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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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Soldaten ertragen, zuletzt lief er selbst unter die, welche schlugen; die Gespanne
wurden vom Pfluge gerissen, die Herden von der Weide geholt, und dadurch
die Bestellung der Felder oft unmöglich gemacht. Und doch, wie jammer¬
voll und hilflos seine Lage war, in der ersten Hülste des Krieges, bis
zum Tode Gustav Adolphs, war doch das Schreckliche noch verhältnißmäßiq
erträglich. Denn noch war selbst in Plünderung und Zerstörung ein gewisses
System, einige Mannszucht hielt wenigstens die regelmüßigen Heerhaufen
zusammen und ein und das andere Jahr verlief ohne große Truppen¬
züge. Es ist uns möglich in dieser ersten Zeit zu erkennen, wie viel einzel¬
nen Gemeinden zugemuthet wurde, denn schon saßen in dieser Zeit die Landes'
bchörden fest in ihren Schreibstuben, und nach den Durchmärschen wurden
von den betroffenen Gemeinden gewöhnlich Liquidationen über ihre Leistungen
eingefordert, deren Beträge ihnen freilich nicht wieder erstattet wurden. Wer
solche Liquidationen in den Gemeindearchivcn durchblättert, der wird die Namen
berüchtigter Heerführer, die er aus der Geschichte oder aus Schillers Wallen¬
stein kennt, in sehr realer Verbindung mit den Geschicken eines thüringischen
Dorfes finden.

Die Wirkungen, welche ein solches Leben voll Unsicherheit und Qual aus
die Seelen der Landleute ausübte, war sehr traurig. Die Furcht, eine bebende,
klägliche Furcht umzog entnervend die Herzen. Immer war ihr Gemüth voll
von Aberglauben gewesen, jetzt wurde mit rührender Leichtgläubigkeit alles
aufgesucht, was als Eingreifen überirdischer Gewalten gedeutet werden konnte.
Man sah am Himmel die schrecklichsten Gesichter, man fand die Anzeichen furcht¬
baren Unheils in zahlreichen Mißgeburten; Gespenster erschienen, unheimliche Laute
klangen vom Himmel und auf der Erde. In Ummerstadt z. B.. Herzogthum Hild¬
burghausen erschienen weiße Kreuze am Himmel, als die Feinde einrückten.
Ais sie in die Kammerkanzelei eindrangen, trat ihnen ein weißgekleideter Geist
entgegen und winkte ihnen zurück und niemand konnte sich von der Stelle
rühren. Nach ihrem Abzüge hörte man acht Tage lang im Chor der aus¬
gebrannten Kirche ein starkes Schnauben und Seufzen. -- Zu Gum-
pershausen machte eine Magd großes Aufsehn im ganzen Lande. Sie
erfreute sich der Besuche eines kleinen Engels, der sich bald in rothem, bald
in blauem Hemdlein, vor ihr aufs Bett oder den Tisch setzte und ängst¬
liche Wahrheiten aussprach, vor Gottcslüsterung und Fluchen warnte,
wehe! schrie, und schreckliches Blutvergießen verhieß, wenn die Menschheit
nicht das Lästern,'die Hoffart und die gestärkten blauen Krägen, --
damals eine neue Mode -- abschaffen würde. Wie man aus den eifrigen
Protokollen ersieht, welche die geistlichen Herrn verschiedener Würden über die
Halbblödsinnige aufnahmen, verursachte ihnen nur der eine Umstand Bedenken,
weshalb das Engelein nicht sie selbst besuche, sondern eine einfältige Magd.


Soldaten ertragen, zuletzt lief er selbst unter die, welche schlugen; die Gespanne
wurden vom Pfluge gerissen, die Herden von der Weide geholt, und dadurch
die Bestellung der Felder oft unmöglich gemacht. Und doch, wie jammer¬
voll und hilflos seine Lage war, in der ersten Hülste des Krieges, bis
zum Tode Gustav Adolphs, war doch das Schreckliche noch verhältnißmäßiq
erträglich. Denn noch war selbst in Plünderung und Zerstörung ein gewisses
System, einige Mannszucht hielt wenigstens die regelmüßigen Heerhaufen
zusammen und ein und das andere Jahr verlief ohne große Truppen¬
züge. Es ist uns möglich in dieser ersten Zeit zu erkennen, wie viel einzel¬
nen Gemeinden zugemuthet wurde, denn schon saßen in dieser Zeit die Landes'
bchörden fest in ihren Schreibstuben, und nach den Durchmärschen wurden
von den betroffenen Gemeinden gewöhnlich Liquidationen über ihre Leistungen
eingefordert, deren Beträge ihnen freilich nicht wieder erstattet wurden. Wer
solche Liquidationen in den Gemeindearchivcn durchblättert, der wird die Namen
berüchtigter Heerführer, die er aus der Geschichte oder aus Schillers Wallen¬
stein kennt, in sehr realer Verbindung mit den Geschicken eines thüringischen
Dorfes finden.

Die Wirkungen, welche ein solches Leben voll Unsicherheit und Qual aus
die Seelen der Landleute ausübte, war sehr traurig. Die Furcht, eine bebende,
klägliche Furcht umzog entnervend die Herzen. Immer war ihr Gemüth voll
von Aberglauben gewesen, jetzt wurde mit rührender Leichtgläubigkeit alles
aufgesucht, was als Eingreifen überirdischer Gewalten gedeutet werden konnte.
Man sah am Himmel die schrecklichsten Gesichter, man fand die Anzeichen furcht¬
baren Unheils in zahlreichen Mißgeburten; Gespenster erschienen, unheimliche Laute
klangen vom Himmel und auf der Erde. In Ummerstadt z. B.. Herzogthum Hild¬
burghausen erschienen weiße Kreuze am Himmel, als die Feinde einrückten.
Ais sie in die Kammerkanzelei eindrangen, trat ihnen ein weißgekleideter Geist
entgegen und winkte ihnen zurück und niemand konnte sich von der Stelle
rühren. Nach ihrem Abzüge hörte man acht Tage lang im Chor der aus¬
gebrannten Kirche ein starkes Schnauben und Seufzen. — Zu Gum-
pershausen machte eine Magd großes Aufsehn im ganzen Lande. Sie
erfreute sich der Besuche eines kleinen Engels, der sich bald in rothem, bald
in blauem Hemdlein, vor ihr aufs Bett oder den Tisch setzte und ängst¬
liche Wahrheiten aussprach, vor Gottcslüsterung und Fluchen warnte,
wehe! schrie, und schreckliches Blutvergießen verhieß, wenn die Menschheit
nicht das Lästern,'die Hoffart und die gestärkten blauen Krägen, --
damals eine neue Mode — abschaffen würde. Wie man aus den eifrigen
Protokollen ersieht, welche die geistlichen Herrn verschiedener Würden über die
Halbblödsinnige aufnahmen, verursachte ihnen nur der eine Umstand Bedenken,
weshalb das Engelein nicht sie selbst besuche, sondern eine einfältige Magd.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/16>, abgerufen am 15.05.2024.