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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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als Ersatz eine andere kleine Glocke angeboten. Als sie aber auf dieser den
Spruch sahen: "Erhalt' uns Herr bei deinem Wort", gingen sie kopfschüttelnd
wieder nach Hause. Endlich verglich Herzog Ernst der Fromme die Sache,
nahm als Dank die kleine Glocke für sich selbst und hing sie in Gotha auf
dem Fricdenstein aus.

Nach Kräften suchten sich die Dörfer vor der Raubgier der Solda¬
ten zu wahren. So lange noch Geld aufzubringen war, machten
sie Versuche, durch Zahlung einer Geldsumme an die vorausgesandten
Offiziere die Einquartirung 'von sich abzukaufen, und mancher Schurke
benutzte solche Furcht und erhob in der Maske eines vorausgesandten Fouriers
hohe Steuern von den getäuschten Dorfsassen. Auf die Kirchthürme und hohe
Punkte der Flur wurden Wachen gestellt, die ein Zeichen gaben, wenn
Truppen in der Ferne sichtbar wurden. Dann brachte der Landman, was
er retten konnte, die Frauen und Kinder und leichtbewegliche Habe eilig in
einen entfernten Versteck. Solche Verstecke wurden mit großem Scharfsinn
ausgesucht, durch Nachhilfe noch unzugänglicher gemacht und Wochen, ja Mo¬
nate lang fristeten dort die Flüchtlinge ihr angstvolles Dasein. Im schwarzen
Moor zwischen Gräben, Binsen und Erlengebüsch, in dunkler Waldesschlucht,
in alten Lehmgruben und in verfallenem Mauerwerk suchten sie die letzte
Rettung. Noch jetzt zeigt an manchen Orten der Landmann mit Theilnahme
aus solche Stellen. Zu Aspach in einem alten Thurm ist 16 Fuß über dem
Boden ein großes Gewölbe mit eiserner Thüre, dorthin flüchteten die Aspachcr,
so oft kleine Banden auf das Dorf marschirten, für längere Flucht aber hatten
sie ein Feld von mehren Ackern, das mit Heimbuchen dicht umwachsen war,
darum pflanzten sie Dorngeöüsch, das ans dem fruchtbaren Boden hoch wie
Bäume wurde und dicht wie eine Mauer stand. In diesem Verhack, zu dem
man nur auf dem Bauche kriechend gelangen konnte, hat sich die Gemeinde
oft verborgen. Nach dem Kriege wurden die Dornen ausgereutet und der
Boden in Hopfen-, dann in Krautländer verwandelt. Noch .heißt ein Theil
dieses Grundes "der Schutzdorn". -- Waren die Soldaten abgezogen, dann
kehrten die Flüchtlinge in ihre Häuser zurück und besserten nothdürftig aus,
was verwüstet war. Nicht selten freilich fanden sie nur eine rauchende Brand¬
stätte.

Auch nicht alle, die geflohen waren, kamen zurück. Die Wohlhabenderen
suchten sich und ihre Habe in den Städten zu bergen, wo doch die Kriegs¬
zucht ein wenig straffer und die Gefahr geringer war. Viele auch flüchteten
in ein anderes Land und, wenn dort Feinde drohten, wieder in ein anderes.
Die Meisten hat sicher das Elend dort nicht weniger hart geschlagen. -- Aber
auch die im Lande blieben, kehrten nicht alle zur heimischen Flur. Das
wilde Leben im Versteck und Walde, die rohe Freude an Gewaltthat und


als Ersatz eine andere kleine Glocke angeboten. Als sie aber auf dieser den
Spruch sahen: „Erhalt' uns Herr bei deinem Wort", gingen sie kopfschüttelnd
wieder nach Hause. Endlich verglich Herzog Ernst der Fromme die Sache,
nahm als Dank die kleine Glocke für sich selbst und hing sie in Gotha auf
dem Fricdenstein aus.

Nach Kräften suchten sich die Dörfer vor der Raubgier der Solda¬
ten zu wahren. So lange noch Geld aufzubringen war, machten
sie Versuche, durch Zahlung einer Geldsumme an die vorausgesandten
Offiziere die Einquartirung 'von sich abzukaufen, und mancher Schurke
benutzte solche Furcht und erhob in der Maske eines vorausgesandten Fouriers
hohe Steuern von den getäuschten Dorfsassen. Auf die Kirchthürme und hohe
Punkte der Flur wurden Wachen gestellt, die ein Zeichen gaben, wenn
Truppen in der Ferne sichtbar wurden. Dann brachte der Landman, was
er retten konnte, die Frauen und Kinder und leichtbewegliche Habe eilig in
einen entfernten Versteck. Solche Verstecke wurden mit großem Scharfsinn
ausgesucht, durch Nachhilfe noch unzugänglicher gemacht und Wochen, ja Mo¬
nate lang fristeten dort die Flüchtlinge ihr angstvolles Dasein. Im schwarzen
Moor zwischen Gräben, Binsen und Erlengebüsch, in dunkler Waldesschlucht,
in alten Lehmgruben und in verfallenem Mauerwerk suchten sie die letzte
Rettung. Noch jetzt zeigt an manchen Orten der Landmann mit Theilnahme
aus solche Stellen. Zu Aspach in einem alten Thurm ist 16 Fuß über dem
Boden ein großes Gewölbe mit eiserner Thüre, dorthin flüchteten die Aspachcr,
so oft kleine Banden auf das Dorf marschirten, für längere Flucht aber hatten
sie ein Feld von mehren Ackern, das mit Heimbuchen dicht umwachsen war,
darum pflanzten sie Dorngeöüsch, das ans dem fruchtbaren Boden hoch wie
Bäume wurde und dicht wie eine Mauer stand. In diesem Verhack, zu dem
man nur auf dem Bauche kriechend gelangen konnte, hat sich die Gemeinde
oft verborgen. Nach dem Kriege wurden die Dornen ausgereutet und der
Boden in Hopfen-, dann in Krautländer verwandelt. Noch .heißt ein Theil
dieses Grundes „der Schutzdorn". — Waren die Soldaten abgezogen, dann
kehrten die Flüchtlinge in ihre Häuser zurück und besserten nothdürftig aus,
was verwüstet war. Nicht selten freilich fanden sie nur eine rauchende Brand¬
stätte.

Auch nicht alle, die geflohen waren, kamen zurück. Die Wohlhabenderen
suchten sich und ihre Habe in den Städten zu bergen, wo doch die Kriegs¬
zucht ein wenig straffer und die Gefahr geringer war. Viele auch flüchteten
in ein anderes Land und, wenn dort Feinde drohten, wieder in ein anderes.
Die Meisten hat sicher das Elend dort nicht weniger hart geschlagen. — Aber
auch die im Lande blieben, kehrten nicht alle zur heimischen Flur. Das
wilde Leben im Versteck und Walde, die rohe Freude an Gewaltthat und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/18>, abgerufen am 15.05.2024.