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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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empfahlen einander freundnachbarlich in gewählten Ausdrücken ihre An¬
gehörigen, welche aus einem Dorf nach dem andern zogen. Auch der
Handelsverkehr war nicht gering. Durch Thüringen führte fast parallel mit
den Bergen eine große Handelsstraße von der Elbe zum Rhein und Main
und am Abfall des Gebirges gegen die Werra lag die große Heerstraße, welche
den Norden Deutschlands mit dem Süden verband. Die Vectnranz auf den
kunstlosen Straßen erforderte zahlreichen Vorspann und brachte den Dörfern Ver¬
dienst und Kunde aus der fernen Welt, auch manche Gelegenheit Geld auszugeben.
Seit der Reformation waren wenigstens in allen Kirchdörfern Schulen, die
Lehrer meist Theologen, auch Schuilehrcrinnen für die Mädchen fanden sich
zuweilen. Es wurde ein kleines Schulgeld gezahlt und ein Theil der
Dorfbewohner war in die Geheimnisse des Lesens und Schreibens ein¬
geweiht. Der Gegensatz zwar zwischen dem Landmanne und dem
Städter war damals größer als jetzt, der "dumme Bauer" war in den
Stuben der Handwerker immer noch ein Lieblingsgegenstand unholder Scherze
und als charakteristische Eigenschaften seines Standes wurden ihm Roh¬
heit, Einfalt, unredliche Pfiffigkeit, Trunkliebe und Freude an Prügeln nach¬
gerühmt. Aber wie abgeschlossen und arm an wechselnden Eindrücken sein
Leben auch damals war, man würde sehr Unrecht thun, wenn man ihn sür
wesentlich schwächer und untüchtiger hielte, als er jetzt ist. Im Gegentheil
war sein Selbstgefühl nicht geringer und oft besser berechtigt. Wol war
seine Unkenntniß fremder Verhältnisse größer, denn es gab noch keine
Zeitungen und Lokalblätter, und er selbst war in der Regel nicht weiter ge¬
wandert als bis zur nächsten Stadt, wo er seine Producte verkaufte, etwa
einmal über die Berge, wenn er Kühe trieb, als Thüringer nach Erfurt
auf den Waidmarkt, als Franke vielleicht ins Katholische nach Bamberg mit
seinem Hopfen. Auch war er in Tracht, in Sprache und Liedern nicht modisch,
wie die Städter, er gebrauchte gern alte derbe Worte, welche der Bürger sür
unfläthig hielt, er schwor und fluchte anders und sein Begrüßungsceremo-
niel war ein anderes als das des Städters, aber nicht weniger genau.
Doch deshalb war sein Leben nicht arm an Gemüth, an Sitte, selbst
acht an Poesie. Noch hatte der deutsche Volksgesang ein kräftiges
Leben und der Landmann war der eifrigste Bewahrer desselben, noch
waren seine Feste, sein Familienleben, seine Rechtsverhältnisse, seine Käufe
und Verkäufe, reich an alten farbenreichen Bräuchen, an Sprüchen und
ehrbarer Repräsentation. Auch die echt deutsche Freude an hübscher Hand¬
werksarbeit, das Behagen an saubern und kunstvollen Erbstücken, theilte der
Landmann damals mit dem Bürger. Sein Hausgeräth war stattlicher als
jetzt. Zierliche Spinnräder, welche noch für eine neue Erfindung galten,
sauber ausgeschnittne Tische, geschnitzte Stühle und Wandschränke haben sich


empfahlen einander freundnachbarlich in gewählten Ausdrücken ihre An¬
gehörigen, welche aus einem Dorf nach dem andern zogen. Auch der
Handelsverkehr war nicht gering. Durch Thüringen führte fast parallel mit
den Bergen eine große Handelsstraße von der Elbe zum Rhein und Main
und am Abfall des Gebirges gegen die Werra lag die große Heerstraße, welche
den Norden Deutschlands mit dem Süden verband. Die Vectnranz auf den
kunstlosen Straßen erforderte zahlreichen Vorspann und brachte den Dörfern Ver¬
dienst und Kunde aus der fernen Welt, auch manche Gelegenheit Geld auszugeben.
Seit der Reformation waren wenigstens in allen Kirchdörfern Schulen, die
Lehrer meist Theologen, auch Schuilehrcrinnen für die Mädchen fanden sich
zuweilen. Es wurde ein kleines Schulgeld gezahlt und ein Theil der
Dorfbewohner war in die Geheimnisse des Lesens und Schreibens ein¬
geweiht. Der Gegensatz zwar zwischen dem Landmanne und dem
Städter war damals größer als jetzt, der „dumme Bauer" war in den
Stuben der Handwerker immer noch ein Lieblingsgegenstand unholder Scherze
und als charakteristische Eigenschaften seines Standes wurden ihm Roh¬
heit, Einfalt, unredliche Pfiffigkeit, Trunkliebe und Freude an Prügeln nach¬
gerühmt. Aber wie abgeschlossen und arm an wechselnden Eindrücken sein
Leben auch damals war, man würde sehr Unrecht thun, wenn man ihn sür
wesentlich schwächer und untüchtiger hielte, als er jetzt ist. Im Gegentheil
war sein Selbstgefühl nicht geringer und oft besser berechtigt. Wol war
seine Unkenntniß fremder Verhältnisse größer, denn es gab noch keine
Zeitungen und Lokalblätter, und er selbst war in der Regel nicht weiter ge¬
wandert als bis zur nächsten Stadt, wo er seine Producte verkaufte, etwa
einmal über die Berge, wenn er Kühe trieb, als Thüringer nach Erfurt
auf den Waidmarkt, als Franke vielleicht ins Katholische nach Bamberg mit
seinem Hopfen. Auch war er in Tracht, in Sprache und Liedern nicht modisch,
wie die Städter, er gebrauchte gern alte derbe Worte, welche der Bürger sür
unfläthig hielt, er schwor und fluchte anders und sein Begrüßungsceremo-
niel war ein anderes als das des Städters, aber nicht weniger genau.
Doch deshalb war sein Leben nicht arm an Gemüth, an Sitte, selbst
acht an Poesie. Noch hatte der deutsche Volksgesang ein kräftiges
Leben und der Landmann war der eifrigste Bewahrer desselben, noch
waren seine Feste, sein Familienleben, seine Rechtsverhältnisse, seine Käufe
und Verkäufe, reich an alten farbenreichen Bräuchen, an Sprüchen und
ehrbarer Repräsentation. Auch die echt deutsche Freude an hübscher Hand¬
werksarbeit, das Behagen an saubern und kunstvollen Erbstücken, theilte der
Landmann damals mit dem Bürger. Sein Hausgeräth war stattlicher als
jetzt. Zierliche Spinnräder, welche noch für eine neue Erfindung galten,
sauber ausgeschnittne Tische, geschnitzte Stühle und Wandschränke haben sich


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[0013] empfahlen einander freundnachbarlich in gewählten Ausdrücken ihre An¬ gehörigen, welche aus einem Dorf nach dem andern zogen. Auch der Handelsverkehr war nicht gering. Durch Thüringen führte fast parallel mit den Bergen eine große Handelsstraße von der Elbe zum Rhein und Main und am Abfall des Gebirges gegen die Werra lag die große Heerstraße, welche den Norden Deutschlands mit dem Süden verband. Die Vectnranz auf den kunstlosen Straßen erforderte zahlreichen Vorspann und brachte den Dörfern Ver¬ dienst und Kunde aus der fernen Welt, auch manche Gelegenheit Geld auszugeben. Seit der Reformation waren wenigstens in allen Kirchdörfern Schulen, die Lehrer meist Theologen, auch Schuilehrcrinnen für die Mädchen fanden sich zuweilen. Es wurde ein kleines Schulgeld gezahlt und ein Theil der Dorfbewohner war in die Geheimnisse des Lesens und Schreibens ein¬ geweiht. Der Gegensatz zwar zwischen dem Landmanne und dem Städter war damals größer als jetzt, der „dumme Bauer" war in den Stuben der Handwerker immer noch ein Lieblingsgegenstand unholder Scherze und als charakteristische Eigenschaften seines Standes wurden ihm Roh¬ heit, Einfalt, unredliche Pfiffigkeit, Trunkliebe und Freude an Prügeln nach¬ gerühmt. Aber wie abgeschlossen und arm an wechselnden Eindrücken sein Leben auch damals war, man würde sehr Unrecht thun, wenn man ihn sür wesentlich schwächer und untüchtiger hielte, als er jetzt ist. Im Gegentheil war sein Selbstgefühl nicht geringer und oft besser berechtigt. Wol war seine Unkenntniß fremder Verhältnisse größer, denn es gab noch keine Zeitungen und Lokalblätter, und er selbst war in der Regel nicht weiter ge¬ wandert als bis zur nächsten Stadt, wo er seine Producte verkaufte, etwa einmal über die Berge, wenn er Kühe trieb, als Thüringer nach Erfurt auf den Waidmarkt, als Franke vielleicht ins Katholische nach Bamberg mit seinem Hopfen. Auch war er in Tracht, in Sprache und Liedern nicht modisch, wie die Städter, er gebrauchte gern alte derbe Worte, welche der Bürger sür unfläthig hielt, er schwor und fluchte anders und sein Begrüßungsceremo- niel war ein anderes als das des Städters, aber nicht weniger genau. Doch deshalb war sein Leben nicht arm an Gemüth, an Sitte, selbst acht an Poesie. Noch hatte der deutsche Volksgesang ein kräftiges Leben und der Landmann war der eifrigste Bewahrer desselben, noch waren seine Feste, sein Familienleben, seine Rechtsverhältnisse, seine Käufe und Verkäufe, reich an alten farbenreichen Bräuchen, an Sprüchen und ehrbarer Repräsentation. Auch die echt deutsche Freude an hübscher Hand¬ werksarbeit, das Behagen an saubern und kunstvollen Erbstücken, theilte der Landmann damals mit dem Bürger. Sein Hausgeräth war stattlicher als jetzt. Zierliche Spinnräder, welche noch für eine neue Erfindung galten, sauber ausgeschnittne Tische, geschnitzte Stühle und Wandschränke haben sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/13>, abgerufen am 15.05.2024.