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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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des Originals, die der Ueberscher hätte mildern können, liegt in dem gar zu
blütenreichen Stil, der nicht den Engländern irn^ Allgemeinen, sondern der
Schule Carlyles angehört. Zuweilen sind Lewes' Bilder wie die seines
Meisters von seltener Schönheit, aber noch häusiger verlieren sie sich in eine
Malerei, die vielleicht in der dcscriptiven Poesie ihre Stelle fände, in die
Prosa aber, nicht gehört, wo das Bild nur insofern Berechtigung hat, als es
dem Gegenstand einen deutlicheren Ausdruck gibt. Es soll kein Tadel gegen
den Uebersetzer sein, da er sein Princip, Lewes genau so reden zu lassen, als
er wirklich redet, klar ausgesprochen hat; doch glauben wir, daß eine schonende
Bearbeitung bei der Mehrzahl der Leser den Zweck besser erreicht hätte.

Da das Buch bei unserm Publicum bereits den Eingang gefunden hat, den
es in reichem Maße verdient, so wollen wir gleich hier alles zusammenstellen,
was sich dagegen sagen läßt,, weil eine übertriebene Anerkennung des eng¬
lischen Schriftstellers ein Unrecht gegen unsere Landsleute wäre, die in dem¬
selben Fach gearbeitet haben.

. Das ganze Buch ist nämlich von einer unangenehmen, weniger persön¬
lichen als nationalen Selbstgefälligkeit getränkt. Für unsern großen Dichter
empfindet Lewes eine ehrliche, warme, herzliche Verehrung, aber fortwährend
bricht bei ihm die Ansicht durch, daß er von seinem Volk ganz und gar nicht
verstanden sei. Am weimarscher Hofe eingeführt, hat er die sogenannte
Goethcliteratur, so weit es einem Fremden möglich ist, gründlich studirt, aber
das berechtigt ihn noch nicht, sich aus diesem sehr kleinen Kreise ein Bild von
der öffentlichen Meinung Deutschlands zu machen. Es ist mit jedem Special-
studium fast unzertrennlich verbunden, daß sich auch bei den ehrlichsten und
geistvollsten Männern gewisse Grillen einstellen, die sich nur aus dem zu nahen
Standpunkt und der dadurch verrückten Perspective erklären; so ists auch in
der Goetheliteratur gegangen. Wer sich von Goethe eine gründlichere Kennt¬
niß angeeignet hat, als die Menge besitzt, legt sich natürlich am liebsten auf
denjenigen Theil seiner Werke, zu dessen Verständniß ein tieferes Studium
gehört, z. B. auf den zweiten Theil des Faust, auf die Wanderjahre und
Aehnliches. Die wahrhaft classischen Schöpfungen Goethes bedürfen keines
Commentars, jedes gesunde Gefühl versteht sie ohne weitere Beihilfe; in den
genannten Schriften dagegen verlangt fast jede Seite einen eignen
Schlüssel, und wer sollte diesen anders geben, als diejenigen, denen die
Erklärung Goethes gewissermaßen ein Lebensberuf ist! Hätte Lewes dies
in Erwägung gezogen, so hätte er sich nicht darüber gewundert,
unter seinen Quellen so viele Commentare über den zweiten Theil des
Faust, die Wanderjahre, die Geheimnisse, den Triumph der Empfindsamkeit
u. s. w. zu finden, er hätte sich nicht darüber gewundert, wenn das detail-
lirte Studium dieser Werke, in denen trotz der schwachen Komposition sich


des Originals, die der Ueberscher hätte mildern können, liegt in dem gar zu
blütenreichen Stil, der nicht den Engländern irn^ Allgemeinen, sondern der
Schule Carlyles angehört. Zuweilen sind Lewes' Bilder wie die seines
Meisters von seltener Schönheit, aber noch häusiger verlieren sie sich in eine
Malerei, die vielleicht in der dcscriptiven Poesie ihre Stelle fände, in die
Prosa aber, nicht gehört, wo das Bild nur insofern Berechtigung hat, als es
dem Gegenstand einen deutlicheren Ausdruck gibt. Es soll kein Tadel gegen
den Uebersetzer sein, da er sein Princip, Lewes genau so reden zu lassen, als
er wirklich redet, klar ausgesprochen hat; doch glauben wir, daß eine schonende
Bearbeitung bei der Mehrzahl der Leser den Zweck besser erreicht hätte.

Da das Buch bei unserm Publicum bereits den Eingang gefunden hat, den
es in reichem Maße verdient, so wollen wir gleich hier alles zusammenstellen,
was sich dagegen sagen läßt,, weil eine übertriebene Anerkennung des eng¬
lischen Schriftstellers ein Unrecht gegen unsere Landsleute wäre, die in dem¬
selben Fach gearbeitet haben.

. Das ganze Buch ist nämlich von einer unangenehmen, weniger persön¬
lichen als nationalen Selbstgefälligkeit getränkt. Für unsern großen Dichter
empfindet Lewes eine ehrliche, warme, herzliche Verehrung, aber fortwährend
bricht bei ihm die Ansicht durch, daß er von seinem Volk ganz und gar nicht
verstanden sei. Am weimarscher Hofe eingeführt, hat er die sogenannte
Goethcliteratur, so weit es einem Fremden möglich ist, gründlich studirt, aber
das berechtigt ihn noch nicht, sich aus diesem sehr kleinen Kreise ein Bild von
der öffentlichen Meinung Deutschlands zu machen. Es ist mit jedem Special-
studium fast unzertrennlich verbunden, daß sich auch bei den ehrlichsten und
geistvollsten Männern gewisse Grillen einstellen, die sich nur aus dem zu nahen
Standpunkt und der dadurch verrückten Perspective erklären; so ists auch in
der Goetheliteratur gegangen. Wer sich von Goethe eine gründlichere Kennt¬
niß angeeignet hat, als die Menge besitzt, legt sich natürlich am liebsten auf
denjenigen Theil seiner Werke, zu dessen Verständniß ein tieferes Studium
gehört, z. B. auf den zweiten Theil des Faust, auf die Wanderjahre und
Aehnliches. Die wahrhaft classischen Schöpfungen Goethes bedürfen keines
Commentars, jedes gesunde Gefühl versteht sie ohne weitere Beihilfe; in den
genannten Schriften dagegen verlangt fast jede Seite einen eignen
Schlüssel, und wer sollte diesen anders geben, als diejenigen, denen die
Erklärung Goethes gewissermaßen ein Lebensberuf ist! Hätte Lewes dies
in Erwägung gezogen, so hätte er sich nicht darüber gewundert,
unter seinen Quellen so viele Commentare über den zweiten Theil des
Faust, die Wanderjahre, die Geheimnisse, den Triumph der Empfindsamkeit
u. s. w. zu finden, er hätte sich nicht darüber gewundert, wenn das detail-
lirte Studium dieser Werke, in denen trotz der schwachen Komposition sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/117>, abgerufen am 14.05.2024.