg gegen den
Herzog anfangs, bevor die Schweizer jenen verließen, bedenklicher erschien, als
er sich bald erwies; schon am 7. April war das Bundesheer auch in Stutt¬
gart, wo Sickingen und Hütten sür Reuchlins, des hochverehrten, Sicherheit
bestens sorgten. Auch für die endliche Beisetzung des (bei Berührung noch
blutenden) Leichnams des ermordeten Vetters wurde gesorgt. Das größte,
was Hütten in diesem Kriegszug erobert hatte, war des Sickingers Freundschaft.
Den Frühlings- und Heerzugsstaub wusch wol das Wildbad, wohin sich
Hütten Ende Aprils begeben hatte, ab, aber nicht den unseligen mordus
^UL. Nun entstand die letzte Rede gegen den Wirtemberger, noch einmal
dessen und seiner Helfer Verruchtheit und nun, auch dessen Fall schildernd; es
erschien im September die oben besprochene sogenannte Steckelberger Samm-


Grenzboten I. 1856. 13

Darstellung, in welchem Hütten sich doch bisheran noch nicht bewegt hatte,
und weit mehr noch die „Geistesstärke, welche dazu gehörte, um während
eines so schrecklichen, langwierigen und hoffnungslosen Siechthums Werke her¬
vorzubringen, an denen nichts matt, alles Gesundheit, Frische und Leben ist."
Die vollständige Ausgabe der Türkenrede war kein Geschenk sür seinen Cardinal;
schon von Augsburg aus hatte Hütten an Pirckheimer geschrieben, gute Carriere
zu machen könne er mit schlichtem Lebenswandel nicht vereinigen; das aber
hielt ihn nicht ab, jene Rede allen freien und wahrhaft Deutschen in feurigster
Ansprache zu widmen. Seiner Eminenz dagegen dediciert er, nach einem kurzen
Aufenthalt auf der heimischen Burg um Neujahr 15t» nach Mainz zurück¬
gekehrt, die Schrift über das Guajak und die französische Krankheit, die er dem
Salzburger Erzbischof zu debitieren vergebens gebeten worden war. Auch schrieb
er damals zu der von Carbach und Angst besorgten, in der schöfferschcn Of-
ficin gedruckten Ausgabe des Livius, welche für einige Stücke der 4. Dekade
prmciZW ist. auf Bitten jener und anderer Freunde die Zueignung an seinen
Erzbischof und ließ im Februar das zwar sehr zudringliche, aber doch sich ein¬
schmeichelnde „erste Fieber" ausgehen, das sicherlich den Cardinal Cajetan
etwas geschüttelt hat. Aber nun war Hütten auch des Hoflebens übersatt;
die Gewogenheit seines Herrn hatte ihm eine Pension, wo er sich auch hin¬
begeben möge, verheißen; er sollte sie nicht lange genießen.

Der Krieg gegen den Mörder seines Vetters zog auch miscrn Hütten gegen
ihn in das Heer des schwäbischen Bundes und zugleich in Bekanntschaft, die
alsbald wahre Freundschaft wurde, mit dem deutschen Ohnefurchtundtadel,
Franz von Sickingen. Diesem verdeutschte und widmete er (I. März 1519)
das erste Fieber. In denselben Tagen der Kriegszurüstung hatte er den Plm-
larismus wieder auflegen lassen und sich in einem Briese an Franz I. von
Frankreich bemüht, diesen zu überzeuge», daß er den Wirtemberger nicht un¬
terstützen dürfe. Auch aus Huttcns Briefen, deren uns grade aus dieser
Zeit verhältnissmäßig viele erhalten sind, erhellet, daß der Krieg gegen den
Herzog anfangs, bevor die Schweizer jenen verließen, bedenklicher erschien, als
er sich bald erwies; schon am 7. April war das Bundesheer auch in Stutt¬
gart, wo Sickingen und Hütten sür Reuchlins, des hochverehrten, Sicherheit
bestens sorgten. Auch für die endliche Beisetzung des (bei Berührung noch
blutenden) Leichnams des ermordeten Vetters wurde gesorgt. Das größte,
was Hütten in diesem Kriegszug erobert hatte, war des Sickingers Freundschaft.
Den Frühlings- und Heerzugsstaub wusch wol das Wildbad, wohin sich
Hütten Ende Aprils begeben hatte, ab, aber nicht den unseligen mordus
^UL. Nun entstand die letzte Rede gegen den Wirtemberger, noch einmal
dessen und seiner Helfer Verruchtheit und nun, auch dessen Fall schildernd; es
erschien im September die oben besprochene sogenannte Steckelberger Samm-


Grenzboten I. 1856. 13
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[0105] Darstellung, in welchem Hütten sich doch bisheran noch nicht bewegt hatte, und weit mehr noch die „Geistesstärke, welche dazu gehörte, um während eines so schrecklichen, langwierigen und hoffnungslosen Siechthums Werke her¬ vorzubringen, an denen nichts matt, alles Gesundheit, Frische und Leben ist." Die vollständige Ausgabe der Türkenrede war kein Geschenk sür seinen Cardinal; schon von Augsburg aus hatte Hütten an Pirckheimer geschrieben, gute Carriere zu machen könne er mit schlichtem Lebenswandel nicht vereinigen; das aber hielt ihn nicht ab, jene Rede allen freien und wahrhaft Deutschen in feurigster Ansprache zu widmen. Seiner Eminenz dagegen dediciert er, nach einem kurzen Aufenthalt auf der heimischen Burg um Neujahr 15t» nach Mainz zurück¬ gekehrt, die Schrift über das Guajak und die französische Krankheit, die er dem Salzburger Erzbischof zu debitieren vergebens gebeten worden war. Auch schrieb er damals zu der von Carbach und Angst besorgten, in der schöfferschcn Of- ficin gedruckten Ausgabe des Livius, welche für einige Stücke der 4. Dekade prmciZW ist. auf Bitten jener und anderer Freunde die Zueignung an seinen Erzbischof und ließ im Februar das zwar sehr zudringliche, aber doch sich ein¬ schmeichelnde „erste Fieber" ausgehen, das sicherlich den Cardinal Cajetan etwas geschüttelt hat. Aber nun war Hütten auch des Hoflebens übersatt; die Gewogenheit seines Herrn hatte ihm eine Pension, wo er sich auch hin¬ begeben möge, verheißen; er sollte sie nicht lange genießen. Der Krieg gegen den Mörder seines Vetters zog auch miscrn Hütten gegen ihn in das Heer des schwäbischen Bundes und zugleich in Bekanntschaft, die alsbald wahre Freundschaft wurde, mit dem deutschen Ohnefurchtundtadel, Franz von Sickingen. Diesem verdeutschte und widmete er (I. März 1519) das erste Fieber. In denselben Tagen der Kriegszurüstung hatte er den Plm- larismus wieder auflegen lassen und sich in einem Briese an Franz I. von Frankreich bemüht, diesen zu überzeuge», daß er den Wirtemberger nicht un¬ terstützen dürfe. Auch aus Huttcns Briefen, deren uns grade aus dieser Zeit verhältnissmäßig viele erhalten sind, erhellet, daß der Krieg gegen den Herzog anfangs, bevor die Schweizer jenen verließen, bedenklicher erschien, als er sich bald erwies; schon am 7. April war das Bundesheer auch in Stutt¬ gart, wo Sickingen und Hütten sür Reuchlins, des hochverehrten, Sicherheit bestens sorgten. Auch für die endliche Beisetzung des (bei Berührung noch blutenden) Leichnams des ermordeten Vetters wurde gesorgt. Das größte, was Hütten in diesem Kriegszug erobert hatte, war des Sickingers Freundschaft. Den Frühlings- und Heerzugsstaub wusch wol das Wildbad, wohin sich Hütten Ende Aprils begeben hatte, ab, aber nicht den unseligen mordus ^UL. Nun entstand die letzte Rede gegen den Wirtemberger, noch einmal dessen und seiner Helfer Verruchtheit und nun, auch dessen Fall schildernd; es erschien im September die oben besprochene sogenannte Steckelberger Samm- Grenzboten I. 1856. 13

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/105>, abgerufen am 14.05.2024.